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HERRSCHAFT/1768: Wer schützt den Krisenstaat in der Staatskrise? (SB)



In der Bundesrepublik hat man wenig Anlaß, über den lässigen Umgang des US-Präsidenten mit Nazis und Rassisten empört zu sein. Obwohl ein 20jähriges Mitglied der rechtsradikalen Organisation Vanguard America, dessen Facebook-Account eindeutige Nazipropaganda aufweist, bei dem großen Vereinigungstreffen weißer Suprematisten, Nazis und Rassisten in Charlottesville offenkundig absichtlich in eine Gruppe von Gegendemonstranten gefahren ist, eine Frau getötet und 16 Personen schwer verletzt hat, fand sich Donald Trump nicht bereit, den Anschlag eindeutig zu verurteilen. "Viele Seiten" hätten Schuld an der Eskalation, so seine lauwarme Ausrede, mit der er verhindern will, seine Unterstützer aus dem rechtsradikalen Lager zu verprellen.

In der Bundesrepublik ist man in dieser Hinsicht einiges gewohnt. Mörderische Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte werden nicht als terroristische Akte bezeichnet und verfolgt, die politische Motivation Dutzender Morde an Asylbewerbern, Obdachlosen, nichtweißen und nichtdeutschen Menschen wird nach Kräften unterschlagen, wiederholt erfolgte Funde großer Waffenbestände bei Personen mit eindeutig rechtsradikaler Gesinnung werden tief gehängt und nur nachlässig ermittelt, die Mordserie des NSU wird, nachdem sie zuerst dem Umfeld der migrantischen Opfer angelastet wurde, strikt auf wenige Personen begrenzt, obwohl zahlreiche Indizien für einen weit größeren Kreis rechtsterroristischer Täterinnen und Täter existieren.

Linksradikale Militanz wird demgegenüber auf eine Weise dämonisiert, als ob man nur darauf wartet, daß es endlich Todesopfer gibt, um der schwächelnden Faktizität des Vorwurfes aufzuhelfen. In Hamburg wurden Sondereinheiten mit Kriegswaffen und Schußbefehl auf Demonstranten losgelassen, die vor allem Sachbeschädigung begingen, und der Nachhall der Empörung ist so laut, daß die Warnungen vor rechten Mordtaten, wenn sie denn überhaupt ausgesprochen werden, ungehört verhallen. Sich jetzt daran abzuarbeiten, daß Trump seine Anhängerschaft im rechtsradikalen Milieu schont, wie es in vielen Pressorganen und Sendern derzeit geschieht, ist eine willkommene Entlastung von dem virulenten Vorwurf, rechtsradikale Urheber terroristischer Anschläge eher nachlässig und unentschlossen zu verurteilen und zu verfolgen.

Der frappante Unterschied bei der Verfolgung politisch motivierter Gewalt unterstreicht, wie sehr die verbreitete Ansicht, rechts und links wären überkommene, keinerlei Funktion mehr erfüllende Kategorien am Achsenpunkt politischer Wirksamkeit vorbeigeht. Gerät der notorisch von Überschuldung und Wachstumsschwäche gebeutelte Krisenstaat in die Staatskrise, dann sucht er seine machtstrategische Rückversicherung sicherlich nicht in einer radikalen und revolutionären Linken, die seine kapitalistische Verfaßtheit überwinden will. Wie schon in der Endphase der Weimarer Republik marschiert die faschistische Rechte, um den autoritären Staat für seine Geld- und Funktionseliten zu sichern, und versucht, sich über das Bündnis mit der bürgerlichen Mitte und nationalkonservativen Rechten in den Sattel der Regierungsmacht zu schwingen. Ist sie dazu zu schwach, wie es derzeit in den USA wie der EU noch der Fall sein dürfte, dann bietet sie einen willkommenen Vorwand, das ganze Feld staatlicher Herrschaftsausübung in Richtung exekutive Ermächtigung, permanenten Ausnahmezustand und autoritären Maßnahmestaat zu manövrieren.

Trump stützt sich sicherlich nicht auf rechtsradikale Kleingruppen wie diejenige, der der Attentäter aus Charlottesville wahrscheinlich angehört. Hinter ihm steht jedoch mit der Alt-Right-Bewegung, der National Rifle Alliance und der Millionen Menschen starken Anhängerschar rechter Meinungsführer aus dem breiten Spektrum evangelikaler Endzeitchristen und weißer Suprematisten eine zum aktiven Eintreten in den Bürgerkrieg bereite Gruppe der Bevölkerung. Mit dieser ist gerade in einer Epoche tiefgreifender Krisenanfälligkeit allemal zu rechnen, das allerdings gilt für die USA in weit größerem Maße als für die Bundesrepublik. Hierzulande erfolgt die schleichende Durchsetzung autoritärer Staatlichkeit und die Kriminalisierung der linken Opposition eher auf staatsintegrativer Ebene durch etablierte Akteure wie die zusehends salonfähig werdende AfD, den rechten Rand der Unionsparteien sowie Teile der zivilen Sicherheitsorgane und der Bundeswehr.

In Charlottesville mag sich das rechtsradikale Spektrum der Vereinigten Staaten mit dem wenig erfolgreichen Versuch, eine spektakuläre Einigung zu zelebrieren, blamiert haben. Das macht seine Aktivistinnen und Aktivisten nicht weniger gefährlich. Als der rechtsradikale Regierungsgegner Timothy McVeigh 1995 mit geringer Unterstützung ein Regierungsgebäude in Oklahoma City in die Luft sprengte, was 168 Menschen das Leben kostete und über 600 verletzte, wurde noch tagelang nach Islamisten gefahndet, bevor es den Behörden dämmerte, womit sie es zu tun hatten. Neonazis in der Bundesrepublik horten Waffen in einem Ausmaß, die alle Alarmsirenen auslöste, wenn man sie bei sogenannten Gefährdern islamistischer Gesinnung vorfände. Bei biodeutschen Nazis oder sogenannten Reichsbürgern drückt man gerne einige Augen zu, wer weiß, wozu man sie noch benötigen wird.

13. August 2017


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