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HERRSCHAFT/1793: Berlin - die alten Interessen ... (SB)



Die Kanzlerin muss Erdogan deutlich machen, dass der deutsche Rechtsstaat sein despotisches Verhalten nicht toleriert und nicht akzeptieren wird, dass Erdogan Konflikte nach Deutschland holt und hierzulande ein Spitzel- und Denunziantensystem aufbaut.
Cem Özdemir zum Staatsbesuch Recep Tayyip Erdogans [1]

Auf Einladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reist der türkische Präsident am Donnerstagabend zu einem Staatsbesuch nach Deutschland. Recep Tayyip Erdogan trifft sich gleich zweimal mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, am Freitag zu einem gemeinsamen Mittagessen im Kanzleramt, am Samstag zu einem Arbeitsfrühstück. Anschließend geht es nach Köln, wo im Stadtteil Ehrenfeld die neue Ditib-Zentralmoschee eröffnet wird. Erdogan verzichtet von sich aus auf eine ursprünglich geplante große Rede an seine Landsleute und unterläßt auch sonst alles, was zu Verstimmungen führen könnte. Als habe er Kreide gefressen, erweist er sich wie so oft als Jongleur einer diplomatischen Kehrtwende und will frei nach der Devise, alles sei vergeben und vergessen, die Spannungen zwischen Berlin und Ankara "vollständig" hinter sich lassen. Das habe bei seinem Besuch Priorität, sagte Erdogan vor seinem Abflug zur UN-Vollversammlung in New York am Istanbuler Flughafen Atatürk vor Journalisten. [2]

Die massiven Ausfälle gegen die Bundesregierung bis hin zu Hitler-Vergleichen sind Schnee von gestern. Heute loben türkische Regierungskreise voller Bewunderung das deutsche Wirtschaftsmodell und die Kanzlerin, die eine "entschlossene Haltung" gegen einen wachsenden Rassismus in ihrem Land einnehme. Warum Erdogan derart versöhnliche Töne anschlägt, liegt auf der Hand. Die Türkei rutscht immer tiefer in die Währungskrise, und US-Präsident Trump hat im Streit mit Ankara soeben den Zollsatz für türkische Stahlimporte auf 20 Prozent und für türkische Aluminiumimporte auf 50 Prozent erhöht. Um die rasante ökonomische Talfahrt vor dem Abgrund zu bremsen und sein Regime zu retten, sucht Erdogan dringend nach Bündnispartnern. In Deutschland will er für eine weitere Annäherung werben und mit seinen Gesprächspartnern in Berlin insbesondere über den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen sprechen. Bei den EU-Beitrittsverhandlungen und der angestrebten Visafreiheit für türkische Staatsbürger erwarte er eine "konstruktive Rolle" Deutschlands innerhalb der Europäischen Union.

Natürlich darf auch der gemeinsame Kampf gegen den Terrorismus auf der Agenda des Staatsbesuchs nicht fehlen, und so mahnt Erdogan schon vorab ein entschlosseneres Vorgehen gegen Aktivitäten der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und der Gülen-Bewegung in Deutschland an. Er rennt damit offene Türen ein und kann ohnehin darauf vertrauen, daß auch der Bundesregierung an einer sogenannten Normalisierung der Beziehungen liegt, wie dies Außenminister Heiko Maas jüngst bei seinem Besuch in der Türkei deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Einzig die Verhaftung deutscher Staatsbürger aus politischen Gründen sorgt noch für ein Haar in der Suppe. Vor wenigen Tagen wurde nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ein Deutscher aus türkischer Haft entlassen, womit Erdogan gewissermaßen eine seiner Geiseln als Gastgeschenk serviert. Wie um den Vorrat aufzufüllen, ist in der Türkei erneut ein Deutscher festgenommen worden. Der IT-Unternehmer mit kurdischen Wurzeln und doppelter Staatsbürgerschaft wurde bei der Einreise in Antalya unter dem Vorwurf der "Terrorpropaganda" in Gewahrsam genommen.

Daß der Staatsgast an der Eröffnung der neuen Ditib-Zentralmoschee in Köln teilnehmen will, artet in ein Scheingefecht auf der Grundlage klammheimlicher Duldung aus. Wie aus einem als vertraulich eingestuften Dossier des Verfassungsschutzes hervorgeht, prüft dieser eine Beobachtung der Zentrale der Türkisch-Islamischen Union Ditib. Der größte Moscheeverband in Deutschland wird beim Bundesamt bereits als Prüffall geführt, nun sollen die Länder Stellung nehmen. Die Imame in den Ditib-Moscheen werden in der Regel von der türkischen Religionsbehörde Diyanet entsandt, die direkt der Regierung in Ankara untersteht. Kritiker werfen Ditib daher vor, der verlängerte Arm des türkischen Präsidenten zu sein. Im vergangenen Jahr waren Ditib-Imame in Deutschland beschuldigt worden, im Auftrag von Diyanet Informationen über Regierungsgegner an die türkischen Konsulate geliefert zu haben. Vorwürfe gab es auch, weil in Verbindung mit dem türkischen Einmarsch in das nordsyrische Kurdengebiet Afrin in Ditib-Moscheen für den Sieg der türkischen Soldaten gebetet wurde. Aus Sicht des Bundesamts belegt all dies, daß die türkische Staatsführung Ditib als Instrument nutzt, um ihre Ziele auch auf deutschem Boden durchzusetzen. Die Bundesregierung fördert bis auf weiteres keine Ditib-Projekte mehr, verweist ansonsten aber auf die Zuständigkeit der Bundesländer. [3] Indem man Erdogan termingerecht signalisiert, daß diese Infiltration und Spionage durchaus registriert wird, er aber dennoch die Moschee eröffnen darf, ist dies weniger ein Warnschuß vor den Bug, als vielmehr ein Parameter der Kollaboration.

Die Bundesregierung stärkt Erdogan den Rücken, obgleich von einer Normalisierungen seiner Beziehungen zur Opposition im eigenen Land und in der angrenzenden Region keine Rede sein kann. Seit dem Angriff auf Afrin stehen türkische Truppen auf vorgeschobenem Posten bis tief hinein in die syrische Provinz Idlib und sie bedienen sich mörderischer Handlangerdienste islamistischer Milizen. Die türkische Armee greift regelmäßig in den Nachbarländern Syrien und Irak kurdische Stellungen an, Militär und Geheimdienste gehen auch im Inland weiter gegen Kurden vor. Nach dem kontrollierten Putschversuch wurden Zehntausende Oppositionelle inhaftiert, die Medien gleichgeschaltet, rund 130.000 Staatsbedienstete verloren ihre Arbeit. Mit dem im Juli verabschiedeten Antiterrorgesetz wird der Ausnahmezustand unter anderem Namen fortgeführt, Erdogan konnte sich seit seiner Vereidigung im neuen Präsidialsystem Anfang Juli eine autokratische Machtfülle sichern. Wäre es deutscher Regierungspolitik ernst damit, die verheerende Menschenrechtslage in der Türkei zu verurteilen und wenigstens eine Milderung der Repression zu fordern, gäbe es kaum eine günstigere Gelegenheit als diese. Erdogan steht ökonomisch mit dem Rücken an der Wand, und doch reicht ihm die Bundesregierung eine helfende Hand, um sein Regime zu stabilisieren.

Dagegen wollen führende Kreise der hiesigen Opposition zumindest ein demonstratives Zeichen setzen, indem sie ihre Teilnahme am geplanten Staatsbankett absagen. Nicht dabei sein werden Sevim Dagdelen, die Vize-Fraktionschefin der Linken, wie auch Annalena Baerbock, Robert Habeck, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter von den Grünen. Diese halten ein Bankett nicht für den Ort, um den ansonsten notwendigen Dialog mit dem türkischen Präsidenten zu führen. Dabei müsse es vor allem um die "extrem problematischen Themen wie das Vorgehen in Syrien oder die Inhaftierung von Oppositionellen" gehen. FDP-Chef Christian Lindner nimmt die Einladung ins Berliner Schloß Bellevue nicht an, weil er "nicht Teil von Erdogan-Propaganda" sein wolle, und fehlen wird auch der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Bijan Djir-Sarai. [4]

Anwesend sein wird hingegen Cem Özdemir, obgleich für ihn außer Frage stehe, "dass Erdogan kein normaler Präsident ist und ein solches Staatsbankett sicher nicht verdient". Der Grünen-Politiker hofft mit seiner Teilnahme ein Signal sowohl in die Türkei als auch in die deutsch-türkische Community zu senden, das unmißverständlich klarmache: "Die Opposition in Deutschland gehört zur Politik dieses Landes dazu, wir sind ein fester und notwendiger Bestandteil unserer Demokratie. Auch ein noch so mächtiger Präsident kann unseren Regeln hier nicht entgehen. Er muss mich, der für die Kritik an seiner autoritären Politik steht, sehen und aushalten."

Özdemir hat die türkische Führung immer wieder wegen ihres Umgangs mit der Pressefreiheit, den Menschenrechten und der Opposition kritisiert. Er wurde von Anhängern Erdogans wiederholt beschimpft und bedroht, so daß er beispielsweise auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar unter Polizeischutz gestellt werden mußte. Wir er hervorhebt, säßen Freunde noch immer in der Türkei in Haft, einige fürchteten um ihr Leben. Özdemir warnte vor einer Charmeoffensive des türkischen Präsidenten, die "knallhartes wirtschaftliches Kalkül" sei, und forderte die Bundesregierung zu Strenge auf: "Die Kanzlerin muss Erdogan deutlich machen, dass der deutsche Rechtsstaat sein despotisches Verhalten nicht toleriert und nicht akzeptieren wird, dass Erdogan Konflikte nach Deutschland holt und hierzulande ein Spitzel- und Denunziantensystem aufbaut."

Beim Staatsbankett wird die Kanzlerin Erdogan nicht ins Gebet nehmen, da sie selbst dem glamourösen Defilee mit etwa 120 handverlesenen Gästen fernbleibt. Ein politisches Zeichen ist das aber nicht, zumal Merkel in der Vergangenheit nur bei sehr wichtigen Abendterminen im Schloss Bellevue zu Gast war, zuletzt beim Besuch der Queen 2015 und dem Besuch des Emirs von Katar fünf Jahre zuvor. [5] Davon abgesehen hätte sie bei ihren beiden Treffen mit dem türkischen Machthaber ausreichend Gelegenheit, kritische Töne anzuschlagen, ginge es ihr denn darum. In seiner Aufforderung an die Regierungschefin unterstellt Özdemir einen fundamentalen Interessengegensatz zwischen der Bundesrepublik und der Türkei, der ungeachtet aller Unterschiede im Umgang des Staates mit seinen Bürgern so nicht existiert. Am deutlichsten zeigt sich das bei der Verfolgung der türkischen und kurdischen radikalen Linken, die in Kollaboration der Geheimdienste, Polizeien und Gerichte in beiden Ländern verfolgt, verurteilt und inhaftiert werden.


Fußnoten:

[1] www.tagesspiegel.de/staatsbankett-fuer-tuerkischen-praesidenten-in-berlin-cem-oezdemir-trifft-erdogan-in-einer-demokratie-muss-er-mich-aushalten/23103744.html

[2] www.spiegel.de/politik/ausland/erdogan-beziehung-zu-deutschland-verbessern-hunderte-demonstrationen-gegen-staatsbesuch-a-1229580.html

[3] www.spiegel.de/politik/deutschland/moscheeverband-ditib-verfassungsschutz-prueft-beobachtung-a-1229257.html

[4] www.n-tv.de/politik/Erdogan-lobt-Angela-Merkel-article20637140.html

[5] www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-fehlt-bei-staatsbankett-fuer-recep-tayyip-erdogan-a-1229764.html

24. September 2018


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