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HERRSCHAFT/1665: Im internationalistischen Schulterschluß neue Chancen für Die Linke (SB)




Wenn deutsche Politiker von Merkel bis Trittin Solidarität mit der griechischen Bevölkerung bekunden, dann heißt das im Klartext nichts anderes, als daß sie ihnen viel Glück beim Ausbaden des von ihnen mitverursachten sozialen Elends wünschen. Sich mit Griechenland solidarisch zu zeigen, ohne bei der gleichzeitig gutgeheißenen Verarmungspolitik eine Kehrtwende zu vollziehen, indem das fehlende Kapital dort abgeschöpft wird, wo es vorhanden ist, anstatt den Menschen die letzten Möglichkeiten zu rauben, ein Leben ohne Hunger und Not in Anstand und Würde zu führen, ist blanker Zynismus. Dies gilt auch für die der Athener Regierung immer dann demonstrativ attestierte Souveränität, wenn die Frage gestellt wird, wieso nicht auf die erheblichen Auslandsvermögen der griechischen Milliardäre zugegriffen oder die Oberschicht des Landes in weit größerem Maße als bisher zur Refinanzierung der aufgelaufenen Staatsschulden herangezogen wird.

Das von der Troika gegen die lohnabhängige Bevölkerung Griechenlands durchgesetzte Spardiktat ist in Hinsicht auf die damit angeblich angestrebte wirtschaftliche Erholung des Landes widersinnig, weil es jegliche Lebensstandard und Produktivität fördernde Entwicklung in ihr Gegenteil verkehrt. Um so plausibler ist die Absicht, an der griechischen Bevölkerung ein Exempel der Rationalisierung der europäischen Arbeitsgesellschaft zu statuieren und dem westeuropäischen Kapital mit der Privatisierung dem griechischen Staat verbliebener Unternehmen und Liegenschaften neue Expansionsmöglichkeiten zu schaffen. Im Zangengriff unbezahlbarer Kreditzinsen und aufoktroyierter Kürzungsprogramme soll aus der Bevölkerung gepreßt werden, was noch an produktiven Kapazitäten zu Discountpreisen mobilisierbar ist, und die Grenze ihrer Belastbarkeit mit repressiver Staatsgewalt ausgeweitet werden.

Der Besuch der Bundeskanzlerin in Athen war eine Scharade inszenierter Bilateralität. Das von ihr repräsentierte Gewaltverhältnis hat die souveräne Handlungsfähigkeit der griechischen Regierung längst aufgehoben, während auf symbolpolitischer Ebene der gegenteilige Eindruck erweckt wird, um den Widerspruch zwischen europäischer Einheit und nationalstaatlicher Konkurrenz in die Form eines auch in Zukunft ausbeutbaren Produktivitätsgefälles zu pressen. Zu nichts anderem als diesem Zweck wird Griechenland gebraucht, und nichts anderes als das eigene Wohlergehen haben Politiker und Journalisten im Sinn, die Merkels Stippvisite zu einem Akt der Solidarität verklären. Der Erhalt einer EU des globalen Hegemoniestrebens, die die Unwägbarkeiten internationaler Handelsbeziehungen und frei gegeneinander flottierender Währungen im Korsett einer neoliberal reglementierten Wirtschafts- und Währungsunion aufhebt, so daß die dabei aufrechterhaltenen Unterschiede der Produktivitätsniveaus, Sozialstandards und Disziplinarregimes optimalere Bedingungen zur Kapitalakkumulation nunmehr mit innenpolitischen Mitteln kontrollierter Wertschöpfungsketten hervorbringen, ist Sinn und Zweck dieser Nationalstaatlichkeit zugleich verfestigenden und dementierenden Hegemonialpolitik.

Das wird aufs deutlichste bestätigt, wenn dem Vorsitzenden der Partei Die Linke, Bernd Riexinger, nach seiner Beteiligung an einer gegen die Sparpolitik der Bundeskanzlerin gerichteten Demonstration in Athen der Vorwurf gemacht wird, "unpatriotisch" gehandelt zu haben. Dies könnte sich der Stuttgarter Gewerkschafter als Ehrenbezeugung ans Revers heften, wenn er es darauf anlegte, die nationalchauvinistische Empörung auf die Spitze zu treiben.

Vom Standpunkt des deutschen Imperialismus hat Riexinger mit diesem Protest die internationale Solidarität zwischen deutschen und griechischen Lohnabhängigen gestärkt, wohl wissend, daß die Exekution des Sparregimes im "Krisenlabor Griechenland" (Detlef Hartmann) immer auch die eigene Klassengesellschaft meint. Riexinger als "vaterlandslosen Gesellen" zu brandmarken richtet sich denn auch an eine ins nationale Kollektiv gebannte Bevölkerung, die mit dieser Identifikation jene Ohnmacht zementiert, zu deren Entlastung die Konzernmedien mit immer neuen Feindbildern wie nicht zuletzt das der "Pleitegriechen" aufwarten. Die eigene Verfügbarkeit und Ausbeutbarkeit zu gewährleisten in der Hoffnung auf angeblich vom Tisch der Reichen fallenden Brosamen, die längst zur kleinen Münze des Teilens und Herrschens verkommen sind, zeigt das ganze Elend eines nationalistisch zugerichteten Gemeinwesens, an dem nichts gemeiner ist als die bis in die kleinste Zelle sozialen Miteinanders getriebene Feindseligkeit der Überlebenskonkurrenz.

Vom Standpunkt der europäischen Einigung aus, deren von Kapitalinteressen getriebener Zwangscharakter den vollmundigen Ethos der "Wertegemeinschaft" längst gegen das Büßergewand der "Schicksalsgemeinschaft" eingetauscht hat, treibt Riexinger mit seiner im urtümlichen Sinne gemeinten Solidaritätsbekundung den europaweiten Schulterschluß der weit hinter den Möglichkeiten der Kapitaleliten und Staatsapparate zurückbleibenden Lohnabhängigen, Erwerbslosen und Versorgungsbedürftigen voran. Die gegen ihn gerichteten Anwürfe entspringen mithin dem echten Ärger über eine politische Offensive, die das fehlende Glied zwischen seiner bislang nur bedingt antikapitalistischen Partei und den dafür umso stärker anwachsenden sozialen Bewegungen schließen könnte. Sich bei Protesten, deren staatskonforme Ausrichtung niemandem wehtut, auf der Straße bürgernah und demokratisch zu geben, gehört zum Alltagsgeschäft deutscher Funktionseliten. Sich in die Nesseln einer Europa entflammenden sozialen Widerspruchslage zu setzen, indem man Partei für die politisch wie ökonomisch weit schwächere Seite ergreift, ist Ausdruck einer demokratischen Gegenposition, die diesen Titel verdient. Die Linke wird ihre angeschlagene Glaubwürdigkeit nur festigen können, wenn sie sich nicht davor scheut, sich im Urteil der Herrschenden schuldig zu machen, weil sie deren von Eigentumsordnung und Kapitalmacht, von Staatsräson und Nationalmythos gespeisten Moral die Streitbarkeit der dadurch in Ausbeutung und Unterdrückung gehaltenen Menschen entgegenstellt.

10. Oktober 2012