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FRIEDEN/0981: Christliche Nächstenliebe neokolonialistisch umgewertet (SB)



Aus Jerusalem meldet sich der außenpolitische Sprecher der Union-Bundestagsfraktion, Eckart von Klaeden, im Deutschlandfunk (07.01.2009) mit einer Analyse der Situation im Gazastreifen, die einige Kernmißverständnisse aufweist, die einer allen Seiten gerecht werdenden Friedenslösung im Weg stehen. Getreu der Schuldzuweisung, mit der sich Bundeskanzlerin Angela Merkel jedes Handlungsbedarfs gegenüber Israel entledigt hat, markiert er das Angriffsziel Israels als terroristische Organisation, mit der man nicht verhandeln könne, was nur den Schluß zuläßt, daß man sie vernichten muß.

Klaeden zufolge sei der Kern "des Konflikts zwischen Hamas und Israel (...) nicht der palästinensisch-israelische Konflikt, sondern es ist der innermuslimische Konflikt zwischen radikalen und moderaten Kräften". Hinter dieser Formel verbirgt sich ein komplexes Problem, das sich nur aus der engen Sicht westlicher Interessen auf einen so simplen Nenner bringen läßt. Radikal an der Hamas ist vor allem ein islamischer Reformismus, der gesellschaftsorientierte Bewegungen des politischen Islam in Widerspruch zu den alteingesessenen Oligarchien ihrer Länder bringt, die wiederum mit dem orthodoxen islamischen Klerus identisch oder zumindest verbündet sind. Der allgemein mit Islamismus gleichgesetzte politische Islam ist wesentlich ein Produkt der Moderne und bezieht seine Breitenwirkung aus den post- und neokolonialistischen Konflikten, die in der arabischen Welt an der vom Westen unterstützten Herrschaft despotischer Regimes manifest wird, die jede demokratische Entwicklung ihrer Gesellschaften verhindern.

Die bekannte Abneigung der Regierung in Kairo gegenüber der Hamas ist nicht nur dem Bündnis zwischen Ägypten und Israel geschuldet, sondern entspricht der Unterdrückung der eigenen islamistischen Opposition, die zu einem Gutteil von den Muslimbrüdern ausgeht. Diese stellen ein prototypisches Beispiel für gesellschaftliche Oppositionsbewegungen islamischer Art dar, wie es sie in vielen Ländern des islamischen Kulturkreises gibt. Sie kamen nach dem Niedergang des panarabischen Sozialismus, der seine Glaubwürdigkeit durch diktatorische Herrschaftspraktiken und korrupte Klientelpolitik verspielte und als westlicher Ideologieimport immer mehr mit der kolonialistischen Gewalt identifiziert wurde, gegen die er einmal angetreten war, auf und profitierten von dessen Diskreditierung. Als Reaktion auf die kolonialistische Entfremdung ist der politische Islam ebenso ein Ergebnis der Rückbesinnung auf eigene Traditionen wie ein Schatten der europäischen Moderne, von der seine Begründer geprägt wurden.

"Radikal" ist die Hamas für den CDU-Politiker vor allem deshalb, weil sie sich nicht nur als nationale Befreiungs-, sondern auch als gesellschaftliche Reformbewegung versteht. Damit gehört sie zu den potentiellen Gegnern der Regimes, die sich in Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien nur mit Hilfe der USA und EU im Sattel halten können und als neokoloniale Statthalter dafür sorgen, daß die vergessenen antikolonialen Träume von der panarabischen Einheit nicht wiederbelebt werden. "Moderat" sind für ihn Parteien, die in diesem Sinne funktionieren und ihr Verhältnis zur Religion eher wie die CDU auf eine vielseitig auslegbare, herrschaftsopportune Wertedoktrin reduzieren. Daß sich dies, wie etwa in Saudi-Arabien, in massiven Unterdrückungspraktiken manifestiert, stört westliche Regierungen bezeichnenderweise wenig. Den repressiven und dogmatischen Charakter religiöser Ideologien prangern sie nur dann an, wenn deren Sachwalter antagonistische politische Ziele verfolgen.

Es ist denn auch wenig überzeugend, wenn ein Politiker, dessen Partei sich auf eine Religion beruft, die Hamas als "Terrororganisation" brandmarkt, nicht nur weil sie angeblich auf die "Vernichtung Israels" abzielt, sondern weil sie "im Gegensatz zur PLO keine säkulare Organisation, sondern eine religiöse Organisation" ist. Dabei verweist Klaeden selbst darauf, daß die PLO wandlungsfähig war und ihre Charta, in der in Bezug auf Israel ähnliches stand wie in der der Hamas, geändert hat.

Nach drei Jahren des Boykotts, mit dem Israel und seine Verbündeten jene Radikalisierungstendenzen fördern, die ihnen später als Handlungsvorwände dienen, fordern immer mehr Experten, der Hamas bei diesem Schritt behilflich zu sein, indem man sie nicht ausgrenzt, sondern mit ihr ebenso verhandelt, wie man es mit der PLO getan hat. Im Unterschied zu Klaeden, der den Terrorismusvorwurf unisono mit der Bundeskanzlerin, der US-Regierung und der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft so dogmatisch handhabt, wie es die Hamas angeblich mit ihrer Feindseligkeit gegenüber Israel tut, wissen diese, daß ein erheblicher Unterschied zwischen dem Hauptgegner im Terrorkrieg, Al Qaida, und der Hamas besteht. So hatte der stellvertretende Al Qaida-Führer Ayman al Zawahiri - in innerer Übereinstimmung mit der US-Regierung, die den Wahlsieg der Hamas rückgängig zu machen versuchte - die Teilnahme der Hamas an den palästinensischen Parlamentswahlen in scharfen Worten verurteilt. Daraufhin erklärte der hochrangige Hamas-Politiker Osama Hamdan, "daß es für den Westen an der Zeit ist, sich zu entscheiden, ob er lieber mit der Hamas zu tun haben will, die an Reformen glaubt und mit der ganzen internationalen Gemeinschaft gute Beziehungen unterhalten will, oder mit Leuten wie Al Qaida, die an solche Beziehungen nicht glauben, sondern die versuchen, das ganze System zu verbrennen" (Counterpunch, 01.04.2006).

Wie Hamdan, der bekräftigte, daß seine Organisation die Region im demokratischen Prozeß verändern wolle, distanzierte sich auch ein anderer Hamas-Führer explizit von al Zawahiri, indem er betonte, daß seine Organisation eine ganz andere Agenda verfolge als Al Qaida: "Unser Kampf richtet sich gegen die israelische Besatzung und unsere einzige Sorge ist, unsere Rechte wiederzuerlangen und unserem Volk zu dienen" (AP, 05.03.2006). Wann immer Al Qaida versuchte, die Hamas für ihre Zwecke einzuspannen, erntete sie deutliche Stellungnahmen, bei denen sich Hamas-Vertreter darauf beriefen, in Palästina für ihre Freiheit zu kämpfen und keinerlei Absichten zu haben, dies auf andere Länder auszuweiten. Daß Palästinenserpräsident Mahmud Abbas versuchte, den Eindruck einer Kampfgemeinschaft zwischen der Hamas und Al Qaida zu erwecken, dürfte dem Versuch geschuldet sein, der politischen Konkurrenz mit einem Schlag unter die Gürtellinie zu schaden.

Auch wenn sich die Mitglieder der islamistischen Partei auf eher militante und eher reformistische Strömungen verteilen - wobei letztere aufgrund der gegen die Organisation gerichteten Gewalt zur Zeit das Nachsehen haben dürften -, macht es auch angesichts der Stellungnahmen, mit denen der gewählte palästinensische Ministerpräsidenten Ismail Haniyeh sich zum politischen Prozeß bekannt hat, nur einen Sinn, wenn man alle Anhänger der Organisation zu unreformierbaren Terroristen erklärt - man will ihre politischen Forderungen nicht zur Kenntnis nehmen, geschweige denn einen produktiven Dialog eröffnen. Der CDU-Außenpolitiker spricht sich mit seiner harten Linie praktisch dafür aus, daß die Toten dieses Krieges wie aller vorherigen Kämpfe den Preis wert sind, politische Akteure der Palästinenser dauerhaft auszugrenzen. Damit macht er sich das Interesse israelischer Politiker eigen, die er ihrerseits in einigen Fällen mit dem Attribut des unbelehrbaren religiösen Fanatikers belegen könnte, und verbaut die Möglichkeit, dem Blutvergießen ein Ende zu bereiten und den Palästinensern ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, noch mehr.

7. Januar 2009