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HEGEMONIE/1644: Tony Blair ... glaubensfester Hohepriester der "schöpferischen Zerstörung" (SB)



Wer sich heute entrüstet über die Uneinsichtigkeit des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair zeigt, der vergißt, daß der Irakkrieg nicht von ihm alleine vorbereitet wurde. Natürlich hat sich Blair bei seinem Auftritt vor der Chilcot-Kommission, die das Zustandekommen des Überfalls der USA und Britanniens auf den Irak untersucht, die Geschichte zurechtgelogen. Es ist jedoch sehr die Frage, ob man einem Politiker, der in einer wichtigen Position des transatlantischen Kriegsbündnisses ausführt, was dort mehrheitliche Zustimmung genießt, mit moralischen Kriterien auf eine Weise gerecht wird, die vergleichbare Entwicklungen in der Zukunft verhindert. "Bliar", wie er von britischen Kriegsgegnern getauft wurde, hat zwar im Tandem mit George W. Bush gegen den Einspruch Deutschlands und Frankreichs Krieg im Irak geführt, wurde darin jedoch von beiden Ländern vorher und nachher unterstützt. Seine historische Bedeutung, deren positive Bewertung hochzuhalten sein ganzes Streben zu sein scheint, ist die eines politischen Vollstreckers imperialistischer Interessen, die stets der Rückendeckung starker Kräfte in Staat und Gesellschaft bedürfen, um mit kriegerischen Mitteln durchgesetzt zu werden.

Schon der unter Beteiligung Britanniens mit Zustimmung der sogenannten internationalen Gemeinschaft 1991 erfolgte Krieg gegen den Irak war in Anbetracht der umfassenden Zerstörung der zivilen Infrastruktur des Landes, der Angriffe auf die Zivilbevölkerung, die über 100.000 Todesopfer zu beklagen hatte, der Massakrierung fliehender oder in ihren Schützengräben von Bulldozern der US-Armee lebendig begrabener Soldaten ein ausgemachtes Verbrechen der Angreifer. Das UN-Mandat, das diesen Angriffskrieg auch heute noch zu einem vermeintlich gerechten macht, hatte die USA und Britannien keineswegs damit beauftragt, das Land in die Steinzeit zurückzubomben. Auch die sich an diesen verheerenden Bombenkrieg anschließende Aushungerung des Landes durch ein Wirtschaftsembargo, das die schwerwiegendste Zwangsmaßnahme gegen ein souveränes Mitglied der Vereinten Nationen unterhalb der Schwelle des offenen Krieges darstellte und Hundertausende Iraker einen vorzeitigen Tod bescherte, wurde durch die sogenannte internationale Gemeinschaft, also auch Deutschland, unterstützt. Nachrichtendienste wie der BND leisteten Handlangerdienste zur Bezichtigung des Iraks und zur Vorbereitung des Krieges 2003, den die Bundesrepublik zudem mit logistischen Hilfsleistungen unterstützte.

Nicht vergessen werden sollte auch die große Einigkeit, mit der die NATO-Staaten Jugoslawien überfielen. Tony Blair fungierte damals als Verfechter einer ethisch motivierten Außenpolitik, deren Superlative nicht schwülstig genug sein konnte, um den Blutzoll der jugoslawischen Bevölkerung in ein sakrales Opfer auf dem Altar des humanitären Interventionismus zu verwandeln. Bezeichnenderweise nahmen die britische Regierung wie auch andere NATO-Staaten schnell Abschied von den hochtrabenden Ansprüchen, mit denen sie diesen Krieg führten, als ihre imperialistischen Motive immer weniger zu leugnen waren. Noch vor dem 11. September 2001 forderte der außenpolitische Berater Tony Blairs, Robert Cooper, einer der wichtigsten Strategen des EU-Militarismus und Verfechter eines angeblich neuen, wohlmeinenden Imperialismus, daß man sich an die doppelten Standards in der eigenen Außenpolitik, also den widersprüchlichen Umgang mit den in Anspruch genommenen Werten, gewöhnen müsse. Schließlich hatte sich ergeben, daß die Aggressoren im Jugoslawienkrieg hinsichtlich der Verbrechen, die sie der Belgrader Regierung anlasteten, maßlos übertrieben hatten, um ihren völkerrechtswidrigen Krieg rechtfertigen zu können. Das allerdings ändert nichts daran, daß man sich auch in diesem Fall bis heute einer rechtfertigenden Sprachregelung befleißigt, die darauf hinausläuft, das nun einmal Geschehene aus praktischen Erwägungen, sprich der Sicherung der damit durchgesetzten EU-Hegemonie, gutzuheißen.

Blair kann sich mit seinem Insistieren darauf, daß die Welt ohne Saddam Hussein eine bessere wäre, er also mit dessen Sturz prinzipiell richtig lag und nichts zu bedauern habe, auf eine Sprachregelung berufen, die auch von vielen deutschen Politikern geteilt wird. Zumindest unter den maßgeblichen Eliten der EU und USA ist es Konsens, daß man mit dem Ergebnis dieses Krieges auf lange Sicht zufrieden sein kann. Blairs Rückgriff auf die moralisierende Bezichtigung des gestürzten irakischen Präsidenten als "Monster" darf zudem als Vorgriff auf kommende Ereignisse verstanden werden. Die sich auch in der Bundesrepublik große Zustimmung erfreuende Dämonisierung Saddam Husseins hat ihre Wirkung nicht verfehlt und wird nun an den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmedinejad weitergereicht. Blairs vor der Chilcot-Kommission erhobene Forderung, man dürfe "Schurkenstaaten" nicht zugestehen, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln, ist mithin nicht nur rückwärts gerichtete Rechtfertigung, sei man doch vom Vorhandensein dieser Bedrohung im Irak überzeugt gewesen, sondern auch Vorgriff auf den nächsten Angriffskrieg, den man ex post erneut allen Widerlegungen der in Anspruch genommenen Gründe zum Trotz als lohnenswerte Investition in eine friedlichere, weil von westlichen Staaten bestimmte Weltordnung rechtfertigen wird. So erweist sich Blairs Vergehen, wie die vom ehemaligen UN-Funktionär Hans Blix genutzte Sprachregelung, der britische Premierminister habe sich lediglich "geirrt", belegt, als zukunftsweisende Investition in die eigene Vergangenheit, die am Iran zu wiederholen entsprechend positive Resultate erbringen soll.

Wie systematisch und absichtsvoll dieser Hohepriester des Neoliberalismus, der den von Margret Thatcher und Ronald Reagan eingeleiteten Paradigmenwechsel mit einer linksliberalen Message vollends hegemonial werden ließ, die Neue Weltordnung mit Kriegen ins Werk setzte, die schon deshalb geführt werden mußten, weil das Prinzip der "schöpferischen Zerstörung" mit ihnen am effizientesten anzuwenden war, dokumentiert die programmatische Rede, mit der Blair auf dem Parteitag der Labour Party in Brighton am 2. Oktober 2001 zur Neuordnung der Welt aufrief. An der Seite der USA, an der Britannien "bis zum Letzten" stehen werde, wolle er die nachrangige Position, die Britannien innerhalb der EU innehat, in globale Superiorität verwandeln. Die Attentäter des 11. September gelobte Blair in einem Krieg zur Strecke zu bringen, dessen siegreicher Ausgang für ihn bereits feststand. Osama Bin Laden sollte als "Schlächter mittelalterlicher Kreuzzüge" für etwas büßen, das ihm gar nicht nachgewiesen werden konnte, was nicht weiter von Belang war, da es sich bei den künftigen Angreifern um eine "Koalition der Guten und Gerechten" handeln sollte.

Die Ankündigung neuer Kriege begründete Blair damals recht unverhohlen mit einem Dezisionismus, wie er im Buche Machiavellis steht. Nun gelte es, die Gelegenheit zu umfassenden Veränderungen nicht ungenutzt verstreichen zu lassen:

"Das ist der Augenblick, um zuzupacken. Das Kaleidoskop wurde geschüttelt, die Teile sind in Bewegung, bald werden sie sich wieder niederlassen. Laßt uns diese Welt um uns herum, bevor sie das tun, neu ordnen und moderne Wissenschaft benutzen, um Wohlstand für alle zu schaffen."

Die verheerenden Ergebnisse seines Bemühens um die Durchsetzung menschlicher Würde und sozialer Gerechtigkeit "von den Slums Gazas bis zu den Bergen Afghanistans" sprechen für sich selbst. Die soziale Frage wurde in der Neuen Weltordnung vollends gegen diejenigen gewendet, die sich nicht damit zufrieden geben, sie, wie es Blairs vordringliches Anliegen war und ist, im Sinne der Herrschenden zu beantworten. Schon zu seiner Amtszeit zeigte sich, daß er mit der Schaffung von Wohlstand nicht die Beseitigung massiven Mangels meinte, sondern dessen bloße Verwaltung zwecks fortdauernder Umverteilung von unten nach oben. Ihm ging es darum, sozialtechnokratische Lösungen für die Ausgrenzung und Maßregelung armer, der kapitalistischen Produktivität entbehrlicher Menschen zu schaffen. Blairs historische Bedeutung erschließt sich in der ideologischen wie praktischen Durchsetzung eines Akkumulationsregimes, dem die Unterdrückung der eigenen Bevölkerung, für das das hochentwickelte Repressions- und Bezichtungssystem Britanniens ein leuchtendes Vorbild ist, und die aggressive Durchsetzung der eigenen Interessen in aller Welt ständige Begleiter sind. Dieser europäische Politiker hat durchaus Geschichte geschrieben. Sie wird in den ungehört verhallenden Schreien der jugoslawischen, irakischen, afghanischen und palästinensischen Kriegsopfer, im stummen Elend des globalen Subproletariats so manifest, daß man ihn, wenn er nur anhand seiner im Vorfeld des Irakkriegs erbrachten Leistungen kritisiert wird, unter Wert handelt.

30. Januar 2010