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REDE/014: Westerwelle zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, 07.03.2012 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion vor dem Deutschen Bundestag am 7. März 2012 in Berlin:


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben heute im Kabinett die Vorbereitungen dafür getroffen, dass der Deutsche Bundestag den Fiskalvertrag beraten und ratifizieren kann. Das Vertragswerk, das da unterzeichnet worden ist, ist sehr bedeutend. Mit diesem Vertrag wird ein neues Kapitel, auch in der europäischen Integrationsgeschichte, aufgeschlagen.

Die deutsche Politik, die vom Bundestag mit großer Mehrheit getragen wird, hat zwei Säulen:

erstens die Säule der Solidarität - wir haben hier oft über die Pakete der Solidarität beraten -,

zweitens die Säule der Solidität.

Das heißt, es geht darum, dass wir nicht wieder in eine solche Krise kommen, und auch darum, dass wir strukturell aus der Krise herauskommen.

Es gibt das berühmte Wort von den Chancen der Krise. Diese Chance der Krise wird heute genutzt, indem wir unsere Währung schützen und den Ländern, die in Schwierigkeiten geraten sind, Solidarität gewähren, und indem wir gleichzeitig auch die Grundlage dafür legen, dass Haushaltsdisziplin nicht nur eingehalten wird, sondern Verstöße gegen diese auch sanktioniert werden. Das heißt, dass wir zu einer Stabilitätskultur zurückkehren, wie sie ursprünglich im Vertrag von Maastricht angelegt gewesen ist, die aber, wie wir wissen, in der Praxis, übrigens auch durch deutsches Zutun in den Jahren 2004 und 2005, aufgeweicht wurde.

Wir halten es für erforderlich, dass die Schuldenbremse, die wir in Deutschland haben, auch in den anderen europäischen Verfassungen verankert wird. Als man vor wenigen Monaten hier diskutiert hat, ob es uns in so kurzer Zeit gelingen könnte, einen völkerrechtlichen Vertrag zustande zu bringen, hat man es kaum für möglich gehalten. Heute sehen wir, dass es geht. Wir haben es geschafft, dass in Europa, bis auf zwei Ausnahmen, alle dieses Vertragswerk unterzeichnet haben. Wir nehmen also unsere Verantwortung für Europa und für unsere gemeinsame Währung auch wahr.

Es geht im Fiskalvertrag darum, dass die Schuldenbremse verankert wird und dass Sanktionen verankert werden. Dies bedeutet, dass künftig bei Verstößen Sanktionen quasi automatisch greifen. Das ist auch ein wichtiges Anliegen des Deutschen Bundestages gewesen, das in mehreren Entschließungsanträgen zum Ausdruck gebracht worden ist. Das heißt: Künftig wird der Verstoß gegen die gemeinsam verabredete Stabilitätspolitik automatisch sanktioniert. Der Spielraum für politische Opportunitäten wird erheblich zurückgeschraubt. Wer künftig die Sanktionen in einem konkreten Fall vermeiden möchte, muss dafür eine qualifizierte Mehrheit organisieren. Es muss eben nicht, wie bisher, eine qualifizierte Mehrheit für das Beschließen von Sanktionen organisiert werden. Diese umgekehrte qualifizierte Mehrheit stärkt die Stabilitätspolitik erheblich. Wir gehen damit den Weg in Richtung Stabilitätsunion; damit bringen wir auch eine Fortentwicklung der politischen Union auf den Weg.

Wir bitten den Deutschen Bundestag, das mit Zweidrittelmehrheit - denn das ist die notwendige Mehrheit - zu beschließen. Nach den Reden, die hier im Deutschen Bundestag von allen Seiten des Hauses gehalten worden sind, und nach dem, was unterschiedliche Fraktionen in Entschließungsanträgen eingebracht haben und was zum Teil auch beschlossen worden ist, ist die Bundesregierung optimistisch und zuversichtlich, dass im Deutschen Bundestag und im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit auch für diesen wichtigen Fiskalvertrag zustande kommt.

Es geht darum, dass wir die Verantwortung für Europa und für unsere Währung wahrnehmen. Deswegen bitten wir um Verständnis dafür, dass die Bundesregierung keinen parteipolitischen Kuhhandel betreiben wird. Wir sind vielmehr der Überzeugung, dass jetzt die Stunde der Entscheidung im Hohen Hause gekommen ist. Ich gehe davon aus, dass der Deutsche Bundestag in bewährter europapolitischer Ausrichtung seine Verantwortung wahrnimmt. Wir bitten also alle Fraktionen des Deutschen Bundestages, sich diesem historischen Vertragswerk anzuschließen.

Es ist ein großer Erfolg deutscher Politik, der in Europa durchgesetzt werden konnte. Vor wenigen Monaten ist das, auch hier im Deutschen Bundestag, von einigen Kräften noch für unerreichbar gehalten worden. Wir haben es geschafft; es ist möglich geworden. Europa geht den Weg in Richtung Stabilitätsunion. Dafür ist der Fiskalvertrag eine entscheidende Säule, ein entscheidender Abschnitt. Ein neues Integrationskapitel in der europäischen Geschichte wird aufgeschlagen. Wir bitten deshalb den Deutschen Bundestag im Rahmen der ordentlichen parlamentarischen Beratungen um Zustimmung.

Des Weiteren geht es noch um die Fragen im Zusammenhang mit dem ESM. All das wird dem Deutschen Bundestag auch noch ordnungsgemäß zugeleitet. Heute aber geht es um den Fiskalvertrag sowie um die Frage nach der Änderung des Artikels 136 AEUV, die ich nur am Rande erwähnen möchte; das ist den Anwesenden aber ohnehin bekannt.

Wir bitten um Zustimmung zu diesem wichtigen Vertragswerk, das wir jetzt national ratifizieren sollten.


*


Quelle:
Bulletin 23-1
Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle,
zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion
vor dem Deutschen Bundestag am 7. März 2012 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2012