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HEGEMONIE/1736: Satellitennavigationssystem Beidou - China stärkt seine Zweitschlagskapazität (SB)



Eine Armee, die auf die satellitengestützten Navigationsplattformen eines potentiellen Gegners angewiesen ist, bietet ihm dauerhaft eine offene Flanke an. So erging es bislang China, dessen Streitkräfte auf Daten des US-amerikanischen Global Positioning System (GPS) zurückgreifen, was selbst die Steuerung der Interkontinentalraketen CCS-9 einschließt. Am Dienstag teilte Peking mit, es habe sein eigenes Satellitennavigationssystem namens Beidou (Kompaß) in Betrieb genommen. Bis Ende nächsten Jahres soll das System weite Teile Asiens, spätestens bis 2020 die ganze Welt abdecken. [1]

Die Chinesen haben Beidou in relativ kurzer Zeit aufgebaut und sind an den Europäern mit deren GPS-Alternative, Galileo, vorbeigezogen. Dem Hochdruck, mit dem China dieses Projekt verfolgt hat, dürften militärische Analysen vorausgegangen sein, die ein aus Sicht der chinesischen Experten unvorteilhaftes Bild zeigen: Die USA könnten einen militärischen Konflikt - beispielsweise um die Spratley-Inseln, Taiwan, den Bruderstaat Nord-Korea, etc. - in ihrem Sinne erfolgreich durch Ausschalten des GPS beeinflussen und damit China kräftig gegen das Schienbein treten. Abgesehen davon besäße das im Aufstreben begriffene chinesische Reich erhebliche Nachteile im Falle einer unmittelbaren Konfrontation mit dem vom Niedergang bedrohten US-Imperium.

Bereits im Jahr 2004 konstatierte der MIT-Experte Geoffrey Forden, daß mit den damals drei existierenden Beidou-Satelliten, die nahezu in Reihe geostationär positioniert waren, auf einem begrenzten Gebiet der Erde eine Genauigkeit vergleichbar mit der des GPS erreicht werden können, aber daß das System in Verbindung mit einer Atomuhr in einem Modus betrieben werden könne, durch den die chinesischen Interkontinentalraketen "in Richtung Vereinigte Staaten" steuerbar wären. [2] Heute besteht Beidou aus sehr viel mehr Satelliten, so daß das System darüber hinaus auch für konventionelle militärische Fähigkeiten nutzbar ist.

So wie die Europäer den zivilen Charakter von Galileo betonen, erklärte am Dienstag der Direktor der für Beidou zuständigen Behörde, Ran Chengqi, das System werde chinesischen und ausländischen Unternehmen für Forschung und Entwicklung zur Verfügung stehen. Weder die Europäer noch die Chinesen sprechen das Offensichtliche allzu gern aus: Satellitennavigation hatte ursprünglich und hat es immer noch eine wesentliche militärische Bedeutung. Davon zeugen nicht zuletzt das GPS, das vom US-Militär in Konfliktzeiten für die zivile Nutzung abgeschaltet wurde (was angeblich nicht mehr vorkommen soll), und die russische Variante GLONASS.

Seit Jahren befinden sich die Weltraummächte im Wettstreit, wobei die Vereinigten Staaten ihre Führungsposition nicht durch einen internationalen, rechtsverbindlichen Vertrag zum Verbot von Weltraumwaffen eingedämmt sehen wollen und entsprechenden Initiativen, beispielsweise eine von China und Rußland gemeinsam vorgetragene, eine Abfuhr erteilt haben.

Abgesehen von den unbestreitbaren zivilen Nutzungsmöglichkeiten Beidous verstärkt das System Chinas Zweitschlagskapazität, die bereits durch die laufende Modernisierung der see- und landgestützten Interkontinentalraketen verbessert wird. Damit rüstet sich das Reich der Mitte vor allem gegen deutliche Bedrohungen aus den USA, aber auch potentiell aus anderen Atomwaffenstaaten wie Indien, Großbritannien und Frankreich.

Als US-Präsident Barack Obama in diesem Jahr ankündigte, daß sich die Vereinigten Staaten verstärkt dem pazifischen Raum widmen werden, war das als Kampfansage an China gemeint. Nicht, daß es ihrer bedurft hätte, aber der Oberbefehlshaber der mit Abstand größten Armee der Welt hat damit auf die Tagesordnung gesetzt, was Militärexperten längst von links nach rechts und wieder zurück beschrieben haben: Die USA streben Globalhegemonie an und sehen darin vor allem Rußland wegen seines Atomwaffenarsenals und China wegen seiner wirtschaftlichen und wachsenden militärischen Bedeutung als Hauptkonkurrenten an. So heißt es im Jahresbericht 2011 des Pentagons an den Kongreß, daß die modernisierten Streitkräfte Chinas dazu eingesetzt werden könnten, seine Fähigkeit zum Erlangen diplomatischer Vorteile oder zur Lösung von Konflikten zu seinen Gunsten zu verbessern. [3]

Beidou ist als Befreiungsschlag Chinas von der Hegemonie anderer Staaten zu verstehen, natürlich mit dem Ziel, selber die Fähigkeit zur Hegemonie zu erlangen. Die Aussichten, daß das ohne Kriege vonstatten geht, sind äußerst schlecht, wie die von den NATO-Staaten vom Zaun gebrochenen Vorfeldkriege seit den neunziger Jahren - Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen - zeigen.



Anmerkungen:

[1] http://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/0,1518,805852,00.html

[2] http://www.globalsecurity.org/space/library/report/2004/china-navsats.pdf

[3] ANNUAL REPORT TO CONGRESS. Military and Security Developments Involving the People´s Republic of China 2011

27. Dezember 2011