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HERRSCHAFT/1867: AfD - der Flügel flattert, der Vogel fliegt ... (SB)



Wer Rechtsextremen in einer Partei Deckung gibt, trägt Mitverantwortung dafür, wenn deren Ideologien Gehör finden.
Heinrich Bedford-Strohm (Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschland) [1]

Ist das ein herber Dämpfer, eine Trendwende, womöglich sogar der Anfang vom Ende der AfD? Es war ein historischer Tag, als die AfD im Februar 2015 in Hamburg zum ersten Mal in ein westdeutsches Landesparlament einzog. Ihr Spitzenkandidat Jörn Kruse jubelte, und der damalige Parteichef Bernd Lucke verkündete: "Die AfD ist da, die AfD wird gebraucht." Seither sind fünf Jahre vergangen, und nun wäre die Partei in Hamburg um ein Haar aus der Bürgerschaft geflogen, womit das erste von sechzehn Landesparlamenten keinen AfD-Vertreter mehr enthalten hätte. Bei der Wahl 2015 hatte die AfD in der Hansestadt 6,1 Prozent erreicht, zwischenzeitlich lag sie in Umfragen auch schon höher. Nach den Ereignissen in Thüringen, bei der die Höcke-Fraktion den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten mitgewählt hatte, rutschte die Hamburger AfD auf sechs Prozent und in Folge des Anschlags in Hanau schien ein Absturz nicht ausgeschlossen.

"Es gibt nichts, was wir vom Osten lernen könnten", hatte der Hamburger Spitzenkandidat Dirk Nockemann zuletzt immer wieder betont und auf Wahlkampfhilfe der AfD-Bundesprominenz und aus anderen Bundesländern weitgehend verzichtet. Für eine Veranstaltung zum Wahlkampfabschluß mit Parteichef Jörg Meuthen fand man in Hamburg keinen Raum. Dabei sind Nockemann und Alexander Wolf, der auf Platz zwei der Landesliste steht, keineswegs so gemäßigt, wie sie sich gern geben. Nockemann, bislang Fraktionschef in der Bürgerschaft, war früher Mitglied der Schill-Partei und als solches kurzzeitig Innensenator. Wolf, der inzwischen auch im Bundesvorstand der Partei sitzt, ist "Alter Herr" der rechtsextremen Burschenschaft Danubia in München. Im Haus der Burschenschaft hatte er einst den Republikanischen Hochschulverband mitgegründet, eine Unterorganisation der Partei "Die Republikaner". Selbst der frühere Landes- und Fraktionschef der Hamburger AfD, der Wirtschaftsprofessor Jörn Kruse, hatte im Herbst 2018 seiner Partei einen Rechtsruck bescheinigt und die Partei wegen ihrer "Rechten und Rechtsradikalen" verlassen. Wie der parteilose Politiker am Wahlabend erklärte, dürfe sich die Hamburger AfD über ihre Verluste nicht wundern, da sie zu feige gewesen sei, sich von den Ost-Rechten öffentlich zu distanzieren. [2]

Um Schadensbegrenzung bemüht, hatten sich die Bundessprecher Tino Chrupalla und Jörg Meuthen noch vor Schließung der Wahllokale in einem offenen Brief unter anderem auf Facebook an die Mitglieder ihrer Partei gewandt. Die AfD-Chefs verwahren sich darin gegen die Kritik, die nach dem Anschlag in Hanau an ihrer Partei geübt wurde. Gleichzeitig hinterfragen sie, warum die AfD mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht werde. In dem Schreiben heißt es: "Um es ganz deutlich zu sagen: Die Tat von Hanau ist ein rassistisches Verbrechen. Ihr Motiv war Ausländerhass." Alle demokratischen Kräfte müßten "gegen jede Form von Extremismus zusammenstehen". Die AfD werde dabei nicht zulassen, "dass der politische Gegner und Teile der Medien uns in diesem Kampf für Freiheit, Demokratie und den Rechtsstaat ausgrenzen und in die Nähe des Rechtsextremismus rücken wollen". Die AfD müsse sich allerdings fragen, "warum es unseren politischen Gegnern gelingt, uns überhaupt mit solch einem Verbrechen in Verbindung zu bringen. Dieser Frage müssen wir uns stellen, auch wenn es schwerfällt", mahnen Chrupalla und Meuthen. [3]

Chrupalla, der sich hier moderat und als aufrechter Demokrat gibt, hatte im vergangenen Sommer die Nähe zum völkisch-nationalistischen "Flügel" gesucht, ohne dessen Mitglied zu sein. Sein Besuch auf einem Kyffhäuser-Treffen, auf dem Höcke die Politik des damaligen Bundesvorstands kritisierte, wurde auch im Zusammenhang mit seiner nahenden Kandidatur für den Bundesvorsitz gesehen. Seine Wahl vergangenen Herbst in Braunschweig gewann er gegen den Herausforderer Gottfried Curio, einen Scharfmacher in Sachen Anti-Islam, erst im zweiten Wahlgang und auch nur mit Hilfe des "Flügels". Daher steht zu vermuten, daß Chrupalla keineswegs die Opposition gegen den "Flügel" anführt, sondern lediglich taktiert, um eine offene innerparteiliche Diskussion zu simulieren und die nun vielfach geforderte Beobachtung durch den Verfassungsschutz abzuwenden.

Der Berliner AfD-Fraktionschef Georg Pazderski, ein erklärter Gegner Höckes, schrieb in der Wahlnacht, die Partei müsse ihr "bürgerlich-konservatives Image schärfen" und "eine noch klarere Grenze nach Rechtsaußen ziehen". Hier seien insbesondere der Bundesvorstand, die Landesvorstände, aber auch der "Flügel" gefordert. Allerdings hatte Pazderski nach dem Anschlag von Hanau selbst getwittert: "Ist das wirklich noch das 2017 von der Merkel-CDU beschworene 'Deutschland, in dem wir gut und gerne leben'?" - und damit den Eindruck einer Verbindung zwischen Tat und CDU-Politik erweckt. [4]

Angesichts der Frage, welchen Kurs die AfD künftig einschlagen wird, hält es der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte für möglich, daß diejenigen lauter werden, die eine Radikalisierung der Partei ablehnen. Aber auch eine Spaltung der Partei sei denkbar: Vorstellbar sei eine Ost-AfD, die sich ideologisch, völkisch und rassistisch zeigt und um den Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke sammelt. Daneben könnte eine westliche AfD versuchen, stärker Protest zu artikulieren. "Auf jeden Fall wird das Ergebnis in Hamburg Auswirkungen haben auf die Partei, die sich ja selbst noch weiter häutet, weil sie noch eine junge Partei ist." In Thüringen habe die AfD einen Kandidaten aufgestellt, ihn aber überhaupt nicht gewählt. "Das führt vor, welches institutionelle Vertrauen von so einer Partei ausgehen kann - nämlich keins." Und er ergänzt: "Wie die AfD mit Vielfalt umgeht - auch nach Hanau - lässt Wähler dazu votieren, die Mitte zu stärken. Wenn die Mitte sich wehrt, selbst laut wird, dann wird der Rand viel kleiner", so Korte. Er warnt jedoch zugleich, daß von der klaren Linie eines Abwärtstrends keine Rede sein könne. Eher schon habe man es mit "wählerischen Wählern" zu tun. [5]

Von einem noch ausgeprägteren Wankelmut, tagespolitisch vorherrschenden Losungen zu entsprechen, dürften Meinungsumfragen geprägt sein. Wie es heißt, seien 60 Prozent der Deutschen überzeugt, daß die AfD eine Mitverantwortung für rechtsextremistische Gewalttaten wie die in Hanau trägt. Das ergab eine Umfrage des Instituts Kantar für Bild am Sonntag, also zum Hamburger Wahltag. Demnach glauben 49 Prozent der Befragten außerdem, daß vom Rechtsextremismus die größte Terrorgefahr in Deutschland ausgeht. Lediglich 27 Prozent halten islamistische Fundamentalisten für die größte Bedrohung, sechs Prozent sehen sie im Linksextremismus. Auch sind 46 Prozent der Befragten der Ansicht, daß die deutschen Sicherheitsbehörden zu wenig auf die Gefahren achten, die vom Rechtsextremismus ausgehen, während 41 Prozent diese Meinung nicht teilen. Für die Umfrage wurden am 20. Februar 2020 lediglich 502 Personen befragt, was ungeachtet aller demoskopischen Konstrukte angeblicher Relevanz denn doch äußerst dürftig anmutet. Doch selbst wenn diese Ergebnisse insofern aussagekräftig sein sollten, als sie die gegenwärtige Mehrheitsmeinung tatsächlich abbilden, könnten sie morgen oder übermorgen schon wieder ganz anders ausfallen.

Die parteipolitische Front gegen die AfD nach Hanau ist mit Vorsicht zu genießen, sofern es sich nicht um Akteure handelt, die für solche Positionen seit langem glaubwürdig einstehen. Dem eingangs zitierten EKD-Ratsvorsitzenden mag man die Ernsthaftigkeit seiner Aussage abnehmen, ist er doch beispielsweise persönlich nach Süditalien gereist, um Schiffsbesatzungen den Rücken zu stärken, die geflohene Menschen aus dem Mittelmeer bargen, was dem Kirchenmann teils heftige Anwürfe eingebracht hat. Aber was ist vom hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier zu halten, der zum gemeinsamen Vorgehen gegen das "Klima von Hetze und Gewalt" aufrief, dem die Gesellschaft "nicht nur heute hier in Hanau, sondern überall" entgegentreten müsse? Nahm er es mit der von ihm beschworenen "immerwährenden Aufgabe", alle Menschen zu schützen, so genau, als er seine schützende Hand über den Verfassungsschutz hielt und die restlose Aufklärung des NSU-Mordes von Kassel samt der Rolle des V-Mann-Führers Andreas Temme verhinderte? Oder Bundesinnenminister Horst Seehofer, der es als sehr besorgniserregend bezeichnet, was sich im Bereich des Rechtsextremismus zuletzt entwickelt habe, als sei ihm das früher nie aufgefallen? Zu Glücksgefühlen, weil scheinbar alle dazugelernt haben und sich in der vielzitierten Mitte der Gesellschaft zusammenschließen, besteht eher kein Anlaß, zumal unerwähnt bleibt, wohin dieses angebliche Gravitationszentrum inzwischen gewandert ist.

Auch was die Fähigkeit der AfD zur Selbstkritik und Mäßigung angeht, ist Hoffnung ein schlechter Ratgeber. Der Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland hatte nach dem Anschlag in Hanau zunächst alle Vorwürfe zurückgewiesen und erklärt, er halte es "für schäbig, in der Phase so etwas zu instrumentalisieren". Es handele sich um einen offensichtlich geistig verwirrten Täter. "Von Links und Rechts wollen wir hier gar nicht reden. Das ist ein Verbrechen." Nach der Hamburger Wahl räumte Gauland zwar ein, daß sich auch seine Partei "manchmal in der Wortwahl vergriffen" habe. Alle müßten verbal abrüsten, so auch die Vertreter anderer Parteien, legte er jedoch sofort nach. Und Parteichef Tino Chrupalla kritisierte, daß "Rechtspopulist" 2017 noch das gängige "Schimpfwort" für AfD-Politiker gewesen sei, die heute bereits als "Faschisten oder Nazis" verunglimpft würden, was falsch sei. Sich als Opfer einer politisch korrekten Meinungsführerschaft zu inszenieren, gehört zum ideologischen Kerngeschäft der Rechten.

Stephan Brandner, der im vergangenen Jahr vom Vorsitz des Rechtsausschusses im Bundestag abgewählt wurde und dem Thüringer Landesverband Höckes angehört, relativierte die Bedeutung des Hamburger Wahlergebnisses aus seiner Sicht: "Was sind schon so 'n paar Hamburger gegen viele Millionen Thüringer, Sachsen und Brandenburger." Die Erfolge der AfD bei den drei Landtagswahlen im letzten Herbst wurden von Führungsfiguren des "Flügels" errungen, der sich in der AfD längst durchgesetzt hat. An Björn Höcke, Jörg Urban oder Andreas Kalbitz kommt innerparteilich niemand mehr vorbei, da der "Flügel" am aggressivsten zu Werke geht und zugleich die größten Erfolge in den östlichen Bundesländern einfährt. Wohin sollte sich die AfD auch öffnen, wenn nicht nach rechtsaußen? Vollzöge sie einen Kurswechsel ins bürgerlich konservative Lager, triebe sie ihre Wählerschaft zurück in die Arme der CDU.


Fußnoten:

[1] www.tagesspiegel.de/politik/nach-anschlag-in-hanau-klingbeil-fordert-beobachtung-der-afd-durch-verfassungsschutz/25569154.html

[2] taz.de/Hamburger-Buergerschaftswahlen/!5664910/

[3] www.welt.de/politik/live206002937/AfD-zu-Hanau-Muessen-uns-fragen-warum-wir-in-Verbindung-gebracht-werden.html

[4] www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-in-hamburg-rechtsaussen-oder-rechtsdraussen-a-b1c6bbf1-d316-4429-91b8-6a0840d2f339

[5] www.zdf.de/nachrichten/politik/wahl-hamburg-reaktionen-afd-100.html

24. Februar 2020


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