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HERRSCHAFT/1726: Lex Zoabi ... vom Parlament zum Tribunal (SB)



Postdemokratische Verhältnisse allerorten, so auch in Israel. Mit 62 zu 45 Stimmen wurde in der Knesset ein Gesetz verabschiedet, das den Ausschluß von Abgeordneten wegen rassistischer Äußerungen oder der Unterstützung von bewaffneten Gegnern des Staates Israel mit einer Mehrheit von mindestens 90 der 120 Abgeordneten des israelischen Parlaments möglich macht. Äußerer Anlaß der von Premierminister Benjamin Netanjahu eingebrachten Gesetzesinitiative war die Beteiligung dreier arabischer Parlamentarier an einer Schweigeminute zum Gedenken an drei palästinensische Attentäter. Deren Familien hatten die Abgeordneten darum gebeten, sich dafür einzusetzen, die Leichen ihrer Angehörigen ausgehändigt zu bekommen. Im Mittelpunkt des Versuches, die Knesset anläßlich mißliebiger Aktionen und Äußerungen in ein Tribunal zu verwandeln, steht jedoch die Abgeordnete Haneen Zoabi [1]. Sie hat sich nicht nur an dieser Schweigeminute beteiligt, sondern ist aufgrund ihres unerschrockenen Eintretens für die 17 Prozent der israelischen Bevölkerung umfassende arabische Minderheit und die palästinensische Bevölkerung in den von Israel besetzten Gebieten stetiger Anlaß des Ärgernisses zumindest für die Mitgliedern der Regierungskoalition.

Dies geht auch aus der wiederholt vom Likud-Minister für Einwanderung, Seev Elkin, erhobenen Beschuldigung an die Adresse der gegen das Gesetz stimmenden Abgeordneten der Arbeitspartei hervor, gemeinsame Sache mit Haneen Zoabi zu machen [2]. Im Kern soll an der unbequemen Abgeordneten ein Exempel statuiert werden, das jedes Widerhandeln gegen die Staatsräson Israels, die seiner jüdischen Bevölkerung eine Vorrangstellung gegenüber anderen ethnisch-religiösen Minderheiten einräumt, bei Strafe des Ausschlusses vom Parlament unterbindet. Daß selbst konservative und zionistische Abgeordnete wie auch Israels Präsident Reuven Rivlin die Gesetzesinitiative als antidemokratisch verurteilen, macht deutlich, daß es sich um nichts anderes als die Verhängung eines Maulkorbs insbesondere gegen Parlamentarier, die eine minoritäre Position vertreten, handelt.

Die Möglichkeit, mit dieser Verfahrensweise auch gegen Abgeordnete der Knesset vorzugehen, die sich in rassistischer Weise über Palästinenser äußern, ist in Anbetracht der erforderlichen Mehrheitsverhältnisse kaum gegeben. So wie die Verabschiedung des Gesetzes das Interesse einer Mehrheit des Parlaments spiegelt, mißliebige Stimmen aus den Reihen der linken und arabischen Opposition unterdrücken zu können, so wäre ein erfolgreiches Abstimmungsverhalten an politische Mehrheiten geknüpft, die das legitime Interesse der Palästinenser an Gleichberechtigung in einem einzigen Staat für alle im ehemaligen britischen Mandatsgebiet lebende Menschen oder Eigenstaatlichkeit in einem souveränen Palästina prinzipiell als Bedrohung der eigenen Vormachtstellung abwehren.

Das Gesetz ist ein drastisches Beispiel für jenen Legalismus, mit dem der Anspruch auf Rechtstaatlichkeit zu einem Instrument politischer Wahrheitsfindung verabsolutiert wird, das mit der Macht, es erfolgreich gegen unterlegene Akteure anzuwenden, steht und fällt. Die Geschichte des Nahostkonflikts zwischen Israelis und Palästinensern weist eine Fülle von Beispielen für die kaum verhohlene Inanspruchnahme des Rechts nach Lesart einer Deutungsmacht auf, die dem hierarchischen Verhältnis von Besatzungsmacht und Kolonialsubjekten adäquat ist. So setzen sich die Palästinenser, die militanten Widerstand gegen die israelische Siedlungspolitik leisten, stets ins Unrecht und liefern damit vermeintlich rechtsstaatliche Gründe für ihre im Verhältnis zum Ausmaß eigener Gewaltanwendung meist überproportionale Bestrafung. Wenn etwa die Häuser der Familien palästinensischer Attentäter zerstört und damit Dutzende von Menschen obdachlos werden, dann handelt es sich dabei aus israelischer Sicht nicht um eine gegen internationales Recht verstoßende Kollektivstrafe, sondern um einen Ausdruck rechtsstaatlicher Souveränität. Protestieren die Betroffenen gegen diese als höchst ungerecht empfundene Maßnahme, wird auf die Legalität der hoheitlichen Anwendung israelischen Rechts verwiesen, gegen die ja an geeigneter Stelle Einspruch eingelegt werden könnte. Wenden sich die von derartiger Willkürjustiz Betroffenen an israelische Gerichte, entscheiden diese in der Regel nach Maßgabe der Staatsräson ihres Landes.

Wird also in der Knesset künftig mit Mehrheitsentscheidung über die inhaltliche Verwerflichkeit bestimmter Stellungnahmen geurteilt, dann maßt sich dieser Legalismus die Weihen einer demokratischen Willensbildung an, deren monopolistische Realität geradewegs in die Ausweglosigkeit inquisitorischer Wahrheitsbeweise führt. Besteht die betroffene Abgeordnete auf ihrer Position, wird ihr die parlamentarische Bühne entzogen, was den durch sie repräsentierten Wählerwillen entwertet. Schwört sie ab, dann bestätigt sie, daß die von ihr kundgetane Position auch für alle anderen, die sie vertreten, nicht der Wahrheit entspricht. Das politische Ergebnis besteht in einem staatskonform formierten Parlament, in dem das Prinzip der Gewaltenteilung durch die Ermächtigung ersetzt wird, Ankläger, Richter und vollziehende Gewalt in einem zu sein.

Für den Ruf Israels als einzige Demokratie in einem Meer von Despotien mag die Verabschiedung einer Lex Zoabi wenig vorteilhaft sein, doch das gilt auch für andere politische Strategien wie etwa die Abschottung Gazas und die daraus früher oder später resultierende Unbewohnbarkeit dieses palästinensischen Gebiets. Mit der langjährigen Bestätigung des realpolitischen Nutzens, einen nach internationalem Recht als illegal anerkannten Status quo beizubehalten und die dagegen aufbegehrenden Palästinenser ein ums andere Mal ins Unrecht zu setzen, erweist sich dieser Legalismus als überlegene Form machtpolitischer Praxis. Es wäre mithin nicht erstaunlich, wenn das israelische Beispiel auch in der EU Schule machte, um Interessen durchzusetzen, deren Verwirklichung bislang noch an verbliebenen Strukturen demokratischer Partizipation scheitern.


Fußnoten:

[1] INTERVIEW/073: Haneen Zoabi, Mitglied der Knesset, kämpft für Demokratie in Israel (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0073.html

[2] http://www.israelnetz.com/innenpolitik/detailansicht/aktuell/gesetz-zum-ausschluss-von-abgeordneten-verabschiedet-96900/

21. Juli 2016


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