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INTERNATIONAL/091: Finanzkrise in den USA (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2015

Money for Nothing
Krise als Geschäftsmodell

Finanzkrise in den USA
Die Kosten der Krise sind auch als Warnung zu verstehen

von Dennis Kelleher


Vor fünf Jahren unterzeichnete Präsident Barack Obama den Dodd-Frank-Act, die bedeutendste Finanzreform in den USA seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre. Zu sehen, welche Lehren nach der Finanzkrise 2008 gezogen wurden, ist wichtig für das Verständnis der gegenwärtigen Situation und gegebener Handlungsmöglichkeiten. Denn die öffentliche Diskussion hat sich in den Jahren seit Verabschiedung des Dodd-Frank-Gesetzes gewandelt: War zuvor vom finanziellen Zusammenbruch die Rede, von der Wirtschaftskrise, den Kosten für das Land und davon, welche Rolle die Finanzbranche als Verursacher dieser Kosten gespielt hat, so stehen heute die Finanzmarktreform und die für ihre Umsetzung notwendigen Regelungen und Kosten im Mittelpunkt der Diskussion. In dieser von den Finanzbranchen dominierten Diskussion geht häufig weitgehend unter, weshalb und vor welchem Hintergrund dieses Gesetz überhaupt verabschiedet wurde.


Der Finanzcrash und die darauf folgende Krise 2008 waren der größte finanzielle Zusammenbruch seit dem Börsencrash von 1929 und rissen die Wirtschaft in den größten Abwärtsstrudel seit der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren. "Too-big-to-fail"-Banken an der Wall Street spekulierten jenseits jeglicher Kontrolle mit Derivaten, was zu einem finanziellen Crash führte. Dieser wurde unter anderem durch falsche Hypothekendarlehen immer weiter angeheizt und breitete sich schließlich weltweit wie ein Lauffeuer aus.

Um einen erneuten Krisenausbruch zu verhindern, müssen die tatsächlichen Verursacher und die Kosten aufgezeigt werden. Aus diesem Grund hat Better Markets kürzlich den Bericht "Cost of the Crisis" (Die Kosten der Krise) veröffentlicht.[1] Demnach betragen die (Folge-)Kosten, wirtschaftliche aber auch menschliche, durch den Finanzcrash mehr als 20 Billionen US-Dollar für das BIP der USA und eine historisch hohe Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung. Beispielsweise lag die U-6 genannte Arbeitslosenquote, welche die Arbeitslosigkeit am präzisesten erfasst, binnen sieben Monaten zwischen Oktober 2009 und April 2010 fünfmal bei 17,5 %. Diese Zahl entspricht 27 Millionen US-BürgerInnen oder der Einwohnerzahl von Texas. Die U-6-Quote erfasst nicht nur Erwerbslose, sondern auch unterbeschäftigte ArbeitnehmerInnen, die notgedrungen in Teilzeit arbeiten, da sie keine Vollzeitstelle finden, sowie Menschen, die resigniert die Arbeitssuche aufgegeben haben. Viele dieser 27 Millionen sind FamilienernährerInnen, somit betraf allein dieser Folgeaspekt der Krise mehr als 50 Millionen US-BürgerInnen.


Die wahren Kosten der Krise

0Als Folge des Finanzcrashs kam es unter anderem zu massenhaften Zwangsversteigerungen. Große wie kleine Unternehmen meldeten Insolvenz an, Sparguthaben schrumpften, Beschäftigte verschoben ihren Ruhestand oder konnten ihn nicht antreten und die Zahl der Studienabbrecher stieg auf ein Rekordniveau. Zudem wurde beinahe jeder Bereich des öffentlichen Interesses wie Bildung, Armutsbekämpfung, Gesundheitsvorsorge sowie Forschung und Entwicklung durch Rettungsaktionen skrupelloser Finanzaktivitäten in Mitleidenschaft gezogen. Durch den Finanzcrash brachen die Steuereinnahmen ein und die Sozialausgaben erhöhten sich drastisch, was Löcher in Billionenhöhe in die Haushalte riss und die bereits angespannte Schuldensituation des Landes verschlimmerte. All das drosselte die Ausgaben in allen anderen Bereichen - eine Situation, die sich auch in den kommenden Jahren nicht verändern wird.

Die Nachbeben der Krise sind für viele spürbar: Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung und fehlende soziale Sicherheit. Auch wenn sich der Aktienmarkt in den USA in den Jahren nach der Krise weitgehend wieder erholt und auch die wirtschaftliche Situation eine erhebliche Verbesserung gegenüber den Jahren 2008 und 2009 erfahren hat, tritt die Volkswirtschaft weiterhin auf der Stelle. Nach offiziellem Ende der Rezession im Juni 2009 lag die durchschnittliche Wachstumsquote bei etwa 2 %. Dies ist ein historisch niedriger Wert und wurde nur durch die inflationäre Geldpolitik der US-Notenbank ermöglicht. Viele US-BürgerInnen haben noch immer Schwierigkeiten, gute Arbeit zu finden, sich eine Existenz aufzubauen, ihre Schulden zu tilgen oder Rücklagen für Ausbildung und Ruhestand zu bilden.

Diese wirtschaftliche und menschliche Ausnahmesituation machte die Dodd-Frank-Finanzreform so dringend nötig. Das Dodd-Frank-Gesetz stellt die weitreichendste Finanzreform der vergangenen Jahrzehnte dar, soll die Skrupellosigkeit an der Wall Street bekämpfen und weiteren katastrophalen Finanzkrisen vorbeugen. Die zentralen Bestimmungen sollen dazu beitragen, ein sichereres und stabileres Finanzsystem zu schaffen. Dabei werden höhere Kapitalanforderungen an staatliche Kreditinstitute gestellt und der Handel mit Risikopapieren eingedämmt. Weiterhin minimieren neue Regelungen die Risiken im Derivatehandel und sorgen für Transparenz. Und eine Reihe weiterer Reformen gehen die durch die Krise offengelegten Mängel bei Kreditratingagenturen, den Märkten für forderungsbesicherte Wertpapiere und in den Vergütungsmodellen für Vorstände an.


Rückbesinnung auf die klassischen Kerngeschäfte der Bank?

Durch das Dodd-Frank-Gesetz wurde ein Rat zur Beaufsichtigung der Finanzstabilität (FSOC) geschaffen. Die Aufgaben dieses Rates bestehen darin, risikoreiche und systemrelevante Finanzinstitute zu identifizieren und Geschäfte zu prüfen, die sonst weder registriert noch reguliert würden. Mit dem Büro für finanziellen Schutz von Konsumenten und Konsumentinnen wurde eine Verbraucherschutzbehörde geschaffen, die VerbraucherInnen vor unseriösen Geschäftsmethoden schützen soll. Der Kompetenzbereich der US-Notenbank und anderer Regulierungsbehörden wie der US-Aufsichtsbehörde für den Warenterminhandel (CFTC) und der Börsenaufsichtsbehörde (SEC) wurde ausgeweitet, um die Kontrolle der Finanzmärkte zu vereinfachen und besser auf gesetzwidrige Praktiken und systemische Risiken reagieren zu können.

Das Dodd-Frank-Gesetz drängt Banken zurück zu ihrem Kerngeschäft. Das macht das Finanzsystem sicherer, schützt die Realwirtschaft und schafft Arbeitsplätze. Wenn Spekulation und skrupelloses Verhalten eingedämmt werden, schmälert das jedoch auch die Profite, die sich an der Wall Street verdienen lassen. Als Reaktion führt die Wall Street eine Kampagne durch, mit dem Ziel die Finanzreform zu verhindern und so weit als nur möglich abzuschwächen. Es gibt Initiativen, das Gesetz zu widerrufen: Die Zusammenarbeit von Verbündeten im Kongress und die Unterfinanzierung und Unterbesetzung von Regulierungsbehörden sowie Einwirken auf Aufsichtsbehörden zur Abschwächung der Vorschriften, Klagen gegen Bestimmungen oder irreführende PR-Kampagnen zur Lenkung der öffentlichen Meinung.

Das mehrheitlich republikanische Repräsentantenhaus verabschiedete zum Beispiel einen Haushalt von lediglich 250 Millionen US-Dollar für die CFTC-Kommission, die verantwortlich ist für die beinahe 400 Billionen US-Dollar umfassenden USDerivatemärkte. Das bedeutet: Eine bereits chronisch unterfinanzierte Aufsichtsbehörde für einen riesigen und gefährdeten Finanzmarkt wird bewusst behindert.


Die Wall Street wehrt sich gegen die Reform

Des Weiteren klagen die Wall Street und ihre UnterstützerInnen vor Gericht gegen die Regelungen in der Umsetzung der Dodd-Frank-Reform. Dabei haben sie ein breites Spektrum von Regelungen im Visier, beispielsweise Regeln zur Eindämmung von exzessiver Spekulation an den Rohstoffmärkten, Bestimmungen zu einer umfassenden und grenzüberschreitenden Anwendung der Derivatereformen oder die FSOC-Einteilung von systemrelevanten Finanzinstituten. Auch wenn die gerichtlichen Schritte bisher gescheitert sind, so haben sie doch Reformen verzögert und die bereits knappen Ressourcen der Behörden abgezweigt. Den unablässigen Bemühungen der Wall Street und ihrer Verbündeten zum Trotz werden weitere Finanzreformen verabschiedet und umgesetzt. Die US-Notenbank, der FDIC (Federal Deposit Insurance Corporation), ein Einlagensicherungsfond und der FSOC gehen auch weiterhin systemische Risiken ein, während die CFTC um Kontrolle und Transparenz auf den Derivatemärkten bemüht ist.

Obwohl die Dodd-Frank-Reform bereits vor fünf Jahren verabschiedet wurde, stehen die USA noch ganz am Anfang, was die Schaffung eines sicheren und stabileren Finanzsystems anbelangt. Man kann es an den Fakten über den Finanzcrash und die Wirtschaftskrise ablesen: Es ist von zentraler Bedeutung, dass die Finanzreform baldmöglichst vollständig umgesetzt und möglichst streng und gründlich kontrolliert wird. Einen weiteren katastrophalen finanziellen Zusammenbruch können wir uns einfach nicht leisten.


Der Autor ist Vorsitzender und Geschäftsführer von Better Markets.


Anmerkung:
[1] Siehe http://bettermarkets.com/sites/default/files/Better%20Markets%20-%20Cost%20of%20the%20Crisis.pdf.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2015, Seite 9-10
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2015

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