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HERRSCHAFT/1796: AfD - Bündnisaussichten ... (SB)



Wer aus machtpolitischen Aspekten seine Grundsätze verlässt, der begeht politischen Selbstmord.
Reiner Haseloff (Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt) [1]

Den politischen Parteien in der parlamentarischen Demokratie ist das Hemd einer Regierungsbeteiligung allemal näher als der Rock vorgeblich unveräußerlicher Positionen und Prinzipien. Wenn langjährigen Volksparteien wie der CDU die Felle wegschwimmen, weil der böse Nachbar Volkes Willen erfolgreich okkupiert, ergreift man im Zweifelsfall seine helfende Hand. Es ist nur eine Frage der Zeit und Gunst der Stunde, bis Koalitionen auf die Tagesordnung gesetzt werden, die man zuvor für völlig ausgeschlossen erklärt hatte.

Die AfD kann sich in der Opposition vom "Establishment" abgrenzen, ihre in vielen Bereichen fehlende Agenda verschleiern und sich voll und ganz auf die beiden Kernthemen Flüchtlinge und Sicherheit konzentrieren. Die vom damaligen Verfassungsschutzchef Maaßen beratene Frauke Petry scheiterte im parteiinternen Machtkampf beim Versuch, Vertreter der extremen Rechten auszuschließen und einen moderateren Kurs anzulegen, um die AfD koalitionsfähig zu machen. Alexander Gauland hielt vor, daß rechte Parteibildungen in der Bundesrepublik stets von der Union aufgesogen und zersetzt wurden, weshalb eine zu schnelle Regierungsbeteiligung Gift für sie sei. Er öffnete die AfD nach rechts, so daß sie extremistische Positionen wie die Höckes oder der Identitären einschließt und nicht nur in Chemnitz gemeinsam mit dem äußersten rechten Rand öffentlich aufmarschiert. Unter Führung von Gauland und Alice Weidel setzte die AfD bislang voll und ganz darauf, die anderen Parteien vor sich her zu treiben, um sie vorzuführen und ihnen Stimmen abzujagen.

Nun hat Gauland eine vermeintliche Kehrtwende vollzogen und erstmals eine künftige Koalition mit der CDU nicht mehr ausgeschlossen, die er nach fast 40 Jahren 2013 verlassen und seither scharf kritisiert hatte. Als sich Union und SPD Anfang Februar auf den Koalitionsvertrag geeinigt hatten, erklärte er noch, die CDU habe sich aus Angst vor dem Mitgliederentscheid der SPD ideologisch entleert und sei nur noch eine leere Hülle. Heute bezeichnet er "eine ins Vernünftige gewendete CDU" als potenziellen Koalitionspartner und verbucht dies als Teilerfolg seiner Partei. Wie der 77jährige in der FAZ ausgeführt hat, glaube er nicht daran, daß die AfD 50 Prozent bei Wahlen erreichen kann. Deswegen brauche sie einen Koalitionspartner. Mit den Grünen, der Linkspartei und der SPD sei eine Koalition nicht möglich, auch gegenüber einem Bündnis mit der FDP sei er skeptisch, so daß nur die CDU übrigbleibt.

Gauland rechnet damit, daß es nach den Landtagswahlen, die im Herbst 2019 in den drei ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen stattfinden, Koalitionen aus CDU, SPD, den Grünen und auch der Linkspartei geben wird, um eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern. Aber das werde auf Dauer nicht so bleiben. Wenn die CDU wieder konservativer werde, wäre das "ein vernünftiges Teilergebnis" des Wirkens der AfD, so Gauland. [2]

Sein Kurswechsel zu diesem Zeitpunkt dürfte darauf zurückzuführen sein, daß unmittelbar zuvor Unruhe in der Union ausgebrochen war, als der neue Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion in Sachsen, Christian Hartmann, eine Koalition mit der AfD nach der Landtagswahl 2019 nicht ausgeschlossen hatte. Der 44jährige war als Nachfolger des aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretenen Frank Kupfer gewählt worden und setzte sich dabei gegen Geert Mackenroth durch, den Ministerpräsident Michael Kretschmer vorgeschlagen hatte. Ähnlich wie Angela Merkel, die am selben Tag in Berlin mit ihrem Kandidaten Volker Kauder als Chef der Bundestagsfraktion völlig überraschend Ralph Brinkhaus unterlag, mußte auch Kretschmer eine Palastrevolte über sich ergehen lassen, die weitreichende Folgen haben könnte. [3]

Auch Hartmann deutete an, daß die politische Vernunft im Falle bestimmter Mehrheitsverhältnisse eine Koalition mit der AfD nahelegen könnte, wenn anders eine Regierungsbildung nicht möglich oder wünschenswert wäre. Kretschmer hatte dies stets ausgeschlossen, doch Hartmann spricht für die konservative sächsische Landtagsfraktion der CDU im Grunde nur erstmals offen aus, was viele denken. Da sie eine Zusammenarbeit mit der in Sachsen relativ starken Linkspartei kategorisch ausschließen und die Werte der SPD in den Keller rutschen, zeichnet sich eine künftige Regierungsbildung von CDU und AfD ab. Darauf hob Gauland ab, der Hartmanns Steilvorlage aufnahm, um die CDU weiter in die Arme seiner Partei zu treiben. Denn von Kompromissen der AfD in einer solchen Koalition war aus seinem Munde nichts zu hören.

Daß diese Avancen einem Stich ins Wespennest glichen, untermalt in aller Deutlichkeit, wie nahe Gauland und Hartmann der beiderseitigen Ratio gemeinsamer Regierungsmacht kommen. Nach Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnten weitere führende Unionspolitiker eine Zusammenarbeit mit der AfD so kategorisch ab, daß man sich fast schon an ein Beschwörungsritual erinnert fühlte, das herbeigerufene Geister vergeblich zu bannen sucht. So verkündete CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, die AfD sei der erklärte politische Gegner: "Wir haben im Bundestag eine Zusammenarbeit mit der AfD per Fraktionsbeschluß ausgeschlossen. Wer zu einem anderen Ergebnis kommt, hat nicht alle Latten am Zaun."

Woher Dobrindts Erregung rührt, machten 40.000 Menschen deutlich, die am Tag der Deutschen Einheit in München gegen Rechts demonstrierten. Unter dem Motto "Jetzt gilt's! - Gemeinsam gegen die Politik der Angst" trugen viele Demonstranten Plakate, auf denen sie direkt die CSU-Politiker Horst Seehofer und Markus Söder attackierten. Eineinhalb Wochen vor der Landtagswahl in Bayern wollten die Organisatoren nach eigenen Worten eine Botschaft senden, daß weder die Verschärfung des Polizeirechts noch andere Formen einer Drift nach rechts hingenommen würden. "Keine Stimme der AfD" und allen Parteien, "die dem Rechtsruck Vorschub leisten", rechnete der Protest mit dem Schulterschluß der reaktionären Fraktionen ab. [4]

Mit drastischen Worten warnte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff seine Partei eindringlich vor einer Annäherung an die AfD: "Wer aus machtpolitischen Aspekten seine Grundsätze verlässt, der begeht politischen Selbstmord." Bei der letzten Wahl in Sachsen-Anhalt habe der Abstand zur AfD vier Prozent betragen, jetzt sei er auf rund zehn gewachsen. Es lohne sich also, klare Kante zu zeigen. Die AfD sei keine konservative demokratische Partei, sondern im Troß mit den Nazis auf der Straße. So zutreffend diese Einschätzung sein mag, sind doch Zweifel geboten, wenn sich die Bundeskanzlerin sicher ist, daß der "überwiegende Teil der CDU in Sachsen" eine Koalition mit der AfD genauso kategorisch ausschließt wie sie selbst. Was Präsidium und Bundesvorstand der CDU in dieser Frage beschlossen haben, ist für die sächsische Fraktion und erst recht das Parteivolk sicher nicht in Stein gemeißelt.

Wie Gauland einräumt, ist die AfD für sich genommen nicht mehrheitsfähig. Er läßt zugleich keinen Zweifel daran, wie ihre Regierungsbeteiligung dennoch zustande kommen soll. Die Steigbügelhalter stehen bereit, nach dem Scheitern der Weimarer Republik ein weiteres Kapitel national-konservativer bürgerlicher Kollaboration mit der Rechten in Deutschland zu schreiben.


Fußnoten:

[1] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_84558750/cdu-politiker-haseloff-warnt-vor-koalition-mit-afd-politischer-selbstmord-.html

[2] www.welt.de/politik/deutschland/article181718758/Alexander-Gauland-AfD-Chef-hofft-auf-die-CDU-als-Koalitionspartner.html

[3] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_84527836/cdu-chefin-angela-merkel-schliesst-koalition-mit-afd-in-sachsen-kategorisch-aus.html

[4] www.spiegel.de/politik/deutschland/muenchen-tausende-demonstrieren-in-muenchen-gegen-rechts-a-1231427.html

4. Oktober 2018


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