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HEGEMONIE/1646: An Griechenland wird ein Exempel der EU-Ermächtigung vollzogen (SB)



"Bestraft Griechenland!" Die Überschrift zum Leitartikel der Financial Times Deutschland (FTD) vom 2. Februar ist exemplarisch für den Tenor, der die Wirtschaftspresse und die Stellungnahmen der Finanzmarktexperten derzeit bestimmt. Griechenland wird nicht nur die Manipulation der Angaben zu seiner volkswirtschaftlichen Entwicklung und eine zu laxe Hauhhaltsdisziplin zum Vorwurf gemacht, sondern regelrechtes "Schmarotzertum" (FTD, 02.02.2010) angelastet. So weist der EU-Haushaltsbericht 2008 eine Summe von gut 6 Milliarden Euro aus, die das Land als größter Nettoempfänger aus dem EU-Budget erhalten hat, während die Bundesrepublik mit 11 Milliarden Euro größter Nettozahler war.

Die nun im Raum stehende Befürchtung, ein Staatsbankrott Griechenlands könne auf andere Mitglieder der Währungsunion übergreifen und den Euro insgesamt beschädigen, hat zwar zur Verschärfung des bereits im April 2009 eingeleiteten Defizitverfahrens durch die EU-Kommission geführt, doch das scheint vielen EU-Politikern noch nicht zu reichen. So verlangt der Sonderausschuß zur Wirtschafts- und Finanzkrise im EU-Parlament die Einsetzung eines Hohen Beauftragten der EU in Athen. Er soll der griechischen Regierung genau auf die Finger schauen und zusätzlich zu den von ihr zugesagten Einsparungen weitere Maßnahmen empfehlen. Zudem könnte er, so der Ausschußvorsitzende Wolf Klinz von der FDP, "als möglicher Blitzableiter für unpopuläre Maßnahmen dienen" (Welt online, 04.02.2010). Da die Regierung aufgrund der unpopulären Maßnahme, mit denen sie die Bevölkerung traktieren muß, unter erheblichen Druck gerate, könne der Hohe Beauftragte "als unabhängige Instanz helfen, die notwendigen Maßnahmen mit aller Härte durchzusetzen", so Klinz.

Was Bundesbürgern durch die Verabschiedung von Gesetzen bekannt ist, denen eine EU-Richtlinie vorausgeht, die zwingend in nationales Recht umgesetzt werden muß, soll in diesem Falle auch auf exekutive Maßnahmen angewendet werden. Wenn die Abgeordneten eines angeblich souveränen Staates über Bande spielen, indem sie erklären, keine wirkliche Entscheidungsbefugnis bei der Verabschiedung eines solchen Gesetzes zu besitzen, dann entspricht dies hinsichtlich ihrer demokratischen Kompetenz einem Offenbarungseid. Das gilt auch für eine Regierung, die unter die Vormundschaft eines EU-Emissärs gestellt wird, der hoheitliche Befugnisse in Anspruch nimmt. Es machte mithin keinen Sinn mehr, die EU als Bund souveräner Staaten zu bezeichnen. Sie wäre bestenfalls ein Bundesstaat, das konkrete Beispiel einer solchen Zwangsverwaltung Griechenlands ließe sich aber auch als neokolonialistisches Gewaltverhältnis darstellen.

Der Brustton der Empörung, in dem deutsche Politiker, Journalisten und Ökonomen die Bestrafung nicht etwa Griechenlands, sondern der griechischen Bevölkerung verlangen, spricht auf jeden Fall für letzteres. Die Bundesrepublik zahlt schließlich nicht aus bloßer Menschenfreundlichkeit in den EU-Haushalt ein, sondern investiert in einen Wirtschafts- und Währungsraum, der das hochproduktive Land in besonderer Weise begünstigt. Die Durchsetzung einer restriktiven Lohnpolitik hat der deutschen Wirtschaft Wettbewerbsvorteile verschafft, die sich nur deshalb zu Lasten anderer Volkswirtschaften entfalten können, weil diese sich im Rahmen der europäischen Integration der deutschen Exportwirtschaft geöffnet haben. Unter Druck geraten dabei die Lohnabhängigen beider Länder. Die deutschen Arbeiter werden durch die Verfügbarkeit billigster Arbeitskräfte im eigenen Land wie aus anderen EU-Staaten in ihren Lohnforderungen gebremst, die griechischen Arbeiter müssen mit 4,7 Prozent eine der höchsten Teuerungsraten der EU beim Massenkonsum in Kauf nehmen und werden gleichzeitig durch Sozialkürzungen in die Enge getrieben.

Die stark dienstleistungsorientierte Wirtschaft Griechenlands wurde durch den Rückgang im Welthandel, der Einkommensquelle der großen Reedereien des Landes, und durch die allgemeine Verarmung im Bereich des Tourismus schwer von der Wirtschaftskrise getroffen. Obwohl die Krise den sozialfeindlichen Charakter des neoliberalen Strukturwandels ultimativ unter Beweis gestellt hat, werden dem Land weiterhin eine ungenügend vollzogene Deregulierung und Privatisierung der Wirtschaft wie zu großzügig ausgestattete soziale Sicherungssysteme vorgehalten. Das verschärfte Defizitverfahren und seine mögliche Beaufsichtigung durch einen EU-Beauftragten folgt denn auch einer strikt marktwirtschaftlichen Rezeptur. Was schon in Zeiten des Wirtschaftswachstums negative Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung mit essentiellen Gütern und Dienstleistungen hat, soll nun erst recht gegen die Interessen der Griechen durchgesetzt werden.

Man will an ihnen ein Exempel statuieren, um weiteren Abstürzen hochverschuldeter EU-Staaten mit Sparmaßnahmen entgegentreten zu können, die nicht minder unpopulär als in Griechenland sind. Wer sich die EU nicht als Vollzugsorgan ins Haus holen möchte, soll frühzeitig zu harten Einschnitten greifen, lautet die Botschaft dieser vertragskonformen Ermächtigungspolitik. Wichtiger als das Auskommen der Bevölkerungen ist ein starker Euro, der durch die Konvergenzkritierien garantiert werden soll, die Griechenland so drastisch verletzt hat. Die finanz- und handelspolitische Stärke der EU im kapitalistischen Weltsystem ist nur zum Preis wachsenden Elends in ihren Mitgliedstaaten zu halten, signalisieren die Zuchtmeister in den wohlhabenden Zentralstaaten der Europäischen Union. Dabei wird der Ball gerne an die abstrakte Kategorie des Markts weitergegeben. EU-Währungskommissar Joaquin Almunia erklärt die Unabdinglichkeit der Zwangsmaßnahmen mit dem "Druck der Märkte, der nicht ignoriert werden kann" (The Guardian, 03.02.2010). Am Ende, wenn das soziale Elend überhand nimmt und die Menschen sich wehren, will es niemand gewesen sein.

Die EU-administrative Maßregelung verfolgt nicht nur konkrete finanzpolitische Ziele, sie ist auch Ausdruck einer Subordination, die desto aggressiver durchgesetzt wird, je widerständiger das Potential der Betroffenen ist. Strafe muß sein zur Disziplinierung einer Bevölkerung, in der eine traditionell starke Linke ihre Kampffähigkeit wiederholt unter Beweis gestellt hat. Dem "Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" (Art. 120 AEUV), an den die Wirtschaftspolitik der EU gebunden ist, sind sozialpolitische Ziele nachgeordnet, wie deren Bindung an die "Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Union zu erhalten" (Art. 151 AEUV), belegt. Wem die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen wichtiger ist als das Erreichen der erklärten wirtschaftspolitischen Ziele, der steht im Widerspruch zu einer europäischen Ordnung, die nicht erst mit dem Vertrag von Lissabon von der Dominanz kapitalistischer Interessen bestimmt ist.

4. Februar 2010