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INTERNATIONAL/031: Bangladesch - Regierung will Grameen-Bank kontrollieren (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. August 2012

Bangladesch: Regierung will Grameen-Bank kontrollieren - Mitbestimmungsmodell gefährdet

von Naimul Haq


Qualitätskontrolle in einer Textilfabrik - Bild: © Naimul Haq/IPS

Qualitätskontrolle in einer Textilfabrik
Bild: © Naimul Haq/IPS

Dhaka, 16. August (IPS) - Laboni Vhoumiks Wäschefabrik im bangladeschischen Dorf Gopai ist ein überzeugendes Beispiel für den Erfolg der Grameen-Bank, die mit ihren Mikrokrediten gerade mittellosen Frauen unter die Arme greift. Doch die legendäre Finanzierungsinstitution sieht sich einer schleichenden Kontrolle durch die Regierung ausgesetzt.

Vhoumik hatte sich als Schneiderin durchgeschlagen. Nachdem sie sich 2003 der unabhängigen Organisation 'Noakhali Rural Development Services' (NRDS) anschloss, konnte sie sich von der Grameen-Bank 45 US-Dollar für den Kauf einer Nähmaschine borgen. Inzwischen führt sie eine 180 Kilometer von der Hauptstadt Dhaka entfernte Fabrik, die zwölf Frauen beschäftigt. Die dort produzierte Unterwäsche wird an Händler im Bezirk Noakhali und in die benachbarten Regionen geliefert.

"Wir beraten und bieten ein kostenloses Training an, um Kleinunternehmer zu fördern. Damit wollen wir sicherstellen, dass das geliehene Geld richtig eingesetzt wird", erklärt Mohammed Kaiser Alam, der das Mikrokredit-Programm von NRDS koordiniert. Die 65 Mitglieder der Nichtregierungsorganisation (NGO) stehen sich gegenseitig mit Ratschlägen zur Unternehmensführung und zur Bedienung der Kredite zur Seite. Die gesamte Gruppe tritt als Bürge auf, und die meisten Darlehen werden vorschriftsmäßig zurückgezahlt.

Vhoumik verdient zurzeit umgerechnet 238 Dollar im Monat - kein schlechter Schnitt in ihrem Dorf. Mittlerweile konnte sie viel Geld zur Seite legen und hat davon kürzlich größere Hausreparaturen bezahlt.


Kredite sicherten Tausenden Frauen Existenz

Tausende Frauen in dem südasiatischen Land haben auf ähnliche Weise einen Weg aus der Armut gefunden. Das Modell ist jetzt aber akut gefährdet, da die Regierung ihre Kontrolle über die Grameen-Bank ausweiten will. Bisher hält die Regierung einen Anteil von drei Prozent an der Finanzinstitution. Wenn die von Dhaka geforderten Änderungen in Kraft treten, wird der neue vom Staat ernannte Vorsitzende einen Hauptgeschäftsführer ernennen können.

Arbeiterinnen in einer Teppichfabrik, die durch Mikrokredite finanziert wird - Bild: © Naimul Haq/IPS

Arbeiterinnen in einer Teppichfabrik, die durch Mikrokredite finanziert wird
Bild: © Naimul Haq/IPS

"Das bedeutet, dass die Regierung de facto die Kontrolle über die Bank übernimmt. Die armen Frauen, die ebenfalls Eigentümerinnen sind, verlieren damit das Recht, ihre Bank zu verwalten und können künftig keinen Einfluss ausüben", heißt es in einer Erklärung, die von 60 prominenten Vertretern der Zivilgesellschaft in Bangladesch unterzeichnet wurde.

Dass die Grameen-Bank im Besitz armer Frauen sei, mache sie so einzigartig, geht weiter aus der Erklärung hervor. Vertreter der 8,4 Millionen Kreditnehmerinnen sitzen demnach im Aufsichtsrat der Bank und haben sich über Jahre an der Entscheidungsfindung beteiligt.

"Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die Veränderungen innerhalb der Grameen-Bank in guter Absicht vorgenommen werden", meint die Frauenrechtlerin Shireen Huq, eine der Unterzeichnerinnen der Erklärung. Laut der Gründerin der Organisation 'Naripokkho' gibt die geplante Änderung der Bankstatuten dem Aufsichtsratsvorsitzenden die Kompetenz, einen Ausschuss mit drei Mitgliedern zu bilden. Den Mehrheitsvertretern werde damit das Mitbestimmungsrecht entzogen.

Wie Huq kritisiert, hat die Regierung einen Kritiker des Bankgründers und Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus zum Vorsitzenden ernannt. Dies sei kein gutes Zeichen für die Institution. Auch im Ausland regt sich Kritik. So erklärte der stellvertretende Sprecher des US-Außenministeriums, Patrick Ventrell, Anfang August, dass Washington "tief beunruhigt" sei. Die Einsetzung eines von der Regierung ernannten Vorsitzenden würde den Einfluss der vorwiegend weiblichen Anteilseignerinnen schmälern, hieß es. Die Grameen-Bank habe Millionen armer Frauen in Bangladesch und in anderen Teilen der Welt eine neue Existenz ermöglicht.


Debatte über Effizienz von Mikrokrediten

In Bangladesch hat das Vorhaben der Regierung eine Kontroverse unter Experten ausgelöst, von denen einige Mikrokredite als Instrument der Entwicklungspolitik befürworten und andere sie für ineffizient halten.

Nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Abul Barkat von der Universität in Dhaka erreichen Mikrokredite nur einen kleinen Teil der armen Bevölkerung. "Diejenigen, die im Elend leben und die meiste Aufmerksamkeit benötigen, bleiben bei diesen Dienstleistungen außen vor."

Wie Barkat erklärt, gelten 98,9 Millionen der insgesamt 150 Millionen Einwohner von Bangladesch als arm. 47 Millionen würden zur Mittelschicht gezählt, und lediglich 4,1 Prozent seien wohlhabend. Von den 98,9 Millionen Armen lebe etwa die Hälfte am untersten Rand der Gesellschaft. Mikrokredite erreichten aber nur die andere Hälfte der Armen, die die Zielgruppe der NGOs seien.

Auch der Ökonom Qazi Koliquzzaman Ahmad zweifelt daran, dass die Mikrodarlehen armen Menschen deutliche Vorteile verschaffen können. "Eine meiner Studien aus dem Jahr 2008 hat gezeigt, dass nur sieben Prozent der Kreditnehmer durch diese Darlehen der Armut entkommen. Somit sind diese Programme nicht immer nachhaltig."

Mohammad Hasan Ali, Exekutivdirektor der NGO 'Pally Bikash Kendra', die Mikrokredite im Nordwesten des Landes vermittelt, ist hingegen der Ansicht, dass sich das Modell durch die stetige Zunahme an Kreditnehmern und Rückzahlungen als robust erwiesen habe.

Nach Ansicht weiterer Experten zeichnen sich die Mikrokreditprogramme vor allem dadurch aus, dass sie Gesundheitsfürsorge, Hygiene, Bildung, Rechtshilfe und den Schutz der Menschenrechte einschließen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.grameen-info.org/
http://www.ipsnews.net/2012/08/bangladesh-fixes-grameen-microcredit/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. August 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2012