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FRIEDEN/1053: Bock USA macht sich zum Gärtner der Menschenrechte (SB)



Wenn das US-Außenministerium seinen aktuellen Jahresbericht zum Stand der Menschenrechte in aller Welt veröffentlicht, ist die Frage müßig, wer oder was die Regierung der aggressivsten Militärmacht legitimiert oder autorisiert, ausgerechnet auf diesem heiklen Gebiet über andere zu richten. Wie überall ist auch in diesem speziellen Fall das Recht aus der Gewalt geboren, ohne die es keine Existenzberechtigung besäße. Recht kann sich notwendigerweise nur dort etablieren, wo es über die Machtmittel seiner Durchsetzung gebietet, also in aller Regel an staatliche oder überstaatliche Gewalten gekoppelt ist. Daraus folgt einerseits, daß die militärische Übermacht aller Welt ihr Rechtsverständnis aufzuzwingen versucht, um auf diesem Wege ihre Dominanz im Raubsystem zu begründen.

Andererseits steht damit die Argumentation mit Menschenrechten grundsätzlich auf tönernen Füßen, da sie zwangsläufig an Gewalten appelliert, die den Opfern in den seltensten Fällen wohlgesonnen sein dürften. Der US-Regierung vorzuwerfen, sie fälle in ihrem Menschenrechtsbericht ein selektives Urteil, indem sie die einen bezichtigt, die andern aber ausspart, setzt zwar am Offensichtlichen an, führt aber allzu leicht aufs Glatteis der Akzeptanz nicht hinterfragter Menschenrechte. Wäre dem Menschen nicht eine Existenz in Freiheit und Würde genommen, bedürfte es keiner Bruchteile des Geraubten in Gestalt zugestandener Rechte, die man ihm als Karotte zum Zweck seiner Unterwerfung vor die Nase hält, wo der Prügel allein nicht fruchtet.

Der Bericht untersucht die Lage der Menschenrechte in 194 Ländern und konstatiert, daß Regierungen überall auf der Welt schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begehen. Das wird jedoch keineswegs auf den Umstand zurückgeführt, daß es sich eben um Regierungen handelt, sondern in Widerspruch zur ersten Aussage willkürlich auf die politische Führung bestimmter Staaten bezogen. Bezeichnenderweise wird in dem Jahresbericht die Lage der Menschenrechte in den USA, etwa im Gefangenenlager Guantánamo, mit keinem Wort thematisiert, was den Report als solchen disqualifiziert. Offensichtlich geht es den Autoren und Auftraggebern dieses Berichts nicht um die Menschen, sondern die Funktionalisierung der Menschenrechte, um eine Doktrin der Bezichtigung und Sanktionierung daraus abzuleiten.

Da sich das US-Außenministerium dieses grundsätzlichen Mankos durchaus bewußt ist, weist man bereits im Vorwort des Berichts die Kritik zurück, die USA untersuchten in dem Report zwar die Menschenrechtslage in anderen Ländern, nicht aber die eigene. Die Situation in den USA werde in "zahlreichen Foren" im Rahmen der internationalen vertraglichen Verpflichtungen immer wieder zum Thema gemacht, heißt es dazu ebenso vage wie ausweichend. Unter Ausblendung des Zusammenhangs, daß zur Kritik an der brutalen Durchsetzung US-amerikanischer Suprematie aller Anlaß besteht, erklärt man dieses Feld von vornherein für abgegolten und bringt ein Bezichtigungsregime in Stellung, das den Verbündeten vorsichtig auf die Finger klopft, während man die üblichen Verdächtigen um so gezielter aufs Korn nimmt.

Der Bericht wirft der irakischen Regierung vor, im vergangenen Jahr für "willkürliche Tötungen" verantwortlich zu sein, und beklagt, daß in Afghanistan die wachsende Gewalt vor allem zu Lasten von Zivilisten gehe. Die Regierung in Kabul sei immer weniger in der Lage, die Bevölkerung in ländlichen Regionen zu schützen. Diese Pseudokritik blendet jedoch den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem jahrelangen Sanktionsregime der westlichen Mächte, den Angriffskriegen sowie der Besetzung beider Länder und der verheerenden Lage der Bevölkerung vollständig aus, so daß sich die vergossenen Krokodilstränen unmittelbar als Manöver entlarven, das der fortgesetzten Drangsalierung Vorschub leistet.

Auch die Formulierung, im vergangenen Jahr hätten "viele Regierungen allzu breite Interpretationen von Terrorismus und Notverordnungen dazu verwendet, um die Rechte von Gefangenen einzuschränken und andere grundlegende Menschenrechte (...) zu beschneiden", wirft augenblicklich die Frage nach Bagram, Abu Ghraib, Guantánamo und anderen Kerkern und Folterstätten auf. Wer diese Instrumente eben jener Führungsmacht verschweigt, die sich als menschheitsgeschichtlicher Gipfel der Freiheit und Humanität geriert, muß sich gravierendere Einwände als die zahnlose Kritik gefallen lassen, er sei auf einem Auge blind.

Woher der verführerische Wind des vorgeblichen Einsatzes für die Menschenrechte weht, macht auch die augenfällige Abwesenheit jeder Kritik an der israelischen Regierungspolitik deutlich. Kein Wort zu dem Massaker im Gazastreifen und dessen Dauerblockade, kein Verweis auf die jahrzehntelange Unterdrückung palästinensischer Interessen. Statt dessen stellt der Report die Verhältnisse auf den Kopf, indem er behauptet, der Antisemitismus habe im vergangenen Jahr - vor allem seit der Invasion der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen im Winter 2008/2009 - weiter zugenommen. Die "neue Form" des Antisemitismus komme oft unter dem Deckmantel der Kritik an Israels Politik oder am Zionismus daher, überschreite dabei aber die Linie zur Dämonisierung aller Juden, was sich in körperlichen Angriffen auf Juden, Friedhofsschändungen und Beschwerden über ungebührlichen Einfluß von Juden in Politik und Medien manifestiere. So wenig rassistische Ideologie und Praxis in welcher Erscheinungsform auch immer zu akzeptieren und tolerieren sind, überspringt der Winkelzug, einen "neuen" Antisemitismus zu postulieren, doch gezielt das breite Feld allzu berechtigter Kritik an der Unterdrückung der Palästinenser.

Um kurzatmige Kritiker mit dem Anschein von Objektivität zu leimen, befleißigt sich der Bericht einer zur Schau getragener Besorgnis über Antisemitismus und die Diskriminierung von Muslimen in Europa. Wer hat die Regierungen Europas auf den Geschmack gebracht, sich der Koalition der Willigen anzuschließen, in den sogenannten Antiterrorkrieg einzutreten und dabei Muslime zum Hauptfeind von Demokratie und Fortschritt zu erklären? Nicht, daß die Europäer an diese Front getragen werden mußten, doch ihnen zunächst diesbezügliche Vorbehalte um die Ohren zu schlagen, um heute scheinheilig ihre Diskriminierung von Muslimen zu rügen, bedarf schon unübertroffener Perfidie. Das deutsche Kopftuchverbot, das Minarettverbot in der Schweiz, die Übergriffe in den Niederlanden oder Sarkozys Vorschlag, Burkas zu verbieten, werden genannt und um weitere Formen von Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung von Minderheiten ergänzt, doch geschehen diese nach Lesart des Reports in Ländern mit einem "traditionell hohem Respekt für Menschenrechte". Die Europäer im Nebenlauf zu lektionieren, wer der Herr im Haus ist, kann aus Perspektive Washingtons niemals schaden, da man auf ihre Schützenhilfe dringend angewiesen ist, für ihre Restbestände an alteuropäischen Skrupeln jedoch nicht das geringste Verständnis hat.

Schurkenstaaten sind die Nationen Westeuropas deswegen aber nicht, da man dieses vernichtende Urteil - auch wenn man diese Bezeichnung heutzutage nicht mehr an die große Glocke zu hängen braucht, da sie weithin geschluckt ist - für die aktuellen oder künftigen Kriegsziele reserviert. Hervorgehoben wird der Iran, wo sich die Lage angesichts der Gewalt gegen Demonstranten nach den Wahlen vom Juni 2009 erheblich verschlimmert habe. Kuba, Nordkorea und der Sudan stehen ganz oben auf der Liste. Das europäische Land mit dem geringsten Respekt für Menschenrechte sei weiterhin Weißrußland, und auch in Rußland habe die Regierung im vergangenen Jahr die Meinungsfreiheit und die Unabhängigkeit der Medien weiter beschränkt. Und nicht zuletzt bleibe die Menschenrechtsbilanz der chinesischen Regierung schlecht und verschlimmerte sich sogar in einigen Bereichen, wozu das Vorgehen gegen die Minderheit der Uiguren und in Tibet, wie auch die Verfolgung von Dissidenten und Aktivisten zähle. Ausdrücklich bemängelt der Bericht den mangelnden Respekt für Menschenrechte bei US-Verbündeten wie Pakistan und Ägypten, was einerseits einen Anflug von Objektivität simulieren soll und andererseits als Drohung aufgefaßt werden kann: Washington bindet die pakistanische Führung in seinen Kriegszug ein und drängt die Ägypter, sich noch entschiedener an der Unterwerfung palästinensischen Widerstands zu beteiligen.

Liest man den Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums im Kontext des "Antiterrorkriegs", weist er eklatante Übereinstimmungen mit einem strategischen Drehbuch des globalen Feldzugs auf. Verbündete werden ermahnt, bereits vorgetragene Angriffskriege gerechtfertigt, potentielle Gegner bedroht und die Kontrahenten der letzten Schlacht ins Visier genommen. Bleibt einem da nicht der von Zweifeln ungetrübte Ruf nach den Menschenrechten im Halse stecken?

12. März 2010