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FRIEDEN/0997: ICC bleibt Beweis unvoreingenommener Strafverfolgung schuldig (SB)



Mit der Ausstellung eines Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al Bashir durch den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag wird eine Premiere gefeiert, die alles andere als ein überzeugender Beleg für die Egalität des dabei zur Anwendung gelangenden Strafrechts ist. Abgesehen von den negativen Folgen, die dieser Schritt für die Konfliktbewältigung in Darfur haben wird, und unabhängig von der Frage, inwiefern Bashir für die ihm zur Last gelegten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich ist, steht die internationale Strafverfolgung des Staatschefs eines afrikanischen Lands in frappantem Mißverhältnis zur Schonung europäischer und US-amerikanischer Regierungspolitiker.

Wenn Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) diesen Schritt als "Warnung für Diktatoren" feiern und behaupten, "nicht einmal Präsidenten können sich einer strafrechtlichen Verfolgung für entsetzliche Verbrechen entziehen" (hrw.org, 05.03.2009), dann steht die Frage im Raum, wo die Anklageerhebungen gegen Mitglieder der britischen und US-amerikanischen Regierung wegen Verbrechen bleibt, die sie an der irakischen Bevölkerung begangen haben, oder warum kein Haftbefehl gegen israelische Politiker und Generäle wegen der Bombardierung des Libanon und des Gazastreifens ausgestellt wird. Die Instrumentalisierung des ICC für legitimatorische und geostrategische Zwecke ist allen Behauptungen zum Trotz, man wolle mit dieser in der Tradition der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse stehenden Rechtsinstanz eine persönliche Haftbarkeit für Regierungen und Militärs aller Art einführen, dominant und harrt der Widerlegung.

Wenn nun gegen den Präsidenten eines Landes vorgegangen wird, der seit langem im Fadenkreuz der USA und EU steht, dann fällt es ICC-Chefankläger Luis Moreno-Ocampo naturgemäß leicht, Unterstützung in den westlichen Hauptstädten womöglich bis hin zur militärischen Durchsetzung des Haftbefehls zu finden. Im Falle besagter Versäumnisse der internationalen Strafjustiz wäre dem ganz und gar nicht so. Das ICC müßte sich auf eine symbolische Handreichung beschränken und brächte zudem die finanzielle Bemittelung seines umfangreichen Apparats durch die betroffenen Regierungen und ihre Verbündeten in Gefahr. Den sudanesischen Präsidenten nur deshalb vor Gericht zu bringen, um die Handlungsfähigkeit des ICC unter Beweis zu stellen, unterstreicht seine Handlungsunfähigkeit in Fällen, in denen dominante Machtpositionen verbrecherisch ausgenutzt wurden und im Nachhinein auch noch verhindern, daß diese Taten gesühnt werden.

Vorexerziert wurde dies an einem Vorläufer des ICC, dem Internationalen Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY). Dort wollte man am ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic ein Exempel statuieren, das dieser streitbare und kompetente Anwalt in eigener Sache nicht überlebte. Gleichzeitig erwies sich das Tribunal bei allen Versuchen Betroffener, vor ihm gegen die NATO, die Jugoslawien 1999 in einem völkerrechtswidrigen Krieg überfiel, zu klagen, als Papiertiger. Schlimmer noch, daß ICTY wurde zum Element dieser Kriegführung, indem es den angeblich humanitären Interventionismus der NATO mit der Anklageerhebung gegen die jugoslawische Regierung während der Bombardierung des Landes legitimierte und strategisch flankierte.

Der ICC-Chefankläger hat inzwischen weit über 200 Klagen gegen die für den Irakkrieg verantwortlichen Staaten abgewiesen, was er unter anderem damit begründete, daß die Koalitionstruppen im Irak keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hätten, da diese laut Artikel 7 des ICC-Statuts Handlungen beträfen, "die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung" hätten erfolgen müssen. Auch wäre es zu keinen Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung gekommen, von denen immer nur dann zu sprechen sei, "wenn bei Angriffen auf militärische Ziele unverhältnismäßig viele Opfer in Kauf genommen werden" (Neues Deutschland, 20.03.2006).

Des weiteren wurden Bemühungen, Regierungspolitiker und Generäle in den USA vor dem ICC haftbar zu machen, durch einen in seinem Statut verankerten Vorbehalt torpediert, laut dem das ICC keinen Fall übernehmen darf, in dem ein Staat selbst "auf ernsthafte Weise eine Untersuchung oder Strafverfolgung" durchführe. Damit fallen Staaten mit angeblich funktionierenden Rechtssystemen wie die USA, ob sie das ICC nun anerkennen oder nicht, von vornherein für die Jurisdiktion des Internationalen Strafgerichtshofs aus. Im Falle der USA reichte es aus, daß US-Militärgerichte einige niedrigrangige US-Soldaten, denen die Folterung irakischer Gefangener nachgewiesen werden konnte, zu Minimalstrafen verurteilte, während die Auftraggeber in Washington nach wie vor gegen jede Strafverfolgung gefeit sind.

Wenn der UN-Sicherheitsrat hingegen Staaten wie dem Sudan die Fähigkeit oder den Willen abspricht, im Straftatenkatalog des ICC enthaltene Vergehen in Eigenregie zu verfolgen, zeigt sich das imperialistische Gewaltverhältnis in seiner rechtsförmigen Gestalt. Indem man Regierungen der Länder des Südens der internationalen Strafverfolgung aussetzt, manövriert man sie in die Ecke von Schuldigen, die anzugreifen das vermeintlich gute Recht der sogenannten internationalen Gemeinschaft, sprich der USA und ihrer Verbündeten, sei.

6. März 2009