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PROPAGANDA/1330: Beim NATO-Gipfel Bürgerkriegsberichterstattung proben ... (SB)



Wer die Sicherheitsvorkehrungen zum NATO-Gipfel in Strasbourg am 4. April als Ausdruck einer von autoritärer Staatlichkeit, militärischer Ratio und orchestrierter Medienpropaganda dominierten Weltordnung verstanden hat, darf sich durch einen Bericht des Nachrichtenportals www.german-foreign-policy.com (23.04.2009) in seinem Eindruck bestätigt fühlen. Schon die Organisation der Medienarbeit durch sogenannte Host Broadcaster, die an zentraler Stelle für die Produktion von Bildern und Tönen zuständig waren, erinnert an das Poolsystem der US-Streitkräfte im Irakkrieg. Dementsprechend kam es zwischen der baden-württembergischen Polizei und dem deutschen Host Broadcaster Südwestrundfunk (SWR) zu einer engen Zusammenarbeit, die unter anderem darin bestand, daß Journalisten wie Kriegsberichterstatter von der Bereitschaftspolizei Bruchsal etwa für das richtige Verhalten beim Bewurf mit Molotow-Cocktails ausgebildet und in Polizeitaktiken eingeführt wurden.

Auf der Seite der Medien sei der ARD-Reporter Stephan Schlentrich, der schon als Polizeiausbilder tätig war und ein privates Sicherheitsunternehmen leitet, für dieses Training zuständig gewesen. Der Experte für "Krisenmanagement und Krisenkommunikation" hatte bei einem im Auftrag der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) gehaltenen Vortrag im Frühjahr 2008 ein im Ernstfall einzusetzendes "Pressesprecher-KSK" vorgeschlagen, das die Pressearbeit koordinieren müsse, um durch Journalisten verbreiteten "Spekulationen" oder "Falschmeldungen" im Falle eines Terrorangriffs auf die Bundesrepublik entgegenzutreten.

Ein derart auf Staatsschutz und Sicherheitsinteressen geeichtes Verständnis von Pressearbeit setzte sich auch in der allgemeinen Berichterstattung über die Proteste der NATO-Gegner durch. Man leistete sich das Spektakel, über bürgerkriegsartige Zustände im französisch-deutschen Grenzgebiet berichten zu können, fast unisono unter dem Vorzeichen, die gewalttätige Eskalation ausschließlich dem "Schwarzen Block" anzulasten. Von der Aufhebung demokratischer Grundrechte weit im Vorfeld des Gipfels, vom aggressiven Einsatz der französischen Polizei, die friedliche Demonstranten mit Tränengas und Schockgranaten traktierte, von der Verwandlung Strasbourgs in eine durch die NATO besetzte Stadt und von den Polizeischikanen gegen an- und abreisende Gipfelgegner war kaum die Rede. Auch übte man sich nicht gerade in Kritik an der herrschaftlichen Anmaßung des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, Strasbourg zu einer No-Go-Area für Bürger, die Einspruch gegen die Militärallianz geltend machen wollten, zu erklären und sich Fernsehbilder von ihren Aktivitäten zu verbieten.

Selbstverständlich hat die laut Aussage des SWR-Koordinators im Planungsstab NATO-Gipfel, Georg Weisenberger, "ausgezeichnete" Zusammenarbeit mit der Polizei ihren Preis. Auch sich unabhängig gebende Journalisten neigen in einer Situation, in der sie von den Sicherheitsbehörden bevorzugt behandelt werden, nicht dazu, die Hauptstoßrichtung ihrer Kritik gegen diese zu wenden. Schattenblick-Mitarbeiter konnten selbst beobachten, wie ein SWR-Kamerateam beim Vorrücken der französischen Polizei, die auf der Pont Vauban nicht nur Demonstranten, sondern auch Pressevertreter vor sich hertrieb, durch die geschlossene Linie der Beamten gelassen und dort kollegial empfangen wurde.

Inwiefern man sich im Vorwege des Jubiläumstreffens der Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitglieder darauf festgelegt hat, das für sie inszenierte Gepränge in den Mittelpunkt zu stellen und die mediale Präsenz der NATO-Gegner möglichst kurz zu halten, kann nicht letztgültig eruiert werden. Im Ergebnis fand eine Inszenierung des Hoffnungsträgers Barack Obama statt, die es den Mehrheitsmedien um so leichter machte, die NATO-Gegner als im Unterschied zum Militärbündnis keineswegs friedlich gesonnene Störer darzustellen.

Der in den Medien verbreiteten Behauptung über Angriffe von Demonstranten auf die Feuerwehr, die versuchte, das brennende Hotel Ibis zu löschen, wurde seitens der Feuerwehr widersprochen, sie sei statt dessen von der Polizei abgerufen worden, als der Demonstrationszug zum Hotel zurückkehrte. Eine Meldung über Schußwaffenfunde bei Demonstranten blieb ebenfalls unbestätigt, dafür wurden einige verhaftete Demonstranten in Schnellverfahren ohne Beweisaufnahme zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. Einer von ihnen wurde gar aus dem Krankenhaus, in dem seine Verletzungen behandelt wurden, heraus verhaftet. Er befindet sich mit einem anderen inhaftierten NATO-Gegner seit zwei Wochen im Hungerstreik, um unter anderem angemessene medizinische Versorgung zu erhalten.

Die Sachlage analysierende und aufklärende Berichte findet man nur auf den Webseiten, die von NATO-Gegnern betrieben und begangen werden. Die große Medienkarawane ist längst weitergezogen, um das neue Rüstzeug der Bürgerkriegsberichterstattung bei sozialen Protesten auszuprobieren, die angesichts der immer mehr Fahrt aufnehmenden Systemkrise nicht mehr lange auf sich warten lassen werden. Auch dort wird es darum gehen, herrschende Verhältnisse zu sichern, sägt doch nur ein Gesinnungstäter an dem Ast, auf dem er sitzt.

[Zur Anti-NATO-Demo siehe INFOPOOL-POLITIK-REPORT: BERICHT/013]

23. April 2009