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HEGEMONIE/1836: Neuorganisierte NATO-Interessen ... (SB)



Dass die demokratischen Repräsentanzmächte des globalen Kapitalismus ihre eigenen Prinzipien mit Füßen zu treten genötigt sind, ist nüchtern zu konstatieren und zu analysieren. Der Beruf der Kritik kann es nicht sein, ihren Gegenstand zu "retten" und ausgerechnet in seiner Agonie zur "Zivilisation" zu verklären. Daran kann sich höchstens erweisen, dass die Kritik eigentlich gar keine war. Schon immer hat ja die Linke bloß die Prinzipien des Kapitalismus in ihrer idealisierten Gestalt gegen den realen Kapitalismus eingeklagt; und diese falsche Immanenz wird nirgends so deutlich wie beim Verfall der politischen Hülle. Ob Linke, Rechte oder Liberale: Alle Denkschulen und intellektuellen Charaktermasken der Modernisierung wollen es nicht wahrhaben, dass die Ontologie ihrer Welt untergeht und ihr Nomos sich auflöst.
Robert Kurz - Weltordnungskrieg [1]

Nichts Neues in Afghanistan - woran sich das British Empire schon im 19. Jahrhundert die Zähne ausbiss, woran die Sowjetunion scheiterte und den eigenen Niedergang beförderte, das haben nun auch die NATO-Staaten erleben müssen. Aller militärtechnologischen, logistischen und ökonomischen Überlegenheit zum Trotz zogen die Besatzungstruppen der NATO Ende August 2021 kurz vor dem 20. Jahrestag des Beginns der Eroberung Afghanistans am 7. Oktober 2001wieder ab, ohne ihre vorgeblichen wie tatsächlichen Kriegsziele erreicht zu haben.

Im Unterschied zur Sowjetunion, die mit dem Einmarsch in Afghanistan zur Unterstützung ihres Gewährsmannes in Kabul und zur Rettung einer säkularen Entwicklung des Landes allem Anschein nach einer Provokationsstrategie des Konkurrenten USA auf den Leim ging, was ihre ohnehin durch den Rüstungswettlauf des Kalten Krieges stark belastete Wirtschaft bis an den Rand des Zusammenbruchs auszehren sollte, werden die NATO-Staaten nicht an den finanziellen, materiellen und menschlichen Kosten des Krieges scheitern. Die in 20 Jahren allein in den USA für diesen Krieg - hinzu kommen Irak, Libyen, Syrien und weitere Interventionen - ausgegebenen 2.260 Milliarden Dollar schlagen selbst vor dem Hintergrund einer akkumulierten Staatsschuld von 26.600 Milliarden Dollar dennoch so heftig zu Buche, das seine Beendigung durch die vorherige und jetzige US-Regierung auch einem finanziellen Kosten-Nutzen-Kalkül geschuldet sein dürfte. Nicht eingerechnet sind die langfristigen Folgekosten US-amerikanischer Kriegsversehrter, für deren Versorgung allein im Falle Afghanistans bereits 175 Milliarden Dollar ausgegeben wurden.

Gerade weil die ökonomische Ratio der Staatsausgaben schwer wiegt, dürfte die Räumung dieses geostrategischen Vorpostens an der Grenze Chinas und im territorialen Umfeld seines Projektes der Neuen Seidenstraße nicht das Ende der Einmischung in die regionale Politik durch die USA sein, steht die Konkurrenz zur Volksrepublik doch ganz oben auf der Agenda jedes US-Präsidenten. Gleiches gilt für die Bundesrepublik, die mit 20 Milliarden Euro Kriegskosten vergleichsweise glimpflich davon kommt, aber bereits die außenpolitischen Fühler zu den Taliban ausstreckt, um auch in Zukunft einen Platz am Tisch zentralasiatischer Verteilungskämpfe zu haben.


Befreiung kann niemals aufoktroyiert werden

Wären die Taliban nicht eine religiös-fundamentalistische Gruppierung von brachialer patriarchaler Durchsetzungskraft, dann könnte der von ihnen geleistete Widerstand Vorbildcharakter für Bevölkerungen im Globalen Süden haben, die sich den Okkupations- und Extraktionsstrategien übermächtiger Staaten ausgesetzt sehen. Die Umkehr jener "Asymmetrie", mit der die Probleme einer HighTech-Kriegführung gegen sprichwörtliche Barfußsoldaten in den Planungsstäben der Kriegsstrategen und Militärwissenschaften ihrer blutigen, die Körper zerfetzenden und pulverisierenden Wirklichkeit enthoben werden, durch eine leichtbewaffnete, mit dem Land quasi verschmelzenden Guerilla ist ein Erfolg für die materiell unterlegene Seite schon deshalb, weil dieser Fall unter Einsatz milliardenschwerer Rüstungsprogramme, der modernsten Aufklärungs- und Waffentechnologie, der Etablierung einer Kriegsökonomie, die im Falle Afghanistans mehr als 40 Prozent des BIP ausmachte, der Indienstnahme ziviler Befriedungsagenturen wie die Verwundbarkeit des Gegners evaluierender Sozialwissenschaften und nicht zuletzt des Einsatzes gigantischer Geldsummen zur Rekrutierung einer einheimischen Kompradorenbourgeoisie verhindert werden sollte

Die allemal beklagenswerten Folgen eines neuerlichen Talibanregimes ändern nichts daran, dass der imperialistische Krieg durch nichts zu rechtfertigen ist, was der Bevölkerung eines Staates oder den Menschen einer Region die Mittel aus der Hand nimmt, selbst für ihre Befreiung zu kämpfen. So sind afganische Frauen in den 1960er und 1970er Jahren bereits für ihre Rechte auf die Straße gegangen, noch bevor die säkulare Entwicklung in quasi marxistisch-leninistischer Manier von oben verordnet wurde. Doch auch das war ein Fortschritt gegenüber der Herrschaft eines tradierten Islams, der die Herabwürdigung von Frauen fast auf die Ebene sogenannter Nutztiere legitimierte.

Es ist denn auch müßig, sich an den Behauptungen einer angeblich werte- und regelbasierten Außen- und Sicherheitspolitik abzuarbeiten. Wer dies etwa als JuristIn oder VölkerrechtlerIn tut, kann dem dezisionistischen Charakter imperialistischen Regierungshandelns nur hinterherhinken, kommt doch stets zu spät, wer mit Fassaden kämpft, während die realen Schlachten schon woanders ausgefochten werden. Längst sind die NATO-Staaten dabei, so mit der Neuen Atlantik-Charta, sich sicherheitspolitisch aus dem System internationalen Rechts zu verabschieden, um maximale Handlungsfähigkeit in der Konfrontation mit China und Russland zu erlangen. Was zuvor bei der Berufung auf die niemals in den Stand offiziellen Rechtsgutes gelangten Responsibility To Protect (R2P) noch den Schein formaler Hinwendung zum Völkerrecht wahrte, weicht zusehends der Maxime einer Kriegführung, die sich aller rechtlichen Fesseln entledigt und ihre Legitimation, wenn überhaupt, auf dem Weg populistischer Akklamation erlangt.


Im Zerrspiegel der Kriegsvorwände

In einer "verkriminalisierten Politik" werden alle Fragen nach den gesellschaftlichen Ursachen von Gewalt, die meist in der sozialen Ungleichheit liegen, marginalisiert und als irrelevant hingestellt zugunsten einer zielstrebigen Bestrafungsstrategie, die sämtliche Erklärungen, abgesehen von der frei schwebenden Schuld des Täters, als Versuch abtut, sich der Verantwortung zu entziehen. Dass man die Strafstrategie verfolgt, weil sie weniger "teuer" sei, ist lediglich ein Scheinargument, mit dem sich die Eliten jeglichen Veränderungen eines Systems widersetzen, das sehr zu ihren Gunsten arbeitet, auch wenn es allen anderen enorme Kosten an Ungleichheit, Unsicherheit, Gewalt und Repression aufbürdet. Das internationale Strafrecht lässt sich als Globalisierung dieses Phänomens sehen: Die reichen Länder schaffen aus reiner Gier unerträgliche Bedingungen in der ganzen Welt und nutzen die Kämpfe, die diese Bedingungen hervorbringen, als Vorwand, um ihre eigenen Interessen unter Einsatz von Gewalt durchzusetzen. Die reichen Länder finden es "weniger teuer", Bedingungen zu schaffen, in denen Menschenrechte mit hoher Wahrscheinlichkeit verletzt werden, und anschließend über die Täter herzufallen und sie zu bestrafen, als von vorneherein Bedingungen zu schaffen, in denen die Menschenrechte gewahrt werden können. [2]

Über die entscheidenden Gründe, die die Regierung Präsident Bushs zum Angriff auf Afghanistan veranlasste, ist viel spekuliert worden. Zweifellos spielen geostrategische Interessen eine Rolle, auch der Blick auf die mineralischen Ressourcen des Landes ist von Belang. Doch der an erster Stelle angeführte Krieg gegen den Terrorismus verfügt schon deshalb über wenig Glaubwürdigkeit, weil die erklärten Täter vor allem aus Saudi-Arabien stammten, die Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon an verschiedenen Stellen der Welt geplant und initiiert wurden, und weil die Taliban die Auslieferung des angeblichen Hauptverantwortlichen Osama Bin Laden schon vor dem 11. September 2001 wie auch angesichts des drohenden Angriffs auf das Land angeboten hatten, obwohl kein Auslieferungsabkommen mit den USA bestand. Sie verlangten allerdings die Vorlage glaubwürdiger Beweise für die Täterschaft des saudischen Islamistenführers, was die US-Regierung verweigerte. Wäre dieser Angriffsgrund von Relevanz gewesen, dann wären die Taliban, deren politisches Handeln sich stets auf ihr Land beschränkte und die keine Anschläge in westlichen Staaten durchführten, ein eher nachrangiges Kriegsziel gewesen.

Ganz sicher ging es niemals um Frauenrechte, die Befreiung vom Patriarchat oder die Etablierung einer demokratischen Zivilgesellschaft in einer von tribalistischen Herrschaftsstrukturen bestimmten Region. Die kriegerische Verwirklichung universaler Rechtsansprüche hätte nicht nur bedeutet, große Teile der Welt mit Krieg zu überziehen, sondern auch die eigene Bevölkerung von Ausbeutung und Unterdrückung, von Rassismus und Sexismus befreien zu müssen. Zudem waren es die USA, die die Mujaheddin aufgerüstet und den Zug islamistischer Kämpfer nach Afghanistan für den Heiligen Krieg gegen die Sowjetunion und die säkulare Regierung in Kabul über ihren damaligen Verbündeten Osama Bin Laden organisiert hatten, natürlich mit wohlwollender Unterstützung der deutschen Regierung. Den höchsten Preis des Bomben- und Drohnenkriegs der NATO-Armeen haben diejenigen entrichtet, die am wenigsten Verantwortung für das Blutvergießen trugen - afghanische Frauen und Kinder, die zu Zehntausenden starben, die verhungerten und vermeidbaren Erkrankungen erlagen.

Für das vielzitierte Nation Building, von dem der ehemalige US-Botschafter in Berlin, John Kornblum, behauptet , es sei vor allem ein Anliegen der rot-grünen Bundesregierung gewesen, um damit die deutsche Kriegsbeteiligung legitimieren zu können, gilt ähnliches. Sogenanntes Staatsversagen ist im westeuropäischen und nordamerikanischen Politikbetrieb kein Fremdwort mehr, und wer nach den großen Problemen der Zeit wie insbesondere der Klimakrise fragt, stößt bei den Regierungen von Berlin bis Washington auf ein Desaster aus Abwarten und Ignoranz, aus Inkompetenz und verschobener Verantwortung, das allemal Anlass für einen Regimewechsel böte.

Wie die Partei Die Linke erleben musste, als sie sich bei der Abstimmung zum nachträglichen Mandat des sogenannten Rettungseinsatzes der Bundeswehr mehrheitlich enthielt, führt die Widerlegung ins Feld geführter Kriegsgründe, einzig von dieser Partei durch permanente Ablehnung aller parlamentarisch dazu erteilter Mandate geleistet, zur Stigmatisierung als für die Staatsräson unzuverlässiger, mithin demokratiefeindlicher Paria. Diesem Abstimmungsverhalten treu zu bleiben wäre denn auch wesentlich produktiver für die Glaubwürdigkeit einer Linken gewesen, die im Konsensmanagement des kapitalistischen Normalbetriebs bei Befolgung ihrer erklärten Ideale gar nicht anders kann denn als schwarzes Schaf gebrandmarkt zu werden.

Wo SPD-Kanzlerkandidat Scholz ein Herz für die NATO einfordert und damit die Schwelle für eine Regierungsbeteiligung der Linken so hoch legt, dass ihre Überwindung auch den Rest verbliebener Streitfähigkeit zerstörte, wird die imperialistische Staatsräson korrekt beziffert. Dementsprechend arbeiten sich viele KritikerInnen deutscher Kriegsbeteiligung am Popanz falscher Gründe ab, anstatt den Konsens deutscher Staatsräson aufzukündigen und eine Gegenposition zu stärken, in der sich das Alleinstellungsmerkmal der Linken, sich jeder Kriegsbeteiligung zu verweigern, durch echte Systemopposition auszahlte. Schuld- und Wahrheitsfragen vor dem Hintergrund kruder Interessenpolitik zu stellen führt zielsicher am Kern des Problems, wie die eigene Ohnmacht zu überwinden ist, vorbei.


Wo die Berechnung von Kriegskosten nicht hinreicht

Ein von 80.000 Bomben und Raketen der Eroberer wie der Kämpfe am Boden zerstörtes und verarmtes Land, mindestens 240.000 Kriegstote unter der afghanischen Bevölkerung, fast die Hälfte der 33 Millionen AfghanInnen hungert regelmäßig, an der wirtschaftlichen Lage des Landes hat sich seit 2001 trotz milliardenschwerer Hilfsgelder nichts geändert, das alte, geschlagene Regime ist das neue, siegreiche Regime - die Bilanz dieses Krieges könnte aus der Sicht der davon betroffenen Bevölkerung kaum schlechter ausfallen. Das Drama um die sogenannte Rettungsoperation besetzt den Platz einer Kritik, die gar nicht davon ausgeht, dass ein Staat, der noch vor wenigen Wochen Flüchtende nach Afghanistan abgeschoben hat, irgendein Interesse daran hätte, Menschen aus ihrer Not zu retten.

Es ist offenkundig und wurde selbst in Leitmedien unwidersprochen erklärt, dass niemand in exekutiver Position vom schnellen Vormarsch der Taliban überrascht sein konnte. Zudem wurde ein Antrag der Grünen und Linken auf frühzeitige Evakuierung sogenannter Ortskräfte im Juni im Bundestag abgelehnt, als diese noch auf unbehinderte Weise hätten ausreisen können. Das Hauptproblem der Besatzer besteht darin, mit der Abwicklung des Abzuges an den einheimischen Hilfskräften vorbei ein weltweit wahrgenommenes Beispiel gegeben zu haben, dass die Abneigung von NATO-Interventionen heimgesuchter Bevölkerungen, sich auch bei erklärter bester Absichten nicht mit den Invasoren einzulassen, kaum mehr hätte geschürt werden können als durch ein Vorgehen, das konform geht mit der generellen Abwehr nichtweißer MigrantInnen und Flüchtender durch die EU und USA.

Was also tun mit einer imperialistischen Politik, die auf den Begriff der Menschenverachtung zu bringen durch die Hintertür den Kriegsvorwand der Menschenrechte affirmiert, statt die Verankerung deutschen Hegemoniestrebens im Interesse daran, die eigene Stellung in der Staatenkonkurrenz zu welchem Preis auch immer zu konsolidieren und zu verbessern, zu kritisieren? Vorzugehen gegen eine Kriegspolitik, die die Bevölkerung zur Zustimmung zu einer Staatsräson anhält, der Rassismus, Kolonialismus, Sexismus und Klassenherrschaft inhärent ist, kann nur gelingen, wenn erkannt wird, dass das herrschende Krisenmanagement längst seine Wahl getroffen hat, wer davon profitieren und wer abgehängt werden soll.

Wozu sonst als den anwachsenden Antagonismus zwischen der EigentümerInnenklasse und den auf ihre immer schlechter verwertbare Arbeitskraft zurückgeworfenen Marktsubjekten abzusichern dienen Maßnahmen wie die stetige Verschärfung staatlicher Sozialkontrolle, polizeilicher Überwachung und gegen linke Bewegungen gerichteter Repression, deren Verschärfung seit 2001 verstärkt mit dem sogenannten Krieg gegen den Terrorismus begründet wird? Warum sind bis heute die Streitkräfte der Staaten trotz ihres verbrauchsintensiven Betriebs von jeglicher Verantwortung für die Eindämmung der Klimakrise und jeglicher Rechenschaft für die von ihnen ausgehende Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen explizit ausgenommen?

Was am Hindukusch zur angeblichen Verteidigung Deutschlands mit einer sogenannten Demokratisierung betrieben wurde, für die vor allem KandidatInnen aufgestellt wurden, die der politischen und ideologischen Maßgabe der BesatzerInnen entsprechen, wirft ein bezeichnendes Licht auf das Projekt demokratischer Willensbildung in einer von Kapital- und Eigentumsinteressen dominierten Gesellschaft. Wenn mit eurozentrischem Blick neokolonialistische Projekte angeschoben werden, ohne dem Anspruch der davon betroffenen Bevölkerungen auf Selbstbestimmung und Selbstverwaltung den Vorrang einzuräumen, weil das zum Scheitern dieser Projekte führte, dann sind die Bevölkerungen der NATO-Staaten nicht minder der dazu praktizierten Ratio des Teilens und Herrschens ausgesetzt. Die altbekannte These, dass imperialistische Kriege stets auch der Stabilisierung der Herrschafts- und Gewaltverhältnisse im eigenen Land dienen, ist so trivial wie unwiderlegt.

"Nichts ist gut in Afghanistan", erklärte die damalige Ratsvorsitzende der EKD, Margot Käßmann, in ihrer Heiligabendpredigt 2009. Das löste nicht nur einen Sturm der Entrüstung aus, sondern machte ihren Rücktritt zwei Monate später, der angeblich wegen einer persönlichen Verfehlung erfolgte, unausweichlich. Wenn schon honorige BürgerInnen untragbar werden, weil sie auf kategorische Weise Kritik üben, dann müssen sich jugendliche KlimaaktivistInnen, die zusehends entdecken, dass Krieg, Kapitalismus, Kolonialismus und Patriarchat wesentlich für die sich beschleunigende Zerstörung des Lebens verantwortlich sind, warm anziehen. Sehenden Auges mitzuerleben, dass der Anspruch der Nationalstaaten auf souveränes Regierungshandeln zusehends in Widerspruch zu der von ihnen selbst vorangetriebenen Globalisierung der Produktion, der Mobilität und des Handels wie deren militärischer Absicherung gerät, könnte die Klimagerechtigkeitsbewegung auf eine Weise politisieren, die sie zu einem weit weniger pflegeleichten Verhandlungspartner als bisher machte.

Je mehr die Jugend in den hochproduktiven Zentren des Globalen Nordens begreift, dass mit den Menschen im Globalen Süden sehr haltbare und streitfähige Bündnisse eingegangen werden können, desto weniger ist sie auf Zugeständnisse der eigenen Regierungen und Eliten angewiesen. Die Unfähigkeit und der mangelnde Bereitschaft, entschieden für das Wohl des ganzen Planeten einzutreten, zeigt mit zwingender Konsequenz auf, dass die nach wie vor als Treibstoff von Innovation und Wachstum favorisierte Konkurrenz zwischen den zu Marktsubjekten degradierten Menschen den schnellsten Weg in eine Katastrophe bahnen, die alle Gewissheiten in Frage stellt und in der nur die stärksten und brutalsten AkteurInnen den Stand einer Reproduktion aufrechterhalten können, der ihnen überhaupt eine Zukunft bietet.


Fußnoten:

[1] Robert Kurz: Weltordnungskrieg. Das Ende der Souveränität und die
Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung, Bad
Honnef 2003, S. 305

[2] Michael Mandel: Pax Pentagon. Wie die USA der Welt den Krieg als Frieden verkaufen, Frankfurt am Main 2005, S. 362



6. September 2021

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 167 vom 11. September 2021


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