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HERRSCHAFT/1574: Auf der Auto-Show in Detroit wird das hohe Lied des Individualverkehrs angestimmt (SB)



Die Autobranche boomt wieder. Nach den Einbrüchen der Umsatzzahlen in den letzten zwei Jahren werden inzwischen wieder deutlich mehr Autos gekauft. Und das, obgleich die These, daß das globale Fördermaximum bei Erdöl (peak oil) kurz bevorsteht oder bereits überschritten wurde, inzwischen nicht mehr den Verschwörungstheorien zugerechnet wird, sondern beispielsweise auch von Analysten der Bundeswehr so eingeschätzt wird.

Das Auto soll Verkehrsmittel der Zukunft bleiben. Das hängt nicht nur damit zusammen, daß die Autokonzerne als Eigner der Produktionsmittel über großen Einfluß in der Regierung verfügen. Diese hat auch ein Eigeninteresse an der Aufrechterhaltung des Individualverkehrs. Diese technologische "Errungenschaft" paßt zum Entwurf des Menschen, der in kleinfamiliären Verhältnissen lebt und so zu Werkzeug und Werkstoff der gesellschaftlichen Reproduktion gerät.

Zwar hat sich der technologische Fortschritt in Gestalt der Verbrennung fossiler Energieträger zum Zwecke der Steigerung der Produktivität als fatales, unbeabsichtigtes Geoengineering-Projekt erwiesen, da seit ein bis zwei Jahrhunderten die Verbrennungsgase das globale Klima verändern, wodurch die Lebensvoraussetzungen vor allem der ärmeren Menschen gefährdet werden, aber nun sollen Elektroautos drohende Versorgungslücken des Brennstoffs vermeiden helfen. Alle großen Autoproduzenten stellen sich darauf ein, daß in vielleicht zehn, zwanzig Jahren kein individueller Massenverkehr mehr mittels fossiler Energieträger betrieben werden kann. Das zeigt aktuell die North American International Auto Show (NAIAS) in Detroit, die größte Autoshow Nordamerikas, in der neben Spritfressern wie GMC Sierra auch zahlreiche Varianten der Elektromobilität ausgestellt sind.

Zum Auftakt der bis zum 23. Januar anberaumten Detroiter Messe wurde der Chevrolet Volt zum Auto des Jahres gekürt. Dieses Hybridauto schleppt permanent fast 200 Kilogramm schwere Lithium-Ionen-Akkus mit. Die machen nach rund 60 Kilometern schlapp, dann schaltet sich der Verbrennungsmotor zu, der den Herstellerangaben zufolge sechs bis sieben Liter Benzin auf 100 Kilometer verbraucht.

Dieses typische Hybridauto markiert den Übergang vom fossilen zum atomaren Zeitalter. Denn um genügend Strom zum Antrieb der fälschlicherweise als umweltfreundlich gehandelten Elektrofahrzeuge zu generieren, werden keine Solarpaneele und Windräder aufgestellt, sondern neue Atomkraftwerke gebaut. Die bieten den herrschenden Kräften den Vorteil der zentralistischen, leicht kontrollierbaren Energieversorgung und liefern darüber hinaus einen Vorwand zum weiteren Ausbau des Sicherheitsstaats - beides unverzichtbar, um in Zeiten zunehmenden Ressourcenmangels das System zu stabilisieren.

Eine klima- und umwelttechnisch sehr viel weniger destruktive Alternative zu Elektroautos und der Förderung des Individualverkehrs besteht darin, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen und womöglich kostenlos anzubieten, sozusagen als geringfügige Rückerstattung des Staates von den Einnahmen, die er zuvor von den Bürgern eingenommen hat. Bei diesem Ansatz wären noch nicht einmal die Produktionsverhältnisse in Frage gestellt, aber ein kostenloser, gut ausgebauter öffentlicher Nahverkehr stände im Widerspruch zur vorherrschenden Doktrin, nach der Produktivität nur dann anerkannt wird, wenn sie als Geldwert berechenbar ist ist, und umgekehrt jede "Dienstleistung" des Staates eigens bezahlt werden muß.

Auch wenn man über die Formulierung spöttisch schmunzeln könnte, daß auf der Autoshow in Detroit Elektroautos der "Renner" sind, sollte nicht vergessen werden, daß mit ihrer Verbreitung in den nächsten Jahren andere Funktionen als allein die der schnellen Fortbewegung erfüllt werden. Am Individualverkehr nehmen Individuen teil. Die grenzen sich definitionsgemäß gegenüber anderen Individuen ab. Das macht die Menschen spaltbar. So wird die Atomisierung der Gesellschaft weiter vorangetrieben. Beim idealen Individualverkehr würden die Menschen nur noch in einsitzigen Autos fahren - zentral gesteuert, bar jeder sozialen Kontakte, zu vereinzelten Funktionseinheiten einer breiten Verfügungsmasse abgestempelt.

12. Januar 2011