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FRIEDEN/1017: Fatah im Fokus widerstreitender Interessen (SB)



Die Krise der Fatah hat nicht erst auf der Generalkonferenz der palästinensischen Partei in Ramallah begonnen. Dort kulminiert lediglich zum offenen Streit, was viele Mitglieder der von Jassir Arafat mitbegründeten Befreiungsbewegung zusehends in Rage bringt. Zwar hat der im November 2004 unter fragwürdigen Bedingungen verstorbene Palästinenserführer Arafat im Rahmen des Oslo-Prozesses die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Mitglieder der Fatah besonders stark von den Privilegien profitierten, die die Etablierung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) mit sich brachte. Damit waren die Voraussetzungen für die Ausbildung einer Kompradorenbourgeoisie geschaffen, deren Vertreter zusehends mit der israelischen Besatzungsmacht kollaborierten, um ihre Vorteile abzusichern.

Obwohl die Fatah im Rahmen des Oslo-Prozesses praktisch in Sachwalterschaft Israels dafür Sorge trug, die militante Gegenwehr palästinensischer Besatzungsgegner zu unterbinden, erlangte sie nicht die dafür verheißene staatliche Eigenständigkeit. Als der Status einer instituionalisierten palästinensischen Subalternität 2000 in Camp David vertraglich festgelegt werden sollte, verweigerte Arafat, der die Palästinenser als PLO-Chef und Präsident vertrat, seine Unterschrift. Die zwei Monate später ausgebrochene Zweite Intifada war die Quittung für den vergeblichen Versuch, mit einem gegenüber Israel und den USA opportunistischen Kurs zu erlangen, was unter den vorherigen Bedingungen des bewaffneten Kampfes nicht errungen worden war.

Bezeichnenderweise verzichtete Mahmud Abbas, der Arafat als Chef der Fatah und PLO wie als Präsident quasi beerbte, in seiner zweistündigen Rede zur Eröffnung der Fatah-Generalkonferenz darauf, die Erste wie die Zweite Intifada überhaupt zu erwähnen. Indem er die schweren Opfer, die insbesondere die palästinensische Jugend in den beiden langwierigen Aufständen gegen die Besatzungsmacht erbracht hatte, mit keinem Wort würdigte, machte er deutlich, daß das prinzipiell von ihm für die Palästinenser bekräftigte, völkerrechtlich legitime Recht auf bewaffneten Widerstand gegen eine illegale Besatzungsmacht lediglich der Verwaltung eines Erbes gewidmet ist, das als reale Handlungsoption der Fatah längst überwunden ist. Deren ganzes politisches Kapital soll, wenn es nach Abbas und der alten Garde von Funktionären, die in der PA hochrangige Ämter bekleiden, geht, darin bestehen, als Ansprechpartnerin für die USA und Israel in jedem wie auch immer gearteten Friedensprozeß zu fungieren.

Konsensfähig ist diese Ausrichtung unter vielen Palästinenser lediglich deshalb, da sie sich wider aller Wahrscheinlichkeit durch Zugeständnisse Israels eine Verbesserung ihrer desolaten Lage erhoffen. Vor dem Hintergrund der Räumung der Häuser alteingesessener palästinensischer Familien in Ostjerusalem durch die israelischen Sicherheitskräfte, des Bestehens der israelischen Regierung auf Erhalt und Ausbau des Gros ihrer Siedlungen im Westjordanland, der dort aufrechterhaltenen Kontrollmatrix, die Freiheit und Prosperität der Palästinenser abwürgt, und der menschenfeindlichen Blockade des nach wie vor von dem israelischen Überfall stark zerstörten Gazastreifen hat Abbas einen schweren Stand, seinen moderaten Kurs als aussichtsreiche Option darzustellen.

Zudem sieht er sich mit den Forderungen der jüngeren Generation wie vieler im Ausland lebenden Fatah-Mitglieder konfrontiert, seinen Regierungsstil demokratischer zu gestalten, die Korruption in den Reihen der PA wirksam zu bekämpfen und sich nicht wie in den letzten Jahren im allgemeinen und durch die rechtszionistische israelische Regierung im besonderen über den Tisch eines nicht bestehenden Verhandlungsprozesses ziehen zu lassen. Zwar kann der im tunesischen Exil lebende PLO-Funktionär Faruk Kaddumi seine Behauptung, der Tod Arafats sei Ergebnis einer palästinensisch-israelischen Verschwörung, nicht belegen. Doch die von ihm des weiteren aufgestellte Behauptung, der damalige israelische Premierminister Ariel Sharon habe Abbas und seinen Sicherheitschef Muhammad Dahlan im Beisein US-amerikanischer Geheimdienstbeamter aufgetragen, die politischen und militärischen Führer der Hamas, des Islamischen Jihad, der Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden und der PFLP zu eliminieren, dürfte denjenigen Fatah-Mitgliedern, denen die Zusammenarbeit zwischen Abbas und den Regierungen in Tel Aviv und Washington zu sehr zu Lasten des eigenen Fortschritts bei der Entwicklung politischer Eigenständigkeit geht, nicht vollständig unglaubwürdig erscheinen.

Schon das Abhalten der Fatah-Generalkonferenz innerhalb des Westjordanlands ist umstritten, müssen doch die im Exil lebenden Mitglieder der Organisation bei den israelischen Behörden die Erlaubnis einholen, um nach Ramallah reisen zu können. Während die von der Hamas verhinderte Ausreise der in Gaza lebenden Fatah-Mitglieder Ergebnis eines innerpalästinensischen Kampfes ist, der nicht zuletzt durch die Beteiligung der Fatah an der Obstruktion der gewählten Hamas-Regierung eskalierte, erweckt die Subordination der Fatah unter die hoheitlichen Funktionen der israelischen Besatzungsmacht den Eindruck, daß die Partei bereits einen Großteil ihrer Identität als Befreiungsbewegung verloren hat.

Neben der Abgrenzung der Fatah zu sozialistischen Parteien wie der PFLP gilt gerade dies der US-Regierung als Empfehlung dafür, Mahmud Abbas als Protagonist eines Friedensprozesses zu erhalten, der den Palästinensern lediglich einen kleinen Rest von dem läßt, das sie sich aufgrund ihrer legitimen Ansprüche erhoffen. Von daher ist das Interesse Washingtons an der Stärkung der moderaten Kräfte innerhalb der Fatah groß, hat man es doch bei allen anderen Optionen mit Palästinensern zu tun, die die Grundpositionen - einen Staat in den Grenzen von 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt und unter Wahrung des prinzipiellen Rechts der palästinensischen Flüchtlinge auf Heimkehr in ihre Gebiete - streitbarer vertreten als ihr trotz Auslaufen seiner offiziellen Amtszeit immer noch amtierender Präsident.

Deutungen in deutschen Medien, laut denen die Probleme der Fatah vor allem generationeller Art seien, laufen ins Leere. Die Fatah hat die Transformation von einer militanten Befreiungsbewegung zur Regierungspartei eines international anerkannten Provisoriums durch die indirekte Anerkennung Israels und die Einstellung des bewaffneten Kampfes erfolgreich vollzogen. Da dies jedoch ein weitgehend einseitiger Prozeß war und nicht durch entsprechende Zugeständnisse Israels beantwortet wurde, hat sich die Fatah in eine Legitimationskrise hineinmanövriert, die mit dem Erfolg der Hamas bei der Parlamentswahl im Januar 2006 offen zutagetrat. Das sich daran anschließende Zerwürfnis zwischen Fatah und Hamas gipfelte im Juni 2007 in der Vertreibung der Führung der Fatah-Milizen unter Muhammad Dahlan aus Gaza. Die von diesem verfolgte Strategie, die Hamas-Führung in Gaza zu schwächen und möglicherweise zu stürzen, kam unter Absprache mit Vertretern der US-Regierung zustande, so daß die allgemeine Lesart, die Hamas habe, obwohl sie einen legitimen Anspruch auf die Regierungsmacht hat, in Gaza gewaltsam die Macht an sich gerissen, nicht der Wirklichkeit entspricht.

Daß sich dieses Zerwürfnis nun innerhalb der Fatah fortzusetzen droht, ist vor allem Ergebnis der fortwährenden Einflußnahme äußerer Kräfte auf die Palästinenser. Wie soll eine Bevölkerung, der schon das tägliche Überleben schwerwiegende Probleme bereitet, der wesentliche Individualrechte vorenthalten werden und deren Anspruch auf politische und nationale Einheit seit über 40 Jahren negiert wird, sich auf wirksame Weise organisieren als im Antagonismus zu den Kräften und Interessen, die ihre Ohnmacht bewirken? Daß die Palästinenser sich damit immer wieder die Blöße geben, sich vermeintlich ins Unrecht zu setzen, ist Bestandteil der Strategie, sie nicht nur am Boden zu halten, sondern ihren dagegen gerichteten Kampf zu diskreditieren.

Was die Fatah im Innern zerreißt, ist die Hoffnung, über die opportunistische Teilhaberschaft an den Interessen der Besatzer eigene Vorteile sichern zu können, und das Wissen, daß dies in eine Situation der dauerhaften Unterwerfung führt. Angemessen bewerten läßt sich die Situation ohnehin nur vor dem Hintergrund des Hegemoniestrebens der USA und ihrer Verbündeten im Nahen und Mittleren Osten. Da die Legitimation westlicher Interessen mit der Bewältigung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern steht und fällt, ist die Unterstützung, die die PLO und die Fatah aus den USA und der EU erhalten, Produkt eines Interesses, das die Rechtsansprüche der Palästinenser nur insofern anerkennt, als deren Befriedigung die geostrategischen Ziele des Westens befördert. Wenn die Palästinenser ihre legitimen Ansprüche durchsetzen wollen, kommen sie im Endeffekt nicht umhin, sich von diesen fremdnützigen Interessen zu emanzipieren und Stärke durch die Überwindung der von außen induzierten Spaltungen zu entwickeln.

7. August 2009