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HERRSCHAFT/1451: Verfassungsschutz markiert Grenze der Meinungsfreiheit (SB)



Wer als Journalist und Zeitungsmacher wissen möchte, wo die Grenze der freien Berichterstattung und Meinungsäußerung verläuft und wo man halt machen muß, wenn man im Jahresbericht 2009 des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) keine Erwähnung als potentieller Staatsfeind finden will, der wird dort in der Abteilung "Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle", Unterpunkt 3 "Verlage, Vertriebe und periodische Publikationen" fündig. Schon das Ausmaß angeblich verfassungswidriger Umtriebe auf dem publizistischen Feld macht stutzig, drängt sich doch die Frage auf, wie sich das Grundrecht der Pressefreiheit, das nicht zuletzt gegenüber angeblich konträren Praktiken in muslimischen Gesellschaften - Stichwort Mohammedkarikaturen - vehement verteidigt wird, mit der geheimdienstlichen Beobachtung von nahezu 200 Zeitungen und sonstigen Publikationen "mit zumindest teilweise linksextremistischen Inhalten" vereinbaren läßt.

Das ist viel zu Papier verarbeitetes Holz für eine totgesagte radikale Linke, als deren publizistisches Flaggschiff der Verfassungsschutzbericht die Tageszeitung junge Welt vorstellt. Das traditionsreiche, einst in Millionenauflage als Zeitung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) in der DDR erschienene Blatt ist als auf genossenschaftlicher Basis herausgegebens Printprodukt eines der ganz wenigen von Kapitalmachtinteressen unabhängigen und überregional erscheinenden Presseerzeugnisse der Bundesrepublik. Diese in einer von großen Medien- und Verlagskonzernen beherrschten Zeitungslandschaft nicht unerhebliche Errungenschaft ist den BfV-Analytikern jedoch kein Wort der Würdigung wert, ist es doch gerade die redaktionelle Unabhängigkeit, die den Staatsschützern Sorgen bereitet.

So wird in der jungen Welt nicht nur die "Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft" propagiert, dort "spielt auch die - politische und moralische - Rechtfertigung der ehemaligen DDR eine zentrale Rolle". Der auf seine Reputation als verläßlicher Legitimationsproduzent bedachte Journalist wäre sicherlich auch ohne das Negativbeispiel dieser Zeitung nicht auf den Gedanken gekommen, inmitten der zum Wahlkampfschlager kumulierenden Verdammung der DDR als "Unrechtsstaat" die Frage aufzuwerfen, ob dieses sozialistische Gemeinwesen nicht über ein ganz anderes, sich der ideologischen Dichotomie bundesrepublikanischer Selbstbehauptung entziehendes Selbstverständnis verfügt haben könnte. Daß ehemalige Bürger eines im Systemwettstreit untergegangenen Staates ein Interesse daran haben könnten, diesem Gewaltverhältnis erlegene Qualitäten sozialer und gesellschaftlicher Art zu retten und zu erneuern, ist im Rahmen jener Verfassung, die der Inlandsgeheimdienst zu schützen vorgibt, ein durchaus legitimes Anliegen. Die Stigmatisierung der jungen Welt als verfassungsfeindliches Presseorgan macht jedoch jedem Journalisten, der auf seinen Broterwerb angewiesen ist, unmißverständlich klar, daß er sich besser nicht auf den Text des Grundgesetzes verlassen, sondern seine Aufgabe, diesen in der Abwehr vermeintlicher Gefahren für die Demokratie gegen sich selbst zu kehren, klaglos ausführen sollte.

Das gilt auch für von der jungen Welt publizierte Stellungnahmen, in denen laut dem Bundesamt "Gewalt im Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus als legitimes Mittel dargestellt" wird. Daß eine Zeitung damit seiner Pflicht nachkommen könnte, dem Bürger alle Quellen zu gesellschaftlichen Verwerfungen und Kämpfen verfügbar zu machen, überschreitet zwar nicht den Horizont der Pressefreiheit, sehr wohl jedoch die Duldsamkeit einer Staatsschutzbehörde, die diese Aufgabe auch auf die bloße, unkommentierte Dokumentation entsprechender Positionspapiere erstreckt. Inwiefern Gewalt überhaupt legitim ist, wird nicht gefragt, bedeutete dies doch, eindeutig verfassungswidrige Entscheidungen wie etwa den Überfall der NATO auf Jugoslawien der gleichen Meßlatte zu unterwerfen wie die publizistische Bandbreite eines Organs sich zu sozialistischen und kommunistischen Zielen bekennender Bürger.

Die Trennlinie zwischen systemkonformer und -antagonistischer Gewalt nicht etwa in ihrer Ausführung, sondern ihrer bloßen demokratischen Diskussion zu bestimmen betrifft auch die der jungen Welt zur Last gelegte Rechtfertigung von "Bewegungen wie die baskische separatistische Terrororganisation ETA106, die kolumbianische Guerillaorganisation FARC-EP107 sowie bewaffnete afghanische und palästinensische Gruppen", die "als 'Befreiungsorganisationen' oder als Widerstandsbewegungen gerechtfertigt" würden. Auch hier wird die bloße Selbstdarstellung von "Mitgliedern und Unterstützern" derartiger Organisationen als verfassungsfeindlicher Akt ausgewiesen, habe die Zeitung diesen doch " eine Plattform zur propagandistischen Darstellung" geboten, "ohne dass dabei eine Kritik an oder eine Distanzierung von deren Gewalttaten erfolgt".

Was die Bundesregierung tut, wenn sie sich in die inneren Konflikte fremder Staaten einmischt, indem sie Mitglieder dort agierender Organisationen im Rahmen des Strafrechtsparagraphen 129 b kriminalisiert, was sie an Kritik und Distanzierung unterläßt, wenn sie menschen- und völkerrechtswidrige Kriegshandlungen befreundeter Regierungen gutheißt, akzeptiert oder zumindest nicht verwirft, steht auf einem vollends anderen Blatt. Um nur das besonders eklatante, im Verfassungsschutzbericht als extremistische Gesinnungstat verworfene Beispiel der Unterstützung palästinensischer Organisationen, die sich im völkerrechtlich legalen Widerstand gegen das Besatzungsregime eines anderen Staates befinden, zu nehmen - in den Bewertungsmaßstäben der Verfassungsschützer tritt angesichts dessen, was sich die israelische Regierung im Westjordanland und in Gaza zuschulden kommen läßt, ein normativer Widerspruch zutage, der offensichtlich nicht im öffentlichen Diskurs gelöst werden, sondern gegen die Kritiker einer von der Bundesregierung postulierten Staatsräson durchgesetzt werden soll.

Wenn Fragen dieser Art nicht durch die Wortmeldungen kritischer Aktivisten und Journalisten weiterentwickelt werden können, dann ist die Ausbreitung eines repressiven, von staatsapologetischem Gesinnungsverdacht kontaminierten Meinungsklimas unvermeidbar. Wo anläßlich des 60. Jahrestags des Grundgesetzes und des 20. Jahrestags des Mauerfalls Freiheit und Demokratie zelebriert werden, sollen störende Zwischentöne auch zum Preis der faktischen Negation im gleichen Atemzug bekräftigter Werte unterbleiben. Das im Verfassungsschutzbericht an der jungen Welt statuierte Exempel ehrt mithin all diejenigen Aktivisten und Autoren, die sich davon nicht einschüchtern lassen, als standhafte Verteidiger demokratischer Grundrechte.

20. Mai 2009