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HERRSCHAFT/1547: Ermächtigungslogik ... welche Verfassung schützt der Staatsschutz? (SB)



Hätten die Delegierten der Partei Die Linke in der Bundesversammlung dem Kandidaten Joachim Gauck ihre Stimme gegeben und würden sie nicht immer wieder auf die uneingeschränkte Verdammung der DDR als Unrechtsstaat verzichten, dann wären sie jetzt fein raus. Ihre Verfassungstreue wäre mit Brief und Siegel bestätigt worden, weil sie sich in einer freien demokratischen Wahl dem Druck anderer gebeugt hätten und weil sie einen differenzierten Umgang mit diesem ehemaligen deutschen Staat durch das antikommunistische Denkverbot eliminiert hätten. Was fällt auf an den Indizien, mit denen der Anwalt des Verfassungsschutzes Wolfgang Roth die Richter des Bundesverwaltungsgericht in Leipzig davon überzeugte, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom Februar 2009 aufzuheben, laut dem der Verfassungsschutz nicht mehr den Linken-Politiker Bodo Ramelow überwachen durfte, so daß künftig wieder die ganze Linkspartei observiert wird? Es handelt sich um reine Werturteile, die bar jeder Verankerung im unterstellten verfassungswidrigen Kontext sind. Umgekehrt wird ein Schuh daraus - ein bestimmtes Verhalten bei einer demokratischen Wahl zum Indiz für staatsfeindliche Absichten zu machen ist seinerseits verfassungswidrig, weil damit ebenso in ein demokratisches Grundrecht eingegriffen wird wie im Fall des Versuchs, sich nicht ein Urteil über den Kalten Krieg aus einer Position heraus zu bilden, mit der dieser fortgesetzt wird.

Die geheimdienstliche Beobachtung einer von Millionen Bundesbürgern gewählten Partei mit ausgesprochenen Gesinnungsfragen zu begründen verweist allerdings darauf, daß es keiner Sowjetunion und einer starken revolutionären Linken bedarf, um eine links von der SPD stehende, zum größten Teil reformistische Partei, die nicht einmal die Kriterien des KPD-Verbots von 1956, ein Paradebeispiel politischer Justiz, erfüllt, mit der Geheimexekutive des Sicherheitsstaats heimzusuchen. Wenn von einer im Bundestag und fast allen Landesparlamenten vertretenen Partei, deren klassenkämpferisches und systemüberwindendes Potential schlimmstenfalls das Schattendasein einer theoretischen, in die ferne Zukunft verschobenen Option führt, eine Gefahr für die herrschende Ordnung ausgehen sollte, dann ist diese Bedrohung allemal systemimmanent. Sie betrifft die Opposition gegen das Führen von Angriffskriegen, gegen die Verelendung und Entrechtung erwerbsloser Menschen, gegen die verschärfte Ausbeutung der Lohnarbeit, gegen die Ausbildung einer undemokratischen EU-Technokratie und andere emanzipatorische Anliegen. Die Linke greift Themenfelder auf, die die zur Bannerträgerin des neoliberalen Paradigmenwandels mutierte Sozialdemokratie hat verwaisen lassen, und beerbt damit eine parlamentarische Linke, deren politische Forderungen in den 1970er Jahren allemal integer und respektabel waren.

Wer die verfassungsrechtlichen Grundlagen von Staat und Gesellschaft ernst nimmt, der hat allen Grund, den Einsatz autoritärer Mittel gegen seine freie Betätigung als Partei zu verwerfen. In Anbetracht der Orwellschen Logik, mit der heute politische Mehrheitsführer den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit einer ihren Machtinteressen opportunen Verfassungsexegese besetzen, um anderen darauf keinen Platz mehr zu gewähren, ist die Beobachtung durch den Verfassungsschutz allerdings auch Zeugnis des Widerstands gegen die Usurpation des Staates durch potentiell diktatorische Kräfte. So erklärte der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach, man könne "nicht ernsthaft sagen: Wenn eine Partei in ein Parlament gewählt worden ist, dann stellen wir die Beobachtung ein, selbst wenn es in Teilen der Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen gibt. Eine solche Argumentation würden wir auch bei rechtsradikalen Parteien nie durchgehen lassen." [1]

Denkt man diese Argumentation zuende, dann stößt man auf die Apologetik des Ausnahmezustands. Gesetzt den theoretischen Fall, die Partei die Linke würde mit absoluter Mehrheit zur Regierungsbildung beauftragt, dann müßte mit dieser antidemokratischen Logik die Notbremse gezogen und der Notstand aufgrund der Bedrohung des Staates durch den inneren Feind verhängt werden. Exekutive Mittel gegen Volksvertreter einzusetzen haftet immer der Geruch diktatorischer Ermächtigung an, so daß auf Bosbachs Rechtfertigung nur geantwortet werden kann "Wehret den Anfängen". Der vom Anwalt des Verfassungsschutzes Wolfgang Roth unternommene Versuch, zur Rechtfertigung des Staatsschutzes die von der Linkspartei angeblich ausgehende Bedrohung mit der Machtergreifung durch die NSDAP gleichzusetzen, die durch eine "positive Stigmatisierung" (Neues Deutschland, 23.07.2010) verfassungsfeindlicher Parlamentarier vielleicht hätte verhindert werden können, stellt das Instrument des Parteiverbots grundsätzlich in Frage.

Mit dem Einschalten der Staatsgewalt gegen politische Bewegungen, die sich demokratischer Mittel bedienen, ist eine Affirmation dieser Gewalt verbunden, die eben nicht nur und nicht in erster Linie gegen Nazis scharf gemacht wird. Selbst wenn diese die demokratischen Privilegien der Volksvertreter als Deckmäntelchen zur Durchsetzung ihrer antidemokratischen Agenda mißbrauchen, ist die Frage zu stellen, ob das Erwirken eines Parteiverbots gegen sie nicht mit einem generellen Abbau demokratischer Bewegungsfreiheit verbunden wäre. Die totalitarismustheoretische Strategie, der Linken unter Verweis auf die extreme Rechte zu Leibe zu rücken, schöpft aus dem trüben Gewässer der grundsätzlich antidemokratischen Haltung, laut der die Demokratie unter den Vorbehalt der richtigen Gesinnung zu stellen ist. Wer darüber befindet, was richtig und falsch sein soll, ist eine Machtfrage, über die im vor- respektive postdemokratischen Raum entschieden wird. Skeptische Überlegungen zur Tauglichkeit demokratischer Willensbildung für das Krisenmanagement des 21. Jahrhunderts erfreuen sich in neokonservativen Kreisen längst allgemeiner Beliebtheit, und gelangen sie in den Stand mehrheitlicher Akzeptanz, dann ist klar, an wem die Stärkung staatsautoritärer Gewalt zuerst erprobt werden wird.

Der soziale Kampf für die Lebensrechte ausgegrenzter und überflüssig gemachter Massen wird in Deutschland gegen eine politische Mitte geführt, die sich längst der sozialrassistischen Parolen bemächtigt hat, die man früher nur bei der extremen Rechten antraf. Das erklärt auch deren relative Schwäche in der Bundesrepublik - wo ein SPD-Politiker wie Thilo Sarrazin und ein Medienphilosoph wie Peter Sloterdijk viel Beifall dafür erhalten, daß sie unter dem Mäntelchen bürgerlicher Besorgtheit um die Zukunft der Nation gegen "Unproduktive" insbesonderer orientalischer Herkunft zu Felde ziehen und die von ihnen ausgemachte demographische Malaise minderwertiger Reproduktion unter Verweis auf humangenetische Einflüsse auf die Intelligenz eugenisch biologisieren, da brauchen Gleichgesinnte nicht erst die Nähe dumpfer Nazis zu suchen, um sich wohl zu fühlen.

Fußnote:

[1] http://www.rp-online.de/politik/deutschland/Bosbach-nennt-Ramelow-Urteil-ueberzeugend_aid_884756.html

24. Juli 2010