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FRIEDEN/1040: Freiheit für Gaza - Ägypten verschärft Grenzregime (SB)



Zwar wurde die Öffnung der innerdeutschen Grenze zu ihrem 20. Jahrestag noch einmal mit Pomp und Gloria begangen, doch scheint sich die Zeit in staatlichem Auftrag gefeierter Mauerdurchbrüche allmählich ihrem Ende zuzuneigen. Zu groß ist der Bedarf an der Abschottung wohlhabender Gebiete gegen die Hungerleider der Welt, zu wirksam die militärische Einschließung widerständiger Bevölkerungen durch Sperranlagen, als daß das Credo der Freiheit weiter trüge als bis zum Sieg der kapitalistischen über die realsozialistische Staatenwelt. Wenn die Reichen sich zusehends in Gated Communities einigeln, um sich vor dem Ansturm der Hungernden auf die sich unter der Last der Delikatessen biegenden Tischen zu schützen, wenn die Europäer Flüchtlinge lieber im Mittelmeer ertrinken lassen, als sie in der angeblichen Wertegemeinschaft EU willkommen zu heißen, wenn in den Kriegen der Neuen Weltordnung, wie im Irak geschehen, ganze Städte eingemauert werden, dann wirkt die Verherrlichung der Freiheit unbegrenzter Kapitalverwertung am Beispiel des Endes der DDR nur noch peinlich.

Die Freiheit der wenigen, sich an der Ohnmacht der vielen gütlich zu tun, ist eine wesentliche Triebkraft im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. So verweist schon die materielle Diskrepanz zwischen der Bevölkerung Israels und den Menschen in den Palästinensergebieten darauf, daß der israelische Siedlerkolonialismus äußerster Ausdruck eines Ausbeutungsverhältnisses ist, das sich nicht auf den Raub essentieller Lebensvoraussetzungen wie Wasser und Land beschränkt. Das mit militärischer Gewalt aufrechterhaltene Nebeneinander einer industriell und institutionell hochentwickelten Gesellschaft und einer ihres Rechts auf politische, staatliche und ökonomische Selbstbestimmung beraubten Elendsbevölkerung hat sich auch deshalb über Jahrzehnte verstetigt, weil soziale Ausgrenzung Praxis aller kapitalistischen Gesellschaften ist. Der naheliegenden Option, alle in Palästina lebenden Menschen in einem gemeinsamen demokratischen Staatswesen, in dem niemand wegen seiner Herkunft, Hautfarbe oder Religion bevor- oder benachteiligt wird, leben zu lassen, stellt sich ein beide Gesellschaften durchziehender Klassenantagonismus entgegen, dem der jeweils andere als Feind nützlicher ist, als daß man die eigenen Privilegien zur Disposition einer friedlichen Lösung für alle stellte.

Es ist allemal bequemer, ethnisch-religiöse Feindbilder zu produzieren, als die Überwindung sozialer Widersprüche in Angriff zu nehmen und damit die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Transformation zu eröffnen. Das gilt für alle Beteiligten, wie die innerpalästinensische Spaltung in zwei separate Entitäten zeigt. Die in Ramallah regierende Fatah dient sich israelischen Interessen an, weil ihr die eigene Machtstellung wichtiger ist als die Einheit aller Palästinenser. Die in Gaza regierende Hamas muß sich als vergleichsweise junge Kraft auf der politischen Bühne diesem Vorwurf nicht in gleichem Maße aussetzen, verfolgt aber ebenfalls eigene Vorstellungen über die Zukunft der Palästinenser. Bezeichnenderweise wird die hierzulande stets als "radikalislamisch" titulierte Partei ihrerseits von islamistischen Fundamentalisten herausgefordert, denen der politische Kurs der Hamas zu säkular ist. Wurde die Hamas anfangs von Israel als Konkurrenz zur Fatah toleriert, so ist diese nun selbst mit einer Radikalisierung konfrontiert, die den Nutzen aus äußerem Druck entstandener Fragementierungen für die dominanten Akteure nicht besser dokumentieren könnte.

Während die Abschottung des Gazastreifens durch Israel einer eindeutig gelagerten Konfrontation entspricht, erinnert die permanente Schließung der Grenze des Gebiets nach Ägypten in besonderer Weise daran, daß längst nicht mehr von einem Konflikt zwischen allen arabischen Staaten und Israel gesprochen werden kann. Die Regierung in Kairo macht sich als Erfüllungsgehilfin bei der Blockade Gazas nicht zuletzt deshalb nützlich, weil sie nach Israel zweitgrößte Empfängerin US-amerikanischer Militärhilfe ist. Die Einbindung des bevölkerungsreichsten arabischen Staats in eine von den USA initiierte Bündniskonstellation, die nicht nur Israels strategische Position verbessert, sondern für die westliche Hegemonie über die Region unverzichtbar ist, hat sogar das Massaker an der Bevölkerung Gazas überdauert.

Insofern ist die 14 Kilometer lange Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten der deutlichste Ausdruck dafür, daß die Solidarität mit den Palästinensern immer auch ein Eintreten für die Opfer der kapitalistischen Globalisierung darstellt. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Ägypter haben sich seit der Integration des Landes in das westliche Bündnissystem und der Übernahme des neoliberalen Gesellschaftsmodells drastisch verschlechtert. Ohne die massive Unterstützung des Westens wäre die Herrschaft des Präsidenten Hosni Mubarak und der ihn stützenden Oligarchie gegen das Aufbegehren der Arbeiter und Bauern des Landes längst nicht mehr haltbar. Da die oppositionelle Muslimbruderschaft zumindest an ihrer mitgliederstarken Basis Teil des sozialen Widerstands und die palästinensische Hamas aus ihr hervorgegangen ist, dient das Bündnis Ägyptens mit den USA, der EU und Israel zu einem Gutteil der Absicht, die eigene wie die palästinensische Armutsbevölkerung am Boden zu halten.

Das gemeinsame Interesse dieser Staaten an der Aufrechterhaltung des Status quo in Palästina wurde auf drastische Weise sichtbar, als die Bevölkerung Gazas Anfang 2008 die Grenze nach Ägypten durchbrach, um dort lange entbehrte lebensnotwendige Güter zu kaufen. Obwohl es sich um ein Geschehen von hohem symbolpolitischen Wert handelte, wurde es weder von westlichen noch von arabischen Regierungen als längst überfälliger Akt der Befreiung gefeiert. Anstatt diesen gewaltfreien Akt des Widerstands gegen Freiheitsberaubung und Aushungerung zu feiern, verlieh man der Sorge Ausdruck, wie man den Deckel wieder auf den Topf bekommt und den Schaden, den das spektakuläre Geschehen am Ansehen der Verbündeten Israels anrichtete, begrenzt. Die ägyptische Regierung vermied es zwar, die Palästinenser mit Gewalt am Ausbruch aus Gaza zu hindern, blockierte jedoch den Nachschub an Waren in die Region und bewirkte so, daß der irreguläre Grenzverkehr beendet wurde.

Ein Jahr nach dem Überfall der israelischen Streitkräfte auf Gaza, der von der ägyptischen Regierung durch die nur von wenigen Transporten schwerverwundeter Palästinenser durchbrochene Aufrechterhaltung der Grenzschließung unterstützt wurde, zeigt man sich in Kairo entschlossen, jede weitere Schwächung dieser angeblich für die eigene Souveränität unerläßlichen Politik zu verhindern. Obwohl die materielle Lage der Bevölkerung Gazas noch nie so schlecht war wie zur Zeit, unterstützt Kairo die Politik Israels, fast keine Hilfsgüter in das Gebiet zu lassen.

So liegt ein großer Transport mit humanitären Gütern für die Bewohner Gazas im jordanischen Hafen Akaba fest. Die ägyptische Regierung weigert sich, den Konvoi, der seinen Anfang am 6. Dezember in London nahm und auf dem Weg durch die Türkei und Syrien auf eine Größe von 250 Fahrzeugen anschwoll, auf direktem Weg zum Grenzübergang Rafah passieren zu lassen. Statt dessen soll die Ladung per Schiff um die Sinai-Halbinsel bis zum Mittelmeerhafen El Arish transportiert werden, was laut dem britischen Parlamentsabgeordneten George Galloway, der die von über 400 freiwilligen Helfern unterstützte Hilfsaktion leitet, eine halbe Million Dollar kostete und so viel Zeit benötigte, daß viele der Medikamente und Lebensmittel verderben würden. Ägypten hat bereits 16 Abgeordneten der türkischen AKP die Einreise verweigert, wogegen die Regierung in Ankara Protest eingelegt hat.

Auch die von mehr als 1400 Aktivisten aus 42 Ländern gebildete Delegation, die ein Zeichen gegen die seit drei Jahren währende Blockade Gazas setzen will, wird von der ägyptischen Regierung daran gehindert, den einzig möglichen Übergang in das Gebiet zu benutzen. Sie ist Teil des Gaza Freedom Marches, der am 31. Dezember in einer Großdemonstration mit zehntausenden Palästinensern gipfeln soll. Der Protestzug soll sich von einem beim Überfall der israelischen Streitkräfte besonders zerstörten Gebiet aus auf den Grenzübergang Erez am nördlichen Ende des Gazastreifens, den die palästinensischen Organisatoren als Symbol des ihnen auferlegten Apartheidregimes bezeichnen, zubewegen. Indem die Regierung in Kairo verhindert, daß die zum Teil prominenten internationalen Aktivisten in den Gazastreifen gelangen, entziehen sie den palästinensischen Demonstranten den von diesen ausgehenden Schutz gegen Übergriffe der israelischen Armee.

Die Gegenwart internationaler Unterstützer soll auch in deren Heimatländern das Bewußtsein für die schwierige Lage der Palästinenser und das ihnen angetane Unrecht schärfen. Beide Aktionen, der Hilfskonvoi und die internationale Delegation, sind dazu geeignet, bei den Bürgern der mit Israel verbündeten Staaten Fragen nach der eigenen Regierungspolitik laut werden zu lassen. Dies könnte die Erinnerung an eine internationale Solidarität wachrufen, für die die Lage der Palästinenser kein Sonderfall internationaler Politik ist, sondern ein besonders deutliches Beispiel für den zerstörerischen Charakter des kapitalistischen Weltsystems.

28. Dezember 2009