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PROPAGANDA/1452: Breivik-Prozeß ... an den zentralen Fragen vorbei (SB)




Die "Entlarvung eines Monsters", die der norwegischen Staatsanwältin Inga Bejer Engh laut Süddeutscher Zeitung [1] im Prozeß gegen den Terroristen Anders Behring Breivik gelungen sein soll, beschränkte sich auf das Aufdecken einiger Widersprüche in den Aussagen des Angeklagten. Daß die Existenz eines Ordens der Tempelritter, mit dem Breivik in Kontakt gestanden haben will, eine Legende zu sein scheint, wurde von Anbeginn an gemutmaßt. Weitere Widersprüchlichkeiten beziehen sich auf Reisen des Angeklagten, auf die Existenz angeblicher Mentoren und psychologische Fragen wie das Verhältnis seiner Selbsteinschätzung zur Wahrnehmung seiner Person durch andere. So lobenswert die nüchterne Prozeßführung im Osloer Bezirksgericht und der Verzicht auf die naheliegende Möglichkeit, das Strafverfahren in ein Tribunal zu verwandeln, war, so unzureichend ist der Versuch, den von Breivik produzierten Mythos des heroischen Kämpfers für weiße Suprematie in Europa mit dem Versuch einer Demontage seiner offensichtlich eitlen Persönlichkeit zu zerstören.

Dies konnte schon deshalb nicht gelingen, weil Breivik in der von ihm unterstellten und ausführlich dargelegten Kriegssituation mit nichts anderem zu rechnen hatte als dem Versuch, ihn in der Gewißheit zu erschüttern, seine Mordtaten dienten einem in seinen Augen höheren Zweck. Wie psychotisch die Motive Breiviks, sich ein derartiges Weltbild zurechtzulegen, auch immer sein mögen, so ist die Legitimation seiner Verbrechen in einer Ideologie verankert, die viele Fürsprecher hat. Ob es die in seiner Schrift "2083 - A European Declaration of Independence" angegebenen 7000 Facebookfreunde gleicher oder ähnlicher Gesinnung gab oder nicht, so vereint der von ihm ausgerufene Krieg gegen "Kulturmarxismus", "Multikulturalismus" und "Islamisierung" wichtige Feindbilder der neuen, nicht mehr plakativ antisemitisch und antiamerikanisch argumentierenden Rechten.

Es sind eben keine "narzisstischen Luftschlösser, die der rechtsextreme Angeklagte in seinem 1500-seitigen Pamphlet aufbaute und vor Gericht erneut ausmalte" [2], sondern in ihrer Relevanz von einer starken Minderheit antikommunistischer und islamfeindlicher Europäer getragene Auffassungen. Es handelt sich um ein sozialrassistisches Kulturkämpfertum, dessen christliche Bezugnahme mehr einer kulturalistisch und geopolitisch definierten Identität geschuldet ist als ernstgemeinter Religiosität. Die große Bedeutung, die Breivik der angeblichen Dominanz einer Political Correctness in der gesellschaftlichen Meinungsbildung bemißt, dient der aggressiven Behauptung eigener Auffassungen gegenüber einer multikulturellen Mehrheitsgesellschaft, deren Legitimation wesentlich auf der Propaganda ihrer Leitmedien und Führungspersönlichkeiten beruhe. Ansprechbar darauf sind nicht nur Verschwörungstheoretiker, sondern alle Menschen, die sich der Diskrepanz sozialer Realität und medialer Verklärung derselben ausgesetzt sehen.

Die ideologische Rechtfertigung Breiviks ist mithin weit schwerer zu erschüttern als eine von ihm inszenierte persona von narzisstischer Konstitution. Der Versuch, seiner Motivlage auf die Spur zu kommen, führte mitten in die Widersprüchlichkeit einer Gesellschaft, die ihren Anspruch auf die Wahrung der Menschenrechte durch die tödliche Abwehr von Flüchtlingen, durch weitverbreiteten Rassismus und die Zusammenarbeit mit Folterstaaten unterläuft. Er machte deutlich, daß der von Breivik propagierte Antikommunismus und das biologistische Denken in den Parametern der Demographie wesensverwandt ist mit den apologetischen Strategien des neoliberalen Kapitalismus und er zeigte, daß die Kriegführung der NATO weitgehend auf den geostrategischen Bahnen der kulturalistischen Doktrin rechter Demagogen verläuft.

So kann auch keine Rede davon sein, daß die 69 Opfer des Massakers auf der Insel Utoya das zufällige Ergebnis einer wahllosen Mordserie waren, wie die Anklägerin Inga Bejer Engh in ihrem Schlußplädoyer nahelegte. Die von Breivik ermordeten Mitglieder der Jugendorganisation der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei paßten exakt in sein Feindbild der von linken Idealen dominierten multikulturellen Gesellschaft, so daß es der Staatsanwältin wohl darum ging, die politische Stoßrichtung dieser Morde zu ignorieren. Die nach wie vor in den Medien gängige Titulierung Breiviks als "Massenmörder" und "Attentäter" erfüllt diesen Zweck allemal, wie die diversen Terrorismusdefinitionen verraten, die seine Aufnahme in den Kreis berühmter Terroristen eigentlich zwingend machten. Während man mit dem Terrorismusverdacht bei Linken und Muslimen schnell bei der Hand ist, unterbleibt er bei einer politisch so eindeutig begründeten, von langer Hand vorbereiteten und perfekt durchorganisierten Anschlagserie wie im Falle Breiviks, um sich einer Debatte über die Verankerung seiner Motive in der neuen, von honorigen Bürgern aus der Mitte der Gesellschaft gebildeten Rechten entziehen zu können.

Das wiegt in der Bundesrepublik um so schwerer, als die nur wenige Monate nach dem 22. Juli 2011 bekanntgewordene Anschlagserie des rechtsterroristischen NSU die massive Gewaltbereitschaft der Verfechter kulturrassistischer Propaganda dokumentiert. Die "offene Gesellschaft", die die norwegische Staatsanwaltschaft in diesem Prozeß zu verteidigen behauptet, wird gerade dadurch bedroht, daß die von rechter Militanz ausgehende Gefahr nicht in den Kontext autoritärer Regierungspolitik und sozialrassistischer Bürgerlichkeit gestellt wird. Hierzulande bedient sich die bürgerliche Mitte längst dieser Herausforderung, um den Staat weiter aufzurüsten und die politischen Diskurse nach rechts zu manövrieren.

Die von der Anklägerin in ihrem Schlußplädoyer noch einmal zum Ausdruck gebrachte Fassungslosigkeit ob der Monstrosität der Mordserie Breiviks entspricht der Irrationalität des Versuchs, die von ihm ausgegangene Vernichtungsabsicht als Ergebnis einer psychopathologischen Entwicklung von jeglichem Bezug zur gesellschaftlichen Realität zu lösen. Das von ihm zum Gewaltexzeß getriebene Selbstbehauptungsstreben eines weißen und meist männlichen Bürgertums birgt allemal einen Sprengstoff, der nicht nur in neofaschistischen Gruppen und Organisationen seiner Explosion harrt, sondern in der Latenz bürgerkriegsartiger Eskalationen auf die Gelegenheit lauert, die verbliebenen Ansprüche auf eine demokratische und humanistische Gesellschaft zu beseitigen.

Fußnoten:

[1] http://www.sueddeutsche.de/panorama/breivik-anklaegerin-inga-bejer-engh-entlarvung-eines-monsters-1.1388879

[2] http://www.sueddeutsche.de/panorama/breivik-prozess-in-oslo-schuldfaehig-im-sinne-der-anklage-1.1389144

21. Juni 2012