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HEGEMONIE/1711: Nach dem Ende des Terrorkriegs eine neue Ära kolonialistischer Übergriffe ... (SB)



Dem Todeskandidaten Osama bin Laden den Codenamen eines der berühmtesten widerständigen Indianer der USA zuzuweisen zeugt von einem profunden kolonialistischen Selbstverständnis der Planer des Pentagon. Der Apachenhäuptling Geronimo galt bis zu seiner Ergreifung 1868 als einer der geschicktesten und wehrhaftesten Strategen unter den gegen ihre Unterwerfung kämpfenden Ureinwohnern Nordamerikas. Die innere Kolonisation des Landes, die bei der Darstellung der USA als antikolonialistische Alternative zu Britannien und Frankreich stets unterschlagen wird, legte den Grundstein zur welthegemonialen Rolle der Vereinigten Staaten. Die Verwendung dieses Namens meint nichts geringeres als die Fortschreibung einer blutigen Tradition, die zu dechiffrieren des Stigmas des Bösen nicht bedarf, das Bin Laden so fest anhaftet, daß keine Kritik an seiner Hinrichtung durch ein US-Spezialkommando ohne Verweis darauf auskommt, daß er es natürlich verdient habe. Geronimo, der noch auf dem Sterbebett bedauerte, nicht bis zum bitteren Ende Widerstand gegen die weißen Eindringlinge geleistet zu haben, im Umkehrschluß mit dem Brandgeruch des Terrorismus zu kontaminieren teilt etwas über die dunkle Seite eines Wertekodex mit, das man in der Bundesrepublik eher nicht zur Kenntnis nehmen möchte, weil es verheerende Kriege im Namen des Guten begründet.

Wie das Bild des in atemloser Spannung vor der Videoübertragung des Angriffs auf Bin Ladens Anwesen in Abbottabad verharrende Washingtoner Regierungskabinett verrät, ist die Kultur des Echtzeitimperialismus auch im Weißen Haus angekommen. Was die Fans der TV-Serie "24" [1] während der ganzen Dekade des Globalen Kriegs gegen den Terrorismus genießen konnten, kommt mit der datenelektronisch vernetzten Kriegführung beim US-Präsidenten und seinen Ministern nun als Exklusivvorstellung frei Haus. Das Wissen darum, als Beobachter staatlicher Grausamkeiten auf jeden Fall besser bedient zu sein denn als Objekt derselben, eint sie mit dem großen Publikum der emblematischen Fiktionalisierung des Terrorkriegs namens "24". Wie die kulturindustrielle Ikone des Durchgreifens um jeden Preis, der Regierungsagent Jack Bauer, immer wieder vorgeführt hat, muß das Recht gebrochen werden, um es vollziehen zu können. Nur der Wille zur Tat zeitigt Ergebnisse, an die sich anknüpfen läßt, so daß die Moral eigenen Handelns nicht flexibel genug sein kann, um all die Grausamkeiten zu rechtfertigen, die als Preis des Erfolges angeblich unvermeidlich sind.

Das als Fernsehunterhaltung zu Bier und Chips spannend aufbereitete Foltern und Morden läßt ahnen, daß Bin Ladens Ende lediglich der Beginn eines neuen Abenteuers ist, das der Friedensnobelpreisträger und sein Team bei der Rettung der Welt zu bestreiten haben. Schon die martialische Rhetorik des exekutiven Rechtsstaats belegt, daß der Terrorkrieg keineswegs vorbei ist, sondern seine Form verändert. Die nach dem 11. September 2001 von US-Politikern prognostizierten Jahrzehnte, die dieser Krieg dauern werde, waren nicht nur der eindrücklichen Wirkung der damaligen Anschläge geschuldet. Der weite Blick auf den "langen Krieg", zu dem der Globale Krieg gegen den Terrorismus 2006 umgewidmet wurde, reichte schon damals bis zum Horizont einer globalen Neuordnung, die sich nicht mit einigen Eroberungskriegen würde bewerkstelligen lassen.

Was nun zu einer Zeit, da die arabische Welt endlich gegen ihre Despoten und Oligarchen aufsteht, mit der Ausweitung des Krieges auf Libyen und dem Warnschuß an die Adresse des syrischen Präsident Bashir al Assad erfolgt, bedarf des "Topterroristen" Bin Laden nicht mehr. Seine sinistre Gestalt hat ausgedient, weil der von ihm verkörperte militante Fundamentalismus nicht einmal zum Zerrbild eines arabischen Entwicklungspfades taugt und sich nicht mit dem Hindernis in Deckung bringen läßt, das der Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens nun im Wege steht. Das Aufbegehren der politisch unterdrückten und materiell verelendeten arabischen Massen richtet sich ebenso gegen eine theokratische Ordnung, wie sie durch den politischen Islam verkörpert wird, als auch gegen den säkularen Ideologieimport einer westlichen Konsumkultur, die die Länder der Region eher als Schuttabladeplatz zur Entsorgung eigener Verwertungsprobleme denn als souveräne Partner auf Augenhöhe behandelt. Die Ablehnung äußerer Bevormundung ist dort weit verbreiteter, als die mit Versprechungen der NATO-Staaten geköderten ostlibyschen Rebellen vermuten lassen. Je gefestigter das Selbstbewußtsein der Bevölkerungen zwischen Marokko und Pakistan wird, desto mehr werden sie sich einer Vereinnahmung entgegenstellen, die die Opfer autokratischer Herrscher einmal mehr in Verbrauchsstoff für fremdnützige Produktivität verwandeln soll.

Die Chance zum andauernden, die eigenen Despoten als Auswuchs globalhegemonialer Strategien begreifenden Widerstand besteht, das belegen schon die in Anschlag gebrachten Kooptations- und Konterstrategien. Als probates und schnell wirksames Mittel gilt unter anderem, die Definitionshoheit der westlichen Hegemonialmächte anhand vertrauter Narrative zu sichern. In Libyen bombardiert die NATO für Freiheit und Demokratie, und wer ihr das nicht abnimmt, ist ein Feind der offensichtlich zur bunten Revolution degenerierten demokratischen Erhebung. Auch in Syrien und im Iran steht die Kaperung genuiner Demokratiebewegungen durch äußere Akteure auf dem Programm. Da die Probleme dieser Bevölkerungen mit ihren Herrschern hausgemacht sind und bislang nicht, wie etwa in Jordanien und Saudi-Arabien, von mächtigen äußeren Akteuren gestützt werden, zieht sich diese Entwicklung in die Länge. Dennoch gilt auch dort, daß das fragile Gefüge einer in Transformation befindlichen Staatenwelt mit massiver Außenwirkung erschüttert wird, um die aufbegehrenden Menschen weiterhin zum Spielball ihnen undurchschaubar erscheinender Kräfte zu machen.

So mündet der symbolische Abschluß des fast zehnjährigen Feldzugs gegen die Attentäter von New York und Washington in neue Kriege, anstatt die versprochene Befriedung und Befreiung einzulösen. Was die betroffenen Bevölkerungen in immer neue Nöte stürzt, dient dem strategischen Ziel, das Heft des Handelns in der Hand zu behalten, auch wenn man die Auswirkungen eigener Entscheidungen bequem am heimischen Bildschirm miterlebt.

Fußnote:

[1] KULTUR/0844: "24" ... Jack Bauer geht, der Ausnahmezustand bleibt (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele0844.html

4. Mai 2011