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HERRSCHAFT/1484: TV-Debatte für Regierungsparteien ... repräsentative Autokratie (SB)



Ob Duell oder Duett, in beiden Fällen haftet dem Aufeinandertreffen der Kanzlerkandidaten der Regierungsparteien in der einzigen von allen vier großen Fernsehanstalten übetragenen Wahlkampfdebatte der Makel einer autokratischen Selektion an. Weil Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier die größte Wahrscheinlichkeit auf sich vereinen, den nächsten Regierungschef der Bundesrepublik zu stellen, wurde ihnen ein Forum geboten, auf dem, wie auch viele Beobachter der Mainstreammedien befinden, eher eine Kabinettsitzung als ein Streitgespräch stattfand.

Bei dieser Art von Fernsehdebatte handelt es sich um einen US-Import, der im Verein mit vielen anderen Anleihen an US-amerikanische Wahlkampfstrategien zu einer informellen Übernahme des dortigen Systems demokratischer Willensbildung führt. Dieses Kartell aus zwei Parteien garantiert in noch größerem Ausmaß als das Mehrparteiensystem der Bundesrepublik den Einfluß von Eliten, die sich in den jeweiligen Farben ihrer Zugehörigkeit zwar in Einzelfragen erbitterte Kämpfe liefern, sich im Erhalt kapitalistischer Klassenherrschaft und globaler Vormacht aber prinzipiell einig sind. Der durch das Mehrheitswahlrecht gewährleistete Ausschluß dritter Kräfte wird unter anderem durch die Zugangsbeschränkung neuer Parteien zu den TV-Debatten zwischen dem Kandidaten der Republikaner und Demokraten gesichert.

Das US-amerikanische Präsidialsystem mag sich im Ergebnis des dort wie hier bestimmenden Klassenantagonismus nicht grundsätzlich vom deutschen Regierungssystem unterscheiden, weist aber eine noch geringere Durchlässigkeit als das hiesige Verhältniswahlrecht auf. Ein Aufstieg wie den der Partei Die Linke ist für die USA schlechterdings unvorstellbar, obwohl es dort Millionen Menschen gibt, die deren soziale Agenda befürworteten. Die zumindest formal bestehende Möglichkeit, daß eine der drei im Bundestag vertretenen Oppositionsparteien eine der beiden sogenannten Volksparteien bei der Bundestagswahl überflügelt und Anspruch auf die Kanzlerschaft in einer Koalitionsregierung erheben könnte, wird durch die Orientierung des massenmedial geführten Wahlkampfs am US-Vorbild negiert. Warum aber sollte es in einer Weltwirtschaftskrise nicht möglich sein, daß etwa die Linke die SPD bei der Bundestagswahl hinter sich zurückläßt?

Weil nicht sein darf, was nicht sein soll. Oberhalb der Ausgrenzung marginaler Strömungen durch das kleine Parteiverbot der Fünf-Prozent-Sperrklausel wird konzeptionell festgeschrieben, daß es traditionelle Anwärter auf die Regierungsmacht gibt, die sich diesen Status durch ihren Einsatz für die integrative Wirkung des bundesdeutschen Demokratiemodells verdient haben. Die gesellschaftliche Kohäsion wird höher gewichtet als der Anspruch des angeblichen Souveräns auf eine Willensbildung, die auch systemisch inopportune Entscheidungen möglich macht. Das deutlichste Beispiel für die herrschaftsichernde Regulation des demokratischen Prozesses bietet der Ausschluß der Bevölkerung von Entscheidungen europapolitischer Art, die den Charakter der Republik von grundauf verändern und sogar dazu führen könnten, daß der Volkssouverän ohne eigenes Zutun seines verfassungsrechtlichen Primats enthoben wird.

Man mag es für eine Lappalie halten, daß Merkel und Steinmeier die Frage der Kanzlerschaft symbolisch unter sich ausmachen. Die darin enthaltene Ausrichtung auf die Zentralisierung der politischen Macht, auf die Kumulation bereits etablierter Mehrheiten durch die dadurch legitimierte Bevorteilung im Wahlkampf, dokumentiert jedoch die prinzipielle Malaise einer repräsentativen Demokratie, die sich den realen gesellschaftlichen Konflikten nur mit dem Anspruch auf ihre Befriedung zum Nutzen herrschender Eliten stellt.

14. September 2009