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INTERNATIONAL/100: Mosambik - Wen soll man bestrafen, wenn keiner unschuldig ist (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Mai/Juni 2018

MOSAMBIK
Wen soll man bestrafen, wenn keiner unschuldig ist?
Zum Schuldenskandal in Mosambik

von Jürgen Kaiser


2016 kam heraus, dass die mosambikanische Regierung ihre Staatsbürgschaften über insgesamt rund zwei Milliarden US-Dollar Auslandsschulden dreier staatlicher Unternehmen (MAM, Proindicus und Ematum) vor dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und den internationalen Gebern versteckt hatte. Das war schon wegen der dadurch nicht mehr gegebenen Schuldentragfähigkeit sehr kritisch. Sowohl der IWF als auch wichtige Geber Mosambiks stellten daraufhin bis zur vollständigen Aufklärung des Skandals ihre Zahlungen an Mosambik ein.

Bald stellte sich überdies heraus, dass mit den aufgenommenen Krediten weder die Thunfischflotte sinnvoll ausgebaut noch die eigentlich vorgesehenen Schiffe und Flugzeuge zum Küstenschutz gekauft worden waren. Vielmehr waren erhebliche Teile des Geldes, das von der schweizerischen Bank Crédit Suisse und der russischen VTB auf dem Kapitalmarkt eingesammelt werden war, bei einer fragwürdigen Vermittlungsfirma mit besten Verbindungen zu mosambikanischen Regierungsmitgliedern und den späteren Auftragnehmern gelandet. Eine 2017 vom IWF geforderte und von der schwedischen Regierung finanzierte Buchprüfung durch die US-amerikanische Firma Kroll zeigte zudem, dass außergewöhnlich hohe Gebühren der vermittelnden Banken und nicht nachvollziehbare Preise für die beschafften oder noch zu beschaffenden Güter die gesamte Operation in ein noch fragwürdigeres Licht gerückt hatten.


Illegitime Schulden

Viel illegitimer kann eine öffentliche Schuld eigentlich nicht sein:

  • Der Nutzen, den die mosambikanische Bevölkerung von den Kreditgeschäften noch haben könnte, ist bestenfalls marginal.
  • Die Kredite wurden von den Ministern der Regierungspartei Frelimo unter Außerachtlassung parlamentarischer Mitspracherechte unterzeichnet.
  • Beides war den Kreditgebern von vornherein bekannt.

Damit sind die klassischen Bedingungen für eine verabscheuungswürdige ("odious") und damit hinfällige Schuld im Sinne der gleichnamigen - allerdings im internationalen Recht nicht unumstrittenen und deshalb selten wirksamen - Doktrin erfüllt.


Illegitime Schulden streichen?

Gelänge es der aktuellen mosambikanischen Regierung, die Schuld politisch oder auf einem internationalen Rechtsweg zurückzuweisen, wäre dies ein wichtiger Schritt nicht nur für die aktuelle wirtschaftliche Situation Mosambiks, sondern auch für die zu Beginn dieser Dekade weitgehend eingeschlafene, aber einstmals sehr lebendige internationale Diskussion über den Umgang mit illegitimen Schulden. Und tatsächlich argumentierte die Regierung des Präsidenten Nyusi in dieser Richtung: Man sei bereit, die Garantien für die den staatlichen Unternehmen Proindicus und MAM gewährten Garantien zu respektieren, erklärte er auf einem Treffen mit Gläubigern in London Mitte März, nachdem der dritte Kredit (an die ebenfalls staatliche Firma Ematum) inzwischen durch einen von der Regierung ausgegebenen Eurobond vollständig refinanziert werden war. Aber es müssten auch die Banken zu ihrer Verantwortung stehen, so Nyusi weiter. Seinen Vorschlag eines fünfzigprozentigen Forderungsverzichts bezeichneten die Gläubigervereinigungen indes umgehend als "Rohrkrepierer".

Die schroffe Zurückweisung einer solchen Verständigung durch die Gläubiger ist Ausdruck einer sehr besonderen Konstellation im Falle Mosambiks: Sowohl die Regierung als auch die Gläubiger haben ein Interesse daran, zum jetzigen Zeitpunkt keine Lösung für die "versteckten Schulden" zu suchen. Frühestens ab 2023, realistischerweise eher zum Ende der nächsten Dekade, wird Mosambik zu einem der größten Erdgasexporteure der Welt aufsteigen, wenn nämlich die Ausbeutung der Erdgasfelder vor der Küste beginnt. Das Kalkül der Gläubiger ist daher, zum "jetzigen Zeitpunkt jede Regelung zu vermeiden, die ihre umstrittenen Ansprüche beschneiden könnte, um dann aus den künftig reichlich sprudelnden Gaseinnahmen doch noch bezahlt zu werden.

Das gleiche Interesse hat auch die Frelimo-Regierung Mosambiks: Während aktuell der IWF ebenso wie die traditionellen Entwicklungspartner, vor allem in Skandinavien, sowie die mosambikanische Zivilgesellschaft die Aufklärung der Verstrickung von Frelimo-Funktionären bis hin zum vormaligen Präsidenten Guebuza in den Skandal fordern, war die Kooperation der Regierung mit der Firma Kroll - vorsichtig ausgedrückt - lückenhaft. Trotz Nyusis Kooperationszusage konnten die Buchprüfer wichtige offizielle Unterlagen nicht einsehen. Jetzt Aufklärung vorzutäuschen und absehbar vergebliche Umschuldungsforderungen an die Gläubiger zu richten, um irgendwann in fünf bis zehn Jahren stillschweigend zu zahlen und sich dann aus den privilegierten Regierungspositionen heraus den Zugang zu den dann lukrativen Erdgasgeschäften zu sichern, scheint die Strategie zu sein.

Gelänge es dagegen - gestützt auf internationales Recht, die oben erwähnte Doktrin der "verabscheuungswürdigen Schulden" und rückhaltlose Aufklärung des Fehlverhaltens durch die Gläubiger -, die Forderungen vollständig zurückzuweisen, hätte das paradoxerweise auch für die Bevölkerung Mosambiks nicht nur positive Folgen: Dem gerade erst von der Generalstaatsanwaltschaft angestrengten Verfahren gegen die Verantwortlichen wäre der Boden entzogen, da dem Land ja kein Schaden mehr erwachsen wäre; die unbestreitbare persönliche Bereicherung hoher Parteifunktionäre bliebe ungeahndet, und an künftige Verantwortungsträger würde die Botschaft gesendet, dass man davon kommt, wenn man in die öffentlichen Kassen greift.

Das macht die im Titel formulierte Frage des britischen Mosambik-Experten Joe Hanlon so drängend: Wer genau soll denn zur Rechenschaft gezogen werden, wenn eigentlich alle Dreck am Stecken haben?

Zivilgesellschaftliche Bewegungen innerhalb und außerhalb Mosambiks suchen deshalb nach Möglichkeiten, die Banken für die Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten bei der Kreditvergabe zur Rechenschaft zu ziehen, ohne deswegen die besonders vom mosambikanischen Entschuldungsbündnis Grupo Mocambicano da Dívida (GMD) erhobene Forderung nach Bestrafung der vor Ort Verantwortlichen aufzugeben.


Alternative: Schuldenumwandlung für Entwicklung

Eine Möglichkeit dafür könnte ein Vorschlag sein, den erlassjahr.de zusammen mit der GMD, dem deutschen Koordinierungskreis Mosambik (KKM) und der Schweizer Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im Südlichen Afrika (KEESA) entwickelt hat. Er zielt darauf, weder die Regierung noch die kreditgebenden Banken, sondern die hauptsächlich geschädigte mosambikanische Bevölkerung besser zu stellen. Die mosambikanischen Behörden sollen die formal bestehende Schuld vertragsgemäß weiter bedienen; Empfänger der Zahlungen wären aber nicht mehr die beiden Banken beziehungsweise diejenigen, denen diese ihre Forderungen an Mosambik seither weiterverkauft haben. Vielmehr würde die Zahlungsverpflichtung in Dollar in die Landeswährung Metical umgewandelt und in einen zu schaffenden Fonds für soziale Entwicklung in Mosambik fließen. Dieser Fonds würde gemeinsam von der mosambikanischen Zivilgesellschaft, der Regierung, den (ehemaligen) Gläubigerbanken und einer starken internationalen Entwicklungsorganisation wie etwa dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) verwaltet. Aus dem Fonds werden gemeinsam vereinbarte Vorhaben für das Erreichen der Sustainable Development Goals in Mosambik finanziert.

Dieses Modell nennt man "Schuldenumwandlung für Entwicklung" und es ist von einigen Gebern in der Vergangenheit durchaus erfolgreich angewendet worden. Noch nie allerdings auf der Grundlage der offensichtlichen Illegitimität einer Forderung, sondern stets in Fällen, in denen die Auslandsschulden des betreffenden Landes als untragbar galten oder die Gläubiger ein besonderes Interesse an einer Finanzierung mithilfe eines solchen unkonventionellen Instruments hatten.

Aktuell bemüht sich die Schweizer Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im Südlichen Afrika (KEESA) um ein Gespräch mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden der Crédit Suisse, Tidjane Thiam. Der gebürtige Ivorer wurde berufen, nachdem der alte Vorstand sich nach zahlreichen Skandalen der Bank als nicht mehr tragbar erwiesen hatte. Thiam hat explizit die Säuberung und den Neustart der skandalgeschüttelten Bank auf seine Fahnen geschrieben. Parallel dazu bemüht sich das mosambikanische Entschuldungsbündnis in Maputo um Sondierungen, ob es im mosambikanischen Staatsapparat Kräfte gibt, die eine Aufarbeitung des Skandals einem Aussitzen vorziehen würden.

Ausgang in beiden Fällen: offen.


Der Autor ist politischer Koordinator der Kampagne erlassjahr.de

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afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
46. Jahrgang, Nr. 3, Mai/Juni 2018, S. 10-11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2018

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