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HERRSCHAFT/1457: Letzte Flucht - Erneuter Suizid in Guantánamo (SB)



Im US-amerikanischen Gefangenenlager Guantánamo ist es zum sechsten Mal einem Gefangenen gelungen, sich der weiteren Folter durch Suizid zu entziehen. Viele Dutzend vor ihm haben vergeblich versucht, sich zu erhängen, keine Nahrung mehr zu sich zu nehmen, sich die Pulsadern aufzubeißen oder den Kopf an der Wand aufzuschlagen. Wie sich der jemenitische Gefangene Mohammed Ahmad Abdallah Sali, auch Al Hanaschi genannt, das Leben genommen hat, ist nicht bekannt. Er wurde am Montagmorgen tot in seiner Zelle gefunden. Eine Militärsprecherin teilte lediglich mit, daß sich der Mann nicht erhängt habe.

Eine Autopsie soll die genaue Todesursache klären ... als wenn die Todesursache nicht längst bekannt wäre! Al Hanaschi hatte mehr als sieben Jahre in dem Folterlager verbracht. Das genügt als Erklärung. Dort werden die Insassen Hitze und Kälte ausgesetzt, mit Lärm beschallt, willkürlich auch auf eine Magerdiät gesetzt, die zum körperlichen Abbau führt. An ihnen werden medizinische und pharmakologische Experimente durchgeführt, und ihnen kann die medizinische Behandlung vorenthalten werden, um nur einige der Mißhandlungen an den rechtlich quasi zu Nicht-Menschen deklarierten Gefangenen aufzuzählen.

Al Hanaschi hatte sich den Taliban in Afghanistan angeschlossen und gegen die berüchtigte Nordallianz gekämpft. Bei einem Gefecht wurde er verletzt und gefangen genommen. Die Frage, ob er in Guantánamo gefoltert wurde oder nicht, stellt sich erst gar nicht, da die bloße Existenz des Lagers Folter für alle Insassen, deren Freiheit im Namen der Freiheit geraubt wurde und weiterhin wird, bedeutet. Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden, hat die Revolutionärin Rosa Luxemburg einmal gesagt - eine zeitlose Aussage, die in Guantánamo auf gröbste mißachtet wird.

Der 31jährige Jemenite war ein Mensch, der keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich umzubringen. Damit hat er sich dem Zugriff seiner Wächter entzogen, sie können ihn nicht mehr beherrschen. Das primäre Ziel von Herrschaft besteht zwar nicht in der Vernichtung des anderen, insofern könnte man sagen, daß in diesem Fall das System namens Guantánamo versagt hat, allerdings kann die Vernichtung eines Menschen durchaus als Mittel zur Erpressung und Einschüchterung anderer dienen.

Die US-Regierung demonstriert mit der Einrichtung des Folterlagers, daß sie, die das Gesetz geradezu anzubeten scheint, über dem Gesetz steht. Das durchzusetzen gelingt selbstverständlich nur dem, der auch über die entsprechenden Gewaltmittel verfügt und unter Beweis stellt, daß er sie einzusetzen bereit ist. Die Atombomben gegen Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945 bildeten den Auftakt, seitdem ist kein Jahrzehnt vergangen, in denen die USA keinen Angriffskrieg geführt hätten. Für die Gefangenen selbst ist Guantánamo mehr als ein Symbol - für die übrige Welt hingegen ein unmißverständlicher Anspruch der Vereinigten Staaten von Amerika auf alleinige Vorherrschaft. Unvorstellbar, daß diesem Anspruch durch welche Form von Flucht auch immer etwas entgegenzusetzen wäre.

3. Juni 2009