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HERRSCHAFT/1662: Genugtuung über Breiviks Verurteilung voreilig (SB)




Die Genugtuung, mit der in Norwegen auf die Verurteilung des Terroristen Anders Behring Breivik zur Höchststrafe von 21 Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung laut Umfragen mehrheitlich reagiert wurde, ist voreilig. Mit dem verständlichen Wunsch, diesen Einbruch in die vermeintlich heile Welt gutbürgerlichen Daseins hinter sich zu bringen und in die altvertraute Ordnung der Dinge zurückzukehren, wird eine politische Ignoranz bekräftigt, die die Wahrnehmung dieses Falls auch hierzulande maßgeblich bestimmt. Die Rede ist von den geistigen Mittätern Breiviks, denen die sozialdarwinistische und kulturalistische Zurichtung der Menschen im neoliberalen Wettbewerbsstaat entgegenkommt.

Das Lächeln, mit dem Breivik die Verkündung des Strafmaßes im Osloer Gerichtssaal quittierte, entspricht der nicht nur von ihm imaginierten Rückendeckung durch eine neue, in ihrer saturierten Bürgerlichkeit höchst aggressiven Rechten. Diese macht sich inmitten europäischer Gesellschaften breit, von denen man noch vor einiger Zeit angenommen hätte, sie seien durch die Katastrophe des industriellen Massenmords und des faschistischen Krieges gegen das Aufkommen vergleichbarer Entwicklungen gefeit. Allein die in deutschen Medien übliche Titulierung Breiviks als Attentäter oder Massenmörder belegt, daß dem politischen Charakter seiner Tat nicht auf den Grund gegangen wird. Daß das Osloer Bezirksgericht ihn nun aufgrund eines terroristischen Verbrechens schuldig gesprochen hat, fällt aus dem Rahmen des allgemeinen Versuch, seine mörderischen Handlungen nicht mit einer politischen Gesinnung, sondern als Ergebnis einer psychopathologischen Entwicklung zu deuten.

Dieser Fingerzeig des Gerichts in Richtung der notwendigen Kritik der Überzeugungen und Positionen, mit denen Breivik seine Morde legitimiert und aus denen er nie ein Hehl gemacht hat, wird durch den weiterhin in Medienberichten vorgenommenen Versuch, den Bombenanschlag in Oslo und das Massaker auf der Insel Utoya ursächlich als Tat eines Wahnsinnigen zu erklären, ebenso ignoriert wie durch die Behauptung, Breiviks Glaube, im Rahmen einer größeren Widerstandsbewegung gegen die Islamisierung Europas zu kämpfen, sei völlig aus der Luft gegriffen. Nur weil er allem Anschein nach keine konkreten Unterstützer gehabt hat, heißt das nicht, daß ihm die Sympathien einer weißen Suprematie, die die expansive Ausplünderung und aggressive Unterwerfung der Welt mit ethnisch- christlicher Suprematie legitimiert, nicht gewiß wären. Seine abschließenden Worte, er wolle sich "bei allen militanten Nationalisten dafür entschuldigen, dass ich nicht fähig war, mehr zu exekutieren" [1], sind ebenso an diese Klientel adressiert wie seine Posen der Stärke, mit denen er sich als Kämpfer vor Gericht in Szene setzte. Sein Bedauern, auf Utoya nicht genügend junge Sozialisten, die sich auf eine radikalere Art mit der Befreiung der Palästinenser solidarisierten, als es der eigenen Parteiführung lieb war, ermordet zu haben, kennzeichnet ihn als Parteigänger einer neokonservativen Rechten, die aufgrund ihres politischen Einflusses durchaus in der Lage ist, in den Zielgebieten imperialistischer Expansion Vernichtungsfeldzüge zu führen.

Doch es sind nicht nur die kriegerischen Auswirkungen des kulturalistischen Clash of Civilizations, die diese Rechte so gefährlich machen. Immer mehr Menschen habe keine Hoffnung mehr darauf, daß ihnen auch nur in ferner Zukunft eine materiell angemessene Lebensführung möglich sein wird. Die daraus resultierende Wut wird längst in die Bahnen einer nationalistischen Restauration gelenkt, der das feindliche andere heute nicht mehr jüdische Bolschewisten, sondern linke Migranten, orthodoxe Muslime, Behinderte, Drogensüchtige, Langzeiterwerbslose, Bettler, Obdachlose sind. Die Unterstellung, all diese Menschen lebten zu Lasten des eigenen Einkommens, hat längst breite Schichten der Gesellschaft erreicht und wird von publizistischen Haßpredigern, die Hartz IV-Empfängern unterstellen, zu Lasten steuerzahlender Bürger zu leben, und Muslime bezichtigen, einen besonders großen Anteil an dem auf Sozialtransfers angewiesenen, angeblich unproduktiven Subproletariat zu stellen, nach Kräften genährt.

In diesen Kreisen klatscht man Beifall, wenn nicht etwa Breivik, sondern eine angeblich linke Hegemonie in Politik und Gesellschaft für rassistische Mordtaten verantwortlich gemacht wird [2]. Britischen Erwerbslosen wurde unlängst in der Daily Mail empfohlen, ihre Ansprüch zurückzuschrauben, denn das über diversen KZs prangende Nazi-Motto "Arbeit macht frei" habe nichts von seinem eigentlich positiven Sinngehalt verloren [3]. Im Rahmen der britischen Austeritätspolitik werden heute Menschen zur Arbeit geschickt, die schwer behindert sind oder an einer tödlich verlaufenden Erkrankung leiden, was die Selbstmorde und Todesfälle unter den Betroffenen hat stark ansteigen lassen.

All das wird von jener Rechten, für die Breivik als militanter Poster Boy posiert, in ihrer sozialdarwinistischen Gesinnung gutgeheißen. Ihre Herolde und Volkstribune haben kein Problem mit dem massenhaften Sterben von Menschen, die nicht genug zu essen haben, die verseuchtes Wasser trinken müssen, die zu lebensverkürzenden Jobs gezwungen werden, denen es an medizinischer Versorgung und anderen Selbstverständlichkeiten ihrer alltäglichen Reproduktion mangelt. Sie haben auch keine Probleme damit, ganze Bevölkerungen mit Krieg zu überziehen, um ihre Hegemonialinteressen durchzusetzen. Wieso also sollten sie Skrupel bei der Beseitigung eines inneren Feindes mit terroristischen Mitten, wie sie hierzulande von der Terrorzelle NSU angewendet wurden, haben?

So profitieren sie von einer Beschwichtigung, die die von der neuen rechten Bürgerlichkeit ausgehende Entwicklung zum sozialrassistischen Krieg verharmlost, weil sie zu tief in die eigene nationalistische und selbstgerechte Gesinnung hineinreicht. Die Kommentare und Stellungnahmen zur Verurteilung Breiviks liefern ein anschauliches Beispiel dafür, wieso diese Form von Gewalt nach wie vor von der Möglichkeit entschiedener Intervention freigehalten wird, während linke sozialrevolutionäre Aktivitäten schon im Keim massiv unterdrückt werden. Es geht um die Durchsetzung herrschender, mit dem neoliberalen Kapitalismus konform gehender Interessen gegen die Wünsche und Hoffnungen von Millionen Menschen, denen diese Gesellschaftsdoktrin nur Schmerzen und Verluste beschert. Breivik weiß, daß die anwachsenden sozialen Konflikte seiner Übermenschendoktrin Zulauf bescheren und hat in diesem Sinn durchaus Grund, dies zum Anlaß persönlichen Triumphes zu nehmen.

Fußnoten:

[1] http://www.abendblatt.de/vermischtes/article2380583/Breivik-nutzt-letzten-Auftritt-vor-Gericht-fuer-Hass-Botschaft.html

[2] KULTUR/0934: Was kann denn Breivik dafür? "Anwälte des Schweigens" produzieren Terrorismus (SB)

https://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele0934.html

[3] http://www.guardian.co.uk/media/greenslade/2012/aug/13/dailymail-twitter

25. August 2012