Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

PROPAGANDA/1318: Herrschaftsichernde Aufgabe der Kirche in Frage gestellt (SB)



Nicht nur der Papst ist verärgert darüber, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel ihn zu der Klarstellung aufforderte, daß die Leugnung des Holocaust in der katholischen Kirche nicht geduldet werde. Auch viele deutsche Katholiken und CDU-Mitglieder haben sich die Einmischung des Staats in die Belange der Kirche verbeten. Doch der Schaden ist nicht wiedergutzumachen. Da der Vatikan nun vom britischen Bischof Richard Williamson verlangt, seine Behauptungen zu widerrufen, und zudem bekanntgegeben hat, daß der Papst von dessen Holocaust-Leugnung nichts gewußt habe, könnte der Eindruck entstehen, daß man sich Merkels Mahnung gebeugt habe.

Der Ärger des Vatikans und katholischer Politiker über die in der Bundesrepublik ausgebrochene Debatte zur Entscheidung des Papstes, die rechtskonservative Pius-Bruderschaft wieder in den Schoß der Kirche zurückzuführen, ohne ihren Führern abzuverlangen, Abbitte für den Verstoß gegen die Autorität Roms zu leisten, ist verständlich, aber fehlgeleitet. Merkels Einmischung ist schon deshalb unzulässig, weil die Trennung von Kirche und Staat in Deutschland nicht vollzogen wurde. Insbesondere die katholische Kirche verfügt seit dem Reichskonkordat, das sie 1933 mit dem NS-Regime einging, über zahlreiche Privilegien, bei der sie Gelder und Dienste des Staats in Anspruch nimmt und die sie gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften bevorzugt.

Wann immer der Staat der katholischen Kirche zuarbeitet oder seine Repräsentanten, wie anläßlich der Wahl Josef Ratzingers zum Papst geschehen, in inbrünstige Lobreden auf die Kür eines Deutschen verfallen, wird seitens katholischer Politiker kein Wort über diesen Verstoß gegen die Trennung von Staat und Kirche geäußert. Den Einfluß, den der Vatikan auf die deutschen Katholiken und auf die Gesellschaft der Bundesrepublik nimmt, wäre ohne die Unterstützung, die der Staat den beiden Amtskirchen gewährt, nicht denkbar.

Zudem ist die Behauptung des Papstes, nichts von den Ansichten des britischen Bischofs gewußt zu haben, völlig unglaubwürdig. Zum einen hätte er dies gleich sagen können, dann wäre allerdings auch die Signalwirkung seines Abwartens dahingewesen, zum andern hat Williamson aus seinen Ansichten kein Geheimnis gemacht. Bei dem sorgfältig und jahrelang vorbereiteten Schritt der Rehabilitierung einer abweichenden Fraktion aus Gegnern jeglicher Liberalisierung der katholischen Kirche gibt es keine Zufälle dieser Größenordnung. Zudem lenkt die Debatte um die Holocaustleugnung des britischen Bischofs davon ab, daß die Rückkehr der Pius-Bruderschaft in die Kirche ohne Vorleistung ihrerseits erfolgte, was nichts anderes bedeutet, als daß der Papst ihre gegen das zweite Vatikanum gerichtete Linie für akzeptabel hält.

Zweifellos wird Benedikt XVI. auch davon gewußt haben, wes Geistes Kind der österreichische Pfarrer Gerhard Maria Wagner ist, den er inmitten des Skandals um Williamson und die Pius-Bruderschaft zum Bischof weihte. So vertrat der Linzer Prediger die Ansicht, daß der Hurrikan Katrina ein Akt göttlicher Vergeltung für die Verfehlungen war, die im Sündenbabel New Orleans begangen wurden. Wer behauptet, derartige Katastrophen sollten als Ergebnis einer Art spiritueller Umweltverschmutzung betrachtet werden, und damit erklärt, daß sie nicht zu vermeiden wären, indem man mehr Geld für Dämme ausgibt, Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreift und ähnliches, der predigt ein archaisches Verständnis von Schuld und Sühne, das sich im Falle der alleingelassenen schwarzen Opfer von New Orleans auch noch als tiefsitzender Rassismus entpuppt.

Die Bundeskanzlerin verlangt, daß die katholische Kirche zu ihrer gesellschaftspolitisch zentralen Aufgabe zurückkehrt, anstatt ihr mit Tabubrüchen in die Parade zu fahren. Wenn der Eindruck aufkommt, Rom dulde das Leugnen des Holocausts, dann entsteht Schaden an der Staatsräson der Bundesrepublik. Die katholische Kirche wird nur deshalb gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften privilegiert, weil sie viele Menschen davon abhält, schon im Diesseits zu erkämpfen, was im Jenseits vermeintlich auf sie wartet. In diesem Fall wurde das totalitarismustheoretische Dogma Roms von rechts unterlaufen. Wenn dies nicht ebenso entschieden bekämpft wird wie Strömungen im Christentum, die Jesus als Sozialrevolutionär verehren, dann nimmt die herrschaftsichernde Funktion des Bündnisses zwischen Thron und Altar Schaden.

6. Februar 2009