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HERRSCHAFT/1449: Kaufmanns Wechsel schürt bei SPD Hoffnung auf mehr Dissidenten (SB)



SPD-Chef Franz Müntefering hatte Grund zur Freude, trat mit der Europaabgeordneten Sylvia-Yvonne Kaufmann doch eine der profiliertesten Realpolitikerinnnen der Linken seiner Partei bei. Wie ein Connaisseur feiner Weine zeigte sich Müntefering beim gemeinsamen Auftritt mit Kaufmann vor der Presse wählerisch und und lehnte Übertritte aus den Reihen der ehemaligen WASG ab, handele es sich bei diesen doch um notorische Sektierer. Um so stärker warb er um gestandene PDSler wie Kaufmann, die als Gründungsmitglied der SED-Nachfolgepartei zu den führenden ostdeutschen Vertretern der Linken gehörte.

Ihren letzten großen Auftritt als Sachwalterin klassisch linker Positionen hatte Kaufmann im April 2000 auf dem Parteitag der PDS in Münster. Dort votierte sie in einer vielbeachteten Rede gegen den Versuch der Parteiführung, im Ausnahmefall dem bewaffneten Einsatz von UN-Friedenstruppen zuzustimmen. In der Süddeutschen Zeitung (10.04.2000) hieß es damals in gewohnt kriegsapologetischer Manier über Kaufmanns Rolle bei der Ablehnung des Antrags der Parteiführung:

"Doch dann steht da diese kleine, blonde Frau am Rednerpult: Sylvia-Yvonne Kaufmann. Sie beschwört den Parteitag, nicht einmal in Ausnahmefällen, nicht einmal, wenn Völkermord droht, einen UN-Einsatz zu prüfen. (...) Der Parteitag gibt sich den Tränen von Frau Kaufmann hin und den Träumen von einer friedlichen Welt, in der die PDS sich als streng pazifistische Partei gefällt. Ohne Rücksicht auf die Realität."

Kaufmanns damalige Argumentation war jedoch so stichhaltig wie der Verweis auf eine neue "Realität" des Krieges in seinem Vorwandscharakter durchschaubar. Sie erinnerte daran, daß der Korea-Krieg und der Golfkrieg 1991, bei dem fast die gesamte zivile Infrastruktur des Iraks zerstört wurde und über Hundertausend Zivilisten starben, als bislang einzige "Kapitel-VII-mandatierte sogenannte militärische Friedenserzwingung im Fall einer Aggression" in die Geschichte der UNO-Charta eingegangen seien. In ihrer Rede, die schließlich zur Ablehnung des Antrags führte, legte sie am Beispiel des Jugoslawienkriegs detailliert dar, daß die UNO auf dem besten Weg ist, die Mandatierung von Kriegseinsätzen über die verbrieften Normen des Völkerrechts hinauszutreiben. Sie endete mit dem leidenschaftlichen Appell, daß "Menschenrechte und Demokratie (...) eine zivile, keine militärische Logik" haben und daß die PDS dem von ihr dargelegten "Rechts-und Wertekonflikt (...) nicht durch Zustimmung zu 'humanitären' Militärinterventionen" lösen dürfe.

All das schien vergessen, als die Europaabgeordnete von 2002 bis 2003 dem EU-Verfassungskonvent angehörte. Von da an vollzog Kaufmann einen deutlichen Schwenk in die Mitte, der mit dem Werben für den gescheiterten EU-Verfassungsvertrag begann und in der Forderung nach Zustimmung zum Lissabon-Vertrag gipfelte. Allein die in diesen Verträgen verankerte Militarisierung der EU geht deutlich weiter als der damalige Versuch der PDS-Führung, mit der Anerkennung von UN-Mililtäreinsätzen regierungsfähig zu werden.

Das Scheitern ihres Versuchs, in der Linken einen Listenplatz für die Europawahl zu erhalten, scheint den letzten Anstoß dazu gegeben zu haben, das politische Lager zu wechseln. Da Kaufmann als profilierte und konforme Europapolitikerin in anderen Fraktionen des EU-Parlaments große Anerkennung genießt, hat sie eigentlich nichts anderes getan, als den bereits vollzogenen Gesinnungswandel in die Tat umgesetzt. Wenn sie allerdings an der Seite von Müntefering, einem Politiker, der die Ansicht vertritt, daß Menschen, die nicht arbeiten, auch nicht essen sollen, behauptet, die "kulturelle Hegemonie des Neoliberalismus und der Marktradikalismus in der EU (...) und die Herausforderung der Globalisierung" seien "mit Verbalradikalismus und Fundamentalopposition" nicht zu brechen, dann muß die rhetorische Frage erlaubt sein, ob sie vorhat, dies mit der Radikalität der Tat zu tun. Ihre Behauptung, daß es "einer gestärkten Sozialdemokratie bedarf, um die politische Achse in Europa nach links zu verschieben" (Neues Deutschland, 15.05.2009), kann jedenfalls niemanden davon überzeugen, daß die SPD überhaupt willens sei, die Fürsprache der Linken zugunsten der Armen und Schwachen sowie ihr Eintreten gegen NATO und Sicherheitsstaat links zu überholen.

Der von Müntefering wie seinem Generalsekretär Hubertus Heil unternommene Versuch, die Flügelkämpfe in der Linken durch Werben um altgediente PDS-Genossen zu verschärfen, könnte auch den gerade nicht erwünschten Effekt haben, daß sich die Linken in der Linken konsolidieren und den Kurs der Partei noch mehr als bisher bestimmen. Wenn laut Heil immer mehr Mitglieder der früheren PDS begreifen, "dass Lafontaine mit Hilfe westdeutscher Sektierer die Pragmatiker an die Wand drückt" (Leipziger Volkszeitung, 15.05.2009), dann sollten die Betroffenen die von Müntefering ausgestreckte Hand ergreifen und zur SPD wechseln. Wenn der Partei Politiker wie der ehemalige Finanzexperte der Berliner Linksfraktion, Carl Wechselberg, künftig erspart bleiben, weil sie ihr Heil in der SPD suchen, dann gewinnt sie durchaus an innerer Einigkeit dazu. Daß die Bundesschiedskommission der Linken gleichzeitig nach links mauert, indem sie das SAV-Mitglied Lucy Redler mit dem Argument, es beständen Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit, nicht beitreten läßt, wirft allerdings Fragen danach auf, wie es um die Zuverlässigkeit jener Reformpolitiker bestellt ist, die versuchen, die Einigkeit der Partei durch offenes Beziehen rechter Positionen zu unterminieren.

Eine von diesen Widersprüchen entlastete, weil radikaler gewordene Linke könnte im ersten Antritt Anhänger verlieren, wird jedoch auf lange Sicht um so mehr Zuspruch erhalten. Wer braucht in der Bundesrepublik, in der sich bereits vier im Bundestag vertretene Parteien um die Rettung des Kapitalismus auch mit dem Mittel imperialistischer Kriege bemühen, noch ein fünftes Rad am Wagen, daß zudem noch beansprucht, eine ganz andere Richtung einzuschlagen. Wenn die Linke dies tatsächlich tut, wird sie sich aufgrund der anstehenden Verschärfung des Klassenantagonismus über Wählerstimmen nicht beklagen können.

16. Mai 2009