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HERRSCHAFT/1891: Tierausbeutung - Linksfraktion im Bundestag gespalten ... (SB)



Das Verbot von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassungen in der Fleischindustrie war überfällig und wirft die Frage auf, wieso dieses Mittel zugespitzter Ausbeutung nicht generell und für alle Branchen abgeschafft wird. Bezeichnenderweise mußten Schlachtfabriken erst zum Corona-Hot-Spot werden, bevor die seit langem bekannten Mißstände zum Thema der Politik wurden. Das legt nahe, daß es nach wie vor nicht um den Schutz der ArbeiterInnen geht, auf deren Rücken aus einer arbeitsrechtlichen Flexibilitätsreserve das favorisierte Beschäftigungsmodell der Fleischindustrie gemacht wurde. Es handelt sich am ehesten um einen Akt der Schadensbegrenzung, zum einen um weitere Werksschließungen und damit Nachschubprobleme zu verhindern, zum andern um die angeschlagene Reputation der Schlachtfabriken nicht weiter eskalieren zu lassen.

Auf dieser Linie scheint auch Dietmar Bartsch zu argumentieren. Er wolle "keine soziale Spaltung über das Schnitzel" [1], so der Kovorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, als wäre die tieffragmentierte Klassengesellschaft der Bundesrepublik nicht von zahlreichen Spaltungen viel schlimmeren Kalibers durchzogen. Selbst beim Konsum von Fleisch werden Menschen geringen Einkommens gezwungen, schlechtere Qualität zu kaufen als diejenigen, die sich das fünfmal so teure Bioschnitzel leisten können und ein gutes Gefühl dazu erwerben, indem sie mehr Geld für besserer Haltungsbedingungen ausgeben. Wenn es wirklich um das Schnitzel auf dem Teller ginge, dann müßten Sozialtransferleistungen und Löhne so angehoben werden, daß der Konsum von Fleisch, Milch, Eiern und Fisch möglich wäre, ohne die Kosten der Produktion von Tierprotein zu externalisieren, indem Mensch und Natur ausgebeutet werden.

Gar keine Stimme in der Linksfraktion scheinen VeganerInnen zu haben. In dieser Gruppe gibt es nicht nur gutverdienende Lifestyle-Hipster aus Berlin-Mitte, sondern wie überall sonst auch erwerbsarme Menschen, die besonders unter den pandemiebedingt drastisch gestiegenen Gemüsepreisen zu leiden haben. Warum macht Bartsch sich nicht dafür stark, daß jeder Mensch sich seinen Brokkoli auf dem Teller leisten können müßte, um eine soziale Spaltung etwa zwischen Lifestyle-VeganerInnen und TierbefreiungsaktivistInnen zu verhindern? Sich pflanzlich ernährende Menschen sind ohnehin strukturell benachteiligt, müssen sie doch bei sogenannten Pflanzendrinks aus Soja und Hafer - die nicht als Milch bezeichnet werden dürfen, weil die tierverarbeitende Industrie auf diese Bezeichnung Monopolanspruch angemeldet hat -, den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent bezahlen. Fleisch, Fisch, Kuhmilch und Eier werden mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent subventioniert, obwohl die ökologischen Folgekosten dieser Erzeugnisse weit höher sind als die von Pflanzenprodukten.

Auch die Kovorsitzende Amira Mohamed Ali erweckt den Eindruck, sich zwar für die Rechte von ArbeiterInnen stark zu machen, an den in den Schlachtfabriken getöteten Tiere aber kein Interesse zu haben. Diesen Lebewesen keine eigene Stimme zu gönnen, sondern sie zu Produktionsmitteln zu degradieren, ist in der Linkspartei weit verbreitet und steht ihr ausgesprochen schlecht zu Gesicht. So engagieren sich viele AktivistInnen für Klimagerechtigkeit und gegen Naturzerstörung auch in der Tierrechtsbewegung und sind damit potentielle WählerInnen auch der Partei Die Linke. Der sind Tierwohlambitionen zwar nicht völlig fremd, doch führen sie zum Beispiel im Aktionsplan Klimagerechtigkeit [2] der Linksfraktion ein beklagenswertes Schattendasein. Das ist Wasser auf die Mühlen der Grünen, die sich bei diesem Punkt eingedenk aller Widersprüche grünkapitalistischer Wachstumsideologie weit glaubwürdiger zu verkaufen verstehen, wie zum Beispiel ihr Kovorsitzender Robert Habeck aus aktuellem Anlaß vormachte [3].

Da die von Bartsch eingeforderte Aufhebung sozialer Spaltungen nichts Geringeres als eine andere Gesellschaft und andere Produktionsweisen voraussetzt, womit der Weg zum Ökosozialismus eigentlich vorgezeichnet sein müßte, verkauft sich Die Linke weit unter Wert und Potential. Zweifellos gibt es in ihren Reihen Menschen, die mehr von der schwindelerregenden Fallhöhe verstehen, aus der alle herunterzufallen drohen, wenn die notwendige Radikalität erforderlicher Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise und damit auch die Notwendigkeit des Überdenkens des Mensch-Tier-Verhältnisses weiterhin ignoriert wird. Eine fundamentale Veränderung gesellschaftlicher Naturverhältnisse ist ohne die Aufhebung kapitalistische Verwertung nicht zu erreichen, die wiederum das ganze Ausmaß der sozialen Frage repräsentiert, was Die Linke eigentlich ins Mark ihres politischen Bekenntnisses treffen müßte [4]. Von daher ist die Linksfraktion im Bundestag mindestens so gespalten wie die Gesellschaft, die auf sozialdemokratischem Wege vielleicht zu beschwichtigen ist, aber niemals frei von Klassenwidersprüchen wird.


Fußnoten:

[1] https://www.tagesspiegel.de/politik/morgenlage-aus-der-hauptstadt-linke-warnt-vor-sozialer-spaltung-ueber-das-schnitzel/25845546.html

[2] https://www.linksfraktion.de/fileadmin/user_upload/PDF_Dokumente/2020/LINKE_BTF_Broschuere_Klimagerechtigkeit_Web.pdf

[3] https://www.deutschlandfunk.de/fleischindustrie-habeck-fordert-verbot-von-subunternehmer.694.de.html?dram:article_id=477039

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1889.html

22. Mai 2020


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