Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


HERRSCHAFT/1723: Die Logik sozialdarwinistischen Erfolgsstrebens brechen ... (SB)



Die Strategie, die Alternative für Deutschland (AfD) als rechtspopulistisch auszugrenzen, hat den Zuspruch der Partei bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg eher beflügelt als eingedämmt. Mit dieser Etikettierung wurde darauf verzichtet, sich auf eine Weise mit der nationalliberalen, marktradikalen und sozialchauvinistischen Programmatik der AfD auseinanderzusetzen, die ihrer strategischen Stellung als Sammelbecken des rechten Flügels der Unionsparteien und ehemaliger FDP-Mitglieder gerecht geworden wäre. Den Kommentaren der bürgerlichen Medien ist bereits zu entnehmen, daß ideologische Berührungsängste in Anbetracht des rasanten Aufstiegs der Partei schneller wegschmelzen als der Schnee in der Sonne. Das Argument, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe der Truppe um Frauke Petry und Alexander Gauland mit ihrer Flüchtlingspolitik Wähler aus den sogenannten Volksparteien in die Arme getrieben, erfüllt diesen Zweck ebenso wie der wohlwollende Verweis darauf, daß die AfD zahlreiche notorische Nichtwähler zum Vollzug ihrer staatsbürgerlichen Pflicht veranlaßt habe.

In Anbetracht der bisher bekanntgewordenen politischen Ziele der Partei macht es wenig Sinn, die AfD weiterhin unter Extremismusverdacht zu stellen und damit das Expansionsgebiet der sogenannten Volksparteien nach rechts zu blockieren. Forderungen nach ihrer Überwachung durch den Verfassungsschutz bekunden ihrerseits ein Vertrauen in den autoritären Maßnahmestaat, der die bürgerliche Mitte dort verortet, wo sie angeblich nicht sein will. In dem bekanntgewordenen Entwurf zu einem Parteiprogramm der AfD [1] finden sich denn auch zahlreiche Positionen, die neoliberalen Politikerinnen und Politikern der im Bundestag vertretenen Parteien mit Ausnahme der Linken allemal vertraut sind.

Daß der Partei Die Linke bei den Landtagswahlen am Sonntag eine Absage auf ganzer Linie erteilt wurde, bietet zwar viel Gelegenheit zu berechtigter Selbstkritik, ist aber auch gesellschaftlichen Umständen geschuldet, gegen die die linke Bewegung innerhalb wie außerhalb der Parlamente seit Jahren angeht. Die sogenannten Protestwähler der AfD sind alles andere als Rebellen gegen die herrschende Ordnung. Diese Ordnung geht ihnen nicht weit genug, um ihre Besitzstandinteressen nicht nur zu schützen, sondern aggressiv zu mehren. Wie die Zurichtung Griechenlands auf eine Halbkolonie von Deutschlands Gnaden im ersten Halbjahr 2015 gezeigt hat, wird der sozialdarwinistische Selektionsdruck der hiesigen Arbeitsgesellschaft ohne Umstände auf ganze Bevölkerungen angewendet, und das unter viel Beifall in Politik und Medien. An dem Exempel, das am Beispiel Hellas statuiert wurde, um den Widerstand gegen Spardiktate, Sozialkürzungen und Privatisierungspolitik EU-weit zu brechen, war die Handschrift der rot-grünen Agenda 2010 unübersehbar.

In der Empörung der AfD-Wähler, die die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida) als Kulturkrieg gegen nichtweiße und nichtchristliche Menschen auf die Straßen der Republik tragen, steckt eben auch die Forderung, am Erfolg deutschen Hegemonialstrebens stärker beteiligt zu werden, anstatt Menschen in Not aufzunehmen, die diesem kulturalistischen Ressentiment gemäß keinen Anspruch auf Zugehörigkeit zum Volkskollektiv haben. Der gegen schwache und verletzliche Minderheiten gerichtete Zynismus, das eigene Interesse zu Lasten anderer Menschen durchzusetzen, war stets Ausdruck rechter Bewegungen und hat im Neoliberalismus seine zeitgemäße Form gefunden. Aus dem Widerspruch, als Staatsbürger der Bundesrepublik von der Aggressivität der Nation nach außen wie innen zu profitieren und an den Folgen der kapitalistischen Globalisierung zugleich Schaden zu nehmen, wird der Schluß gezogen, den Primat nationaler Selbstbehauptung zugunsten des Staatsvolkes zu stärken. Wer nach dessen Ansicht nicht dazugehört, soll draußen bleiben, hat vor wenigen Jahren der SPD-Politiker Thilo Sarrazin unter großer Zustimmung der bürgerlichen Mitte gefordert.

Wo das individuelle Marktsubjekt ebenso wie die ganze Bevölkerung mit Sozialkonkurrenz und Leistungsdoktrin auf Wettbewerb und Wachstum zugerichtet wird, ist die Elimination humanistischer und sozialistischer Ideale zwingende Voraussetzung gesellschaftlichen Erfolges. Je mehr die begründete Angst davor, ausgegrenzt und abgehängt zu werden, an den Menschen nagt, desto schwieriger ist zu vermitteln, eine Gegenposition einzunehmen, die solidarisches Handeln über die Grenzen des Not- und Zwangskollektivs hinaus beansprucht. Linke Positionen zu vermitteln, heißt auch den Blick zu weiten für Probleme, die nicht zur Lebensrealität der meisten Bundesbürger gehören. Dies kann eigentlich nur gelingen, wenn der Zusammenhang von eigener Lebenspraxis und zerstörerischem Raubbau an Mensch und Natur anderswo so konkret und umfassend herausgestellt wird, daß die Konsequenz, sich nicht davon trennen zu können, auch ganz subjektiv vollzogen werden kann.

Es gilt mithin, nicht nur die soziale Frage in den Mittelpunkt zu stellen, sondern sie vollständig von den Klammern marktwirtschaftlicher, standortpolitischer, kulturalistischer wie auch Tier und Natur ausgrenzender Bedingungen zu lösen. Solange das linke Projekt lediglich keynesianistische Umverteilung unter ansonsten weithin unveränderten Besitz- und Verwertungsbedingungen propagiert, wird der sozialdarwinistische Griff nach dem eigenen Vorteil, wie ihn die AfD im Kern propagiert, den Menschen hierzulande mehr einleuchten. Wird die fundamentale Auseinandersetzung mit der individuellen Teilhaberschaft an Raub und Zerstörung gescheut, ist zu befürchten, daß die Beschleunigung des gesellschaftlichen Niedergangs erst recht die Barbarei faschistischer Herrschaft auf den Plan ruft. Die Voraussetzungen dafür sind mit dem Wahlerfolg der AfD zwar besser geworden, doch der Boden war durch die Politik herrschender Machtkartelle längst bereitet.


Fußnote:

[1] https://correctiv.org/media/public/a6/8e/a68ed5e4-32a8-4184-8ade-5c19c37ff524/2016_02_23-grundsatzprogrammentwurf.pdf

15. März 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang