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HERRSCHAFT/1543: Wie sich US-Juristen für höchste Richterämter empfehlen ... (SB)



Wie die Entscheidung des Obersten Verfassungsgerichts der Vereinigten Staaten gegen die Straflosigkeit der juristischen und humanitären Friedensarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen im Fall von Gruppen, die das US-Außenministerium als terroristisch einstuft, zeigt, sind der Konfliktbewältigung mit gewaltfreien Mitteln enge Grenzen gesetzt. Gerade dieser Fall belegt, daß die Judikative durchaus mit der Legislative und Exekutive auf einer Linie liegt, sprich das System der Gewaltenteilung nur sehr bedingt im beanspruchten Sinne der Checks and Balances funktioniert. Dies ist nicht zuletzt eine Folge der Nominierungspraxis, mit der US-Verfassungsrichter auf Lebenszeit ernannt werden.

Bei diesem wichtigen Urteil trat Elena Kagan, die Vertreterin des Klägers US-Justizminister Eric Holder, nicht nur in ihrer Eigenschaft als Generalstaatsanwältin auf, sondern auch als von Präsident Obama nominierte Kandidatin für die Nachfolge des scheidenden Verfassungsrichters John Paul Stevens. Die als ehemalige Präsidentin der Harvard Law School, eine der angesehensten juristischen Fakultäten der USA, einflußreiche Rechtsgelehrte empfiehlt sich für diese Position unter anderem dadurch, daß sie als Anklägerin der US-Regierung das Recht des Präsidenten auf Anordnung unbegrenzter Haft für Terrorverdächtige ohne richterliche Überprüfung verteidigt. Sie ist eine ausgesprochene Fürsprecherin der Anwendung des Kriegsrechts in Fällen, in denen Personen verdächtigt werden, terroristischen Organisationen mit "materieller Unterstützung" zu Diensten zu sein. Dieses Sonderrecht kann ihrer Ansicht nach auch innerhalb der USA angewendet werden, was sie praktisch zu einer Verfechterin des permanenten Ausnahmezustands macht. Daß sie zudem als Rechtsberaterin in bezahlten Diensten der US-Bank Goldman Sachs stand, während sie schon an der Universität Harvard lehrte, kann ihrem Eintreten für die Ermächtigung der Exekutive gegenüber nur als Petitesse bezeichnet werden.

Bezeichnenderweise wurde Kagans Begründung für die Verfassungsklage gegen die Arbeit menschen- und bürgerrechtlicher Organisationen vom Vorsitzenden Richter des Supreme Court, John Roberts, fast wortgleich übernommen. Auch dieser empfahl sich für seinen hochangesehenen Posten mit einer Entscheidung, die ganz im Sinne der den Terrorkrieg nach Möglichkeit ohne jede rechtliche Einschränkung führenden Bush-Administration ausfiel. Der Anwalt hatte als juristischer Berater des Bush-Clans Rechtsgutachten verfaßt, mit denen eine erneute Stimmauszählung in Florida gestoppt wurde, so daß das Supreme Court George W. Bush 2000 in einer regelrecht gestohlenen Wahl zum Präsidenten küren konnte. 2003 wurde Roberts von seinem Präsidenten zum Richter am US District Court of Appeals des District of Columbia, dem wohl wichtigsten Bundesberufungsgericht der USA, ernannt.

In dieser Funktion kippte er zusammen mit zwei Richterkollegen eine Entscheidung von höchster Bedeutung für die Administration. Im November 2004 gab der am Washingtoner Bezirksgericht sitzende Richter James Robertson im Fall Salim Hahmed Hamdan gegen Donald Rumsfeld dem seit November 2001 in US-Haft befindlichen Kläger Recht mit der Begründung, daß die US-Regierung die Genfer Konventionen mißachtet habe, indem sie gegen das angebliche Al Qaida-Mitglied vor einem Militärtribunal Anklage erhob. Mit dieser Entscheidung stellte Robertson die Vollmacht des Präsidenten in Frage, solche Verfahren anzuordnen. Er entschied ausdrücklich, daß Bush mit seiner Verordnung vom November 2001, Militärtribunale zur Aburteilung sogenannter feindlicher Kombattanten einzurichten, gegen die Gewaltenteilung und damit die US-Verfassung verstoßen habe. Der Präsident sei nicht durch den Kongreß ermächtigt worden, Militärtribunale einzurichten, urteilte Robertson und verwarf damit die vom Weißen Haus vertretene Ansicht, in Kriegszeiten ständen dem Commander-in-Chief derartige Vollmachten zu.

Am 15. Juli 2005 wurde diese wegweisende Entscheidung vom Washingtoner Bundesberufungsgericht mit der Begründung aufgehoben, daß die Verletzung eines internationalen Vertrags auf derjenigen Ebene behandelt werden müsse, auf der das Abkommen zustandegekommen sei, und durch Klagen von Einzelpersonen vor US-Gerichten nicht angefochten werden könne. Zudem habe Hamdan keinen Anspruch auf den Schutz der Genfer Konventionen, weil er kein Kriegsgefangener sei, sondern ein feindlicher Kombattant. Roberts und seine beiden Kollegen schlossen Hamdan gleich in doppelter Weise von jeglichem Rechtsschutz aus. Ihm wurde verweigert, internationales Recht in Anspruch zu nehmen, weil es angeblich kein Individualrecht sei und weil er einem eigens für den Terrorkrieg geschaffenen Status unterliegt, der ihn praktisch zum Nichtmenschen erklärt.

Damit bestätigten die Bundesberufungsrichter die einzigartige Machtfülle, die Präsident Bush sich unter dem Vorwand, seit dem 11. September 2001 berechtige ihn das Amt des obersten Befehlshabers der US-Streitkräfte, exekutive Sondervollmachten in Anspruch zu nehmen, angemaßt hatte. Die Aufhebung geltenden US- Rechts, um das es sich bei den Genfer Konventionen handelt, durch ein Konstrukt des rechtlichen Ausnahmezustands entsprach einem Verfassungsputsch, der nur Bestand haben kann, wenn er durch ein hohes US-Gericht legalisiert wird.

John Roberts war am Tag vor dieser Entscheidung zu einem persönlichen Gespräch mit Bush im Weißen Haus geladen und wurde vier Tage nach dem Urteil vom 15. Juli von diesem als Kandidat für das Amt eines Richters am Obersten Gerichtshof nominiert. Dieser Vorgang stellte alles in den Schatten, was Roberts ansonsten noch zu einem Wunschkandidaten der republikanischen Rechten machte wie seine Aversion gegen Homosexuelle und seine Absicht, die Liberalisierung der Abtreibung rückgängig zu machen. Indem Bush dem damals 50jährigen Anwalt zum Amt des Vorsitzenden Richters an einem Gericht verhalf, dessen Einfluß auf Politik und Gesellschaft der USA den des Bundesverfassungsgerichts auf die Bundesrepublik deutlich übersteigt, hatte er die bei Pattsituationen entscheidende Stimme womöglich auf Jahrzehnte hinaus auf einen Sachwalter seiner autokratischen Ideologie festgelegt.

Die damit eingeschlagene Marschrichtung, den nominell als unabhängig von Regierung und Kongreß agierenden obersten Wächter der US-Verfassung auf die Linie herrschender Interessen einzuschwören, wird bei erfolgreicher Bestätigung Kagans durch den US-Senat fortgesetzt. Sie soll mit dem 1975 von US-Präsident Gerald Ford ernannten Stevens einen der als liberal geltenden Verfassungsrichter ersetzen, so daß die im Terrorkrieg vorrangige Rechtsauslegung, die dem autoritären, von einer mit weitreichenden Handlungsvollmachten ausgestatteten Exekutive geführten Sicherheitsstaat zuarbeitet, erst recht hegemonial würde.

23. Juni 2010