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HERRSCHAFT/1501: Atomisierte Lohnabhängige ... internationale Arbeitsteilung am Beispiel Opel (SB)



Angela Merkel durfte ihre Washingtoner Dankesrede noch unbeeinträchtigt von der jüngsten transatlantischen Verstimmung halten. Die Bekanntgabe der Entscheidung des Verwaltungsrats von General Motors (GM), dem Verkauf der Konzerntochter Opel/Vauxhall an das Magna-Sberbank-Konsortium nicht mehr zuzustimmen, konnte die gute Stimmung der Bundeskanzlerin am Redepult im US-Kongreß nicht trüben, weil sie erst auf dem Rückflug davon erfahren haben will. Daß sie die Wende in Detroit nicht zumindest geahnt hat, ist dennoch nicht auszuschließen. Immerhin erfolgte die Entscheidung der GM-Manager erst nach der Bundestagswahl, zu deren Erfolg für Union und FDP auch der Eindruck beigetragen hatte, neoliberale Politiker verwendeten sich nicht nur für die Interessen des Kapitals, sondern auch der Arbeiter.

Aus der Sicht des GM-Verwaltungsrats ist die Entscheidung, insbesondere nicht auf die Opel-Entwicklungsabteilung in Rüsselsheim verzichten zu wollen, die die technologischen Standards im gesamten Konzern setzt, sich weiterhin am europäischen Autogeschäft beteiligen zu wollen und sich auf dem zukunftsträchtigen russischen Markt keine unliebsame Konkurrenz zu schaffen, allemal rational. Sie war auch deshalb absehbar, weil sich in Detroit mit der Gründung der General Motors Company im Juli 2009 die Mehrheitsverhältnisse im weitgehend neu besetzten Verwaltungsrat zugunsten eines Verbleibs von Opel bei dem sanierten Unternehmen verschoben hatten. Dies dürfte auch Folge der hinsichtlich der Entlassung tausender Arbeiter aus Sicht der Eigner höchst erfolgreichen Neuaufstellung des Konzerns gewesen sein. Verfügte die General Motors Corporation bei ihrer Insolvenz noch über 91.000 Mitarbeiter in den USA, so trat die Company mit nurmehr 68.500 Angestellten an. Die Sanierung ging vor allem zu Lasten der Lohnabhängigen, mit denen eine einheitliche Widerstandsfront zu bilden die ebenfalls in die Defensive geratenen deutschen Kollegen keine Anstalten machten. Jenseits wie diesseits des Atlantiks herrschte Angststarre vor, und diejenigen, die ihren Job verloren haben, können sich darin bestätigt fühlen, daß ihre Erwartungen eben deshalb, weil sie wie das Kaninchen vor der Schlange abwarteten, Wirklichkeit geworden sind.

Genützt hat all dies dem Mehrheitseigner. Die US-Regierung hält 61 Prozent des neuen GM-Konzerns und ist ebenso wie ein privater Anteilseigner daran interessiert, daß die Rendite stimmt. So dürfte der Erhalt von Opel auch dem politischen Interesse der US-Administration entsprechen. Die US-Wirtschaft hat in den letzten Jahrzehnten erheblich an industrieller Produktivität und Innovationsfähigkeit eingebüßt, so daß der Erhalt eines global agierenden Großunternehmens in Anbetracht der sich zuspitzenden weltweiten Verteilungskämpfe strategisch sinnvoll erscheinen dürfte. Das gilt insbesondere gegenüber der deutschen Konkurrenz, die mit der weiteren Öffnung nach Rußland einen der wichtigsten Märkte und Rohstofflieferanten der Zukunft für sich zu vereinnahmen trachtet.

Nun wird in der Bundesrepublik viel Schaum geschlagen, um den Opelanern, die mit dem Magna-Deal zu weitgehenden Zugeständnissen bei den Lohnzahlungen gedrängt worden waren, zu versichern, daß sich die Politiker durch diese Wende nicht weniger betrogen fühlen als sie. Wer hier wen betrogen hat, ist allerdings keineswegs so klar, wie es landläufig vermittelt wird. So zeigen sich britische Gewerkschafter über die Entscheidung GMs hocherfreut. Tony Woodley, Chef von Unite, lobt den GM-Verwaltungsrat dafür, daß er die Strategie der deutschen Opel-Gewerkschaften, sich im Wahlkampf Zusicherungen für ihre Standorte von der Politik zu erkaufen, hat scheitern lassen. Woodley hält die Vereinbarung mit Magna für eine unfaire, da gegen die Interessen anderer europäischer Standorte, insbesondere natürlich der beiden britischen Vauxhall-Werke, gerichtete Strategie, mit der deutsche Politiker ihre Wiederwahl gesichert hätten.

Deutsche Gewerkschafter wiederum verfolgen offensichtlich die Absicht, den Sanierern das Opel-Werk im belgischen Antwerpen vor die Füße zu werfen, um den ebenfalls besonders von Entlassungen bedrohten Standort Bochum zu schützen. In jedem Fall zeigt sich, daß unter den Arbeitern, vermittelt durch Betriebsräte und Gewerkschaften, ein Verdrängungswettkampf im Gange ist, dessen Resultate sie in jedem Fall ausbaden müssen. Die objektive Überproduktion in der Automobilindustrie, verschärft durch die aus der Weltwirtschaftskrise zusätzlich entstandene Nachfrageschwäche, wird von den Konzerneignern, dem Spitzenmanagement und den Arbeitervertretern wie den für die jeweiligen Standorte zuständigen Regierungen dazu genutzt, die Masse der Lohnabhängigen gegeneinander auszuspielen. Ziel ist die Steigerung der Profitrate durch Rationalisierung der Produktion zu Lasten der Lohnquote, die als zentraler Kostenfaktor zu minimieren ist.

Der Eindruck, die mit ihrem ökonomischen Schicksal an GM gebundenen Arbeiter seien bloßer Spielball renditeorientierter Entscheidungen, stimmt nur insofern, als daß ihre Organisationsfähigkeit schon im nationalen Rahmen gebrochen ist und von grenzüberschreitender Solidarität keine Rede sein kann. Die Nutznießer der kapitalistischen Globalisierung können sich der internationalen Arbeitsteilung nur deshalb als Mittel der Kostensenkung bedienen, weil der Produktionsfaktor Arbeit an nationale und lokale Bedingungen seiner Organisation und Reproduktion gebunden bleibt. Die von den Verfechtern der Globalisierung unterstellte Irrelevanz der Nationalstaaten wird gerade an dieser Stelle ausgesetzt, um zu verhindern, daß die Lohnabhängigen im Kampf zwischen Kapital und Arbeit aufschließen.

Der Kapitalmacht zu demonstrieren, daß Menschen kein Rohstoff sind, ist ein müßiges Unterfangen, da sie ausschließlich an in ihrem Sinne rationalen Effizienzprinzipien orientiert ist. Um so wichtiger für den Erhalt der Grundlagen gesellschaftlicher Reproduktion ist die Rolle der Politik als Mediator im Sozialkampf. Dabei positionieren sich die Verantwortungsträger gerne als Sachwalter des Volkes, die sich allerdings nicht gegen vermeintlich objektive marktwirtschaftliche Prinzipien stellen könnten. Daß dies allemal geht, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, daß es im Zentrum marktradikaler Ideologie, den USA, ein Staatsunternehmen namens GM gibt. Auch die Einflußnahme der Politik auf die verschiedenen Optionen, die bei der Rettung Opels im Spiel waren, dementieren die Existenz eines Sachzwangs, der als auf vertraglichen, angeblich demokratisch verhandelten Rechtsgrundlagen beruhend nichts als das Geschöpf seiner gesellschaftlichen Nutznießer ist.

Wenn die Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers und Kurt Beck nach Detroit signalisieren, daß für die in ihren Bundesländern gelegenen Standorte gegebenenfalls mit staatlichen Hilfen gerechnet werden kann, wenn Gewerkschafter in Bochum deutlich machen, daß sich auch unter den neuen Bedingungen über Zugeständnisse der Arbeiterschaft verhandeln läßt, dann zeigt sich, daß die Absicht, die herrschende Verwertungslogik auf Kosten der Arbeiter zu sichern, durch die jüngste Entwicklung im Fall Opel unterstützt wurde. Für die auf eine berechenbare und sichere Zukunftsperspektive angewiesenen Lohnabhängigen ist die lange Dauer der Ungewißheit weit verschleißträchtiger als für alle anderen Beteiligten. Sie werden durch das Schüren und Enttäuschen bloßer Hoffnungen weichgekocht, um sich schließlich allem zu beugen, was die betriebswirtschaftliche Vernunft gebietet.

Das auf Wachstum abonnierte kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ist keineswegs so innovationsfreudig wie behauptet, sondern besteht rigide auf einer in jeder Hinsicht verbrauchsintensiven Mobilität als zentralem industriepolitischen Treibriemen. Unterhalb der Schwelle einer nicht nur anderen Verteilungsordnung, sondern auch Lebensweise und Gesellschaftsform wird sich das in die Menschen mit Angst und Not hineingetriebene Prinzip des Überlebens zu Lasten des anderen nicht überwinden lassen. Ohne Mut zu einer Entwicklung zu fassen, mit der mehr geschafft wird als das Leben im kapitalistischen Konsumismus einigermaßen erträglich zu gestalten, bleibt die Solidarität der Arbeiter auf der Strecke atomisierten Vorteilsstrebens.

5. November 2009