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FRIEDEN/1121: Die zivil-militärische Befriedung des Kirchentags (SB)




In einigen Universitäten stößt Verteidigungsminister Thomas de Maizière noch auf Widerstand bei dem Versuch, die weitere Militarisierung der Gesellschaft voranzutreiben. Nicht so auf dem 34. Deutschen Evangelischen Kirchentag. Als der CDU-Politiker am Freitag dort auf einem Podium auftritt, auf dem das Thema "Willkommen zu Hause? Auslandseinsätze - Verantwortung und Folgen" verhandelt wird, bleiben Proteste bis auf einige Meinungsbekundungen auf Transparenten aus. Daß seine Forderung, man dürfe den rund 200.000 Soldaten, die bereits für die Bundeswehr im Afghanistankrieg waren, "auch mal danke sagen", in den Medien zur titelgebenden Meldung über den Einsatz des Ministers an der Glaubensfront wird und ohne weiteren Widerspruch bleibt, markiert ein friedenspolitisches Verständnis, das der Bundeswehr nicht weniger zugute kommt als Nichtregierungsorganisationen oder staatlichen Entwicklungshilfeorganisationen.

Die 120.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des mit 18,5 Millionen Euro finanzierten Kirchentags, auf dem sich die erste Garnitur aus Regierung und Parteien um die Mikrofone drängelt, frönen einem gesellschaftlich integrativen Protestantismus, dem grundstürzende Fragen nach dem Verhältnis von Mensch und Gewalt oder nach der Legitimität imperialistischer Kriege nicht fremder sein könnten. Daß die Bundeswehr in militärischen Interventionen etwas anderes täte als dem Frieden zu dienen, kann unter diesen Bedingungen nicht ernsthaft in Frage gestellt werden. Warum wohl stehen Auslandseinsätze in geostrategisch bedeutsamen Regionen ganz oben auf ihrer Agenda, während dem humanitären Anliegen, das Leid in den Elendszonen des massenhaften Hungers zu lindern, nicht annähernd so viel Mittel zur Verfügung gestellt werden wie gewaltsamen Eingriffen?

Wenn der Verteidigungsminister verlangt, auch die Kirchen müßten ihren Beitrag zur Anerkennung der Soldatinnen und Soldaten leisten, dann scheinen Christen dies als mitmenschliche Pflicht zu verstehen. Zu kritisieren, daß Anerkennung in der kapitalistischen Gesellschaft ebenso ein Instrument der Unterwerfung wie ein affektives Gut ist, das in kalter Funktionalität zum Erreichen herrschaftlicher Ziele eingesetzt wird, scheint an der Indifferenz des Liebesgebots zu scheitern. Wenn der EKD-Friedensbeauftragte Renke Brahms den Vorrang ziviler vor militärischen Hilfen anmahnt und bei de Maizière damit offene Türen einrennt, dann ist der Boden für eine wunderbare Freundschaft gelegt, die im gemeinsamen Eintreten für die hegemonialen und ökonomischen Vorteile Deutschlands in der globalen Nationenkonkurrenz ihren zutiefst befriedigenden Sinn erfüllt. Brahms' Forderung nach mehr zivilen Elementen im globalen Krisenmanagement, die etwa auch "eine stehende Gruppe zur Krisenprävention" [1] umfassen könnten, war nicht in ausschließender Weise gegen den Einsatz von militärischer Gewalt gerichtet, sondern ergänzt diesen auf sinnstiftende Weise.

Das Argument, nach dem Einsatz ziviler Krisenpräventionskräfte wüßten die Soldatinnen und Soldaten, daß nun alle möglichen Mittel bis auf das ultimative der militärischen Gewaltanwendung ausgeschöpft worden seien, könnte nicht besser belegen, daß kriegslegitimatorischen Winkelzügen auf diese Weise Tür und Tor geöffnet werden. Nicht nur aus der Geschichte des Jugoslawien- und Irakkriegs ist bekannt, daß zivile Einsatzkräfte immer wieder strategisch zur Durchsetzung der politischen Ziele der Aggressoren wie taktisch als Mittel der Spionage eingesetzt werden. Die Welt des Krieges mit der bloßen Vokabel "zivil" zu einer besseren zu machen, kann vielleicht auf einem Kirchentag verfangen. Doch das Instrumentarium militärisch durchgesetzter Hegemonialpolitik ist aus ganz pragmatischen Gründen auf die Einbindung ziviler Kräfte ausgerichtet - sie erhöhen die politische und gesellschaftliche Akzeptanz der Kriegführung, sie neutralisieren potentiell oppositionelle Kräfte durch die Professionalisierung der NGO-Arbeit und ihre Rekrutierung für die Staatsräson, sie verschaffen den Planern der NATO-Staaten Zugänge zu den betroffenen Bevölkerungen, die uniformierte Akteure nicht erhalten, und sie befrieden ein ansonsten von irregulären Kämpfern bedrohtes Terrain zugunsten der Besatzungsmächte.

Wer in der EKD noch wirksam gegen Krieg und Unterdrückung protestieren will, der käme der Problematik, daß Kriegsakteure sich bestens darauf verstehen, ihren Zielen zuwiderhandelnde Kräfte einzubinden, am schnellsten auf die Spur, indem er das Ziel des "Friedens" in seiner vermeintlichen Gegenposition zum Krieg kritisch untersuchte. So lange der Frieden einer auf Eigentum und Kapitalverwertung basierenden Gesellschaft zahllose zivile Opfer hervorbringt, gilt das Kriterium des sozialen Kriegs. Das Postulat des Friedens arbeitet herrschenden Zwecken gerade dadurch zu, daß die vermeintliche Ausnahme des Krieges mit einem zivilen Regelfall konterkariert wird, dessen vernichtende Potentiale entweder ignorant in Kauf genommen oder regulativen Instanzen überantwortet werden, die sich, wie etwa die zivile Konfliktprävention im Vorfeld des Krieges, schon auf diese oder jene Weise darum kümmern werden. Der Friede, wie ihn Christen im Idealfall verstehen mögen, bleibt Utopie in einer Welt, in der die Herrschaft des Menschen über den Menschen die zentrale Achse aller sozialen und gesellschaftlichen Ordnung ist. Die mit Stacheldraht umfriedete Weide, auf der die Herde des Großbauern darauf wartet, ihrem für sie tödlich endenden Nutzen zugeführt zu werden, kann nur solange für akzeptabel erachtet werden, als ihre blutigen Grenzen nicht berührt werden. Eine christliche Streitbarkeit, der es selbstverständlich ist, daß der Friede der Paläste den Krieg der Hütten voraussetzt, kann und sollte unter dem Dach der institutionalisierten Religion und etablierten Amtskirche nur stören.

Fußnote:

[1] http://aktuell.evangelisch.de/artikel/82745/verteidigungsminister-thomas-de-maiziere-fordert-mehr-anerkennung-fuer-deutsche

4. April 2013