Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

PROPAGANDA/1458: Von Sarrazin zu Buschkowsky in die Mitte der Gesellschaft (SB)




Die im jüngsten Armutsbericht der Bundesregierung dokumentierte mehrheitliche Verelendung der deutschen Bevölkerung zugunsten des rasant wachsenden Besitzstands einer kleinen Elite könnte der Erkenntnis Vorschub leisten, daß die kapitalistische Klassengesellschaft das Problem ist. Um so dringender bedarf es vorurteilsfördernder und integrationsgefährdender Politiker wie des Neuköllner Bürgermeisters Heinz Buschkowsky, deren ebenso brachialer wie tiefgreifender Winkelzug darin besteht, die Wucht herrschender Verhältnisse auszublenden und den Popanz des anpassungsverweigernden Migranten als Feindbild aufzubauen. Wie schon Thilo Sarrazin vor zwei Jahren setzt nun auch Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky mit seinem Buch "Neukölln ist überall" ein weiteres kulturalistisches Fanal, das die Unerträglichkeit der Lebensverhältnisse mit dem Ventil nationalchauvinistischer Aggression versieht.

Unter dem euphemistischen Banner der Integrationsdebatte drischt Buschkowsky auf grundsätzliche Verweigerung, deutschenfeindliche Übergriffe, Kriminalität und islamistische Tendenzen der Einwandererszene in seinem Bezirk ein, schwadroniert über verwahrloste Jugendliche und Importbräute. [1] In der Integrationspolitik herrsche Rat- und Zahnlosigkeit, schreibt er und fordert Härte gegen migrantische Machos, die ganze Viertel terrorisierten, Familien, die ihre Kinder nicht in die Schule schickten oder Schwarzarbeiter, die sich im Sozialsystem eingerichtet hätten. Dem Leiter der Arbeitsgruppe Integration der Bundes-SPD, Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit, wirft Buschkowsky vor, beim Thema Schulschwänzer "ziemlichen Quatsch" zu schreiben. Wowereit sei zu weich, kanzelt er den Parteikollegen ab, der im vergangenen Jahr seine Integrationsideen im Taschenbuchformat vorgelegt hat. [2]

Buschkowsky setzt seinen 400 Seiten schweren Keil auf den nicht minder groben Klotz des Boulevardniveaus, um Volkes Stimme als Widerhall zu provozieren. Das instinktsichere Kalkül, daß Widerständigkeit abgestraft, der Stiefeltritt gegen Fremde und Schwächere hingegen folgenlos bleibt, füllt zwar nicht den Magen, nährt aber immerhin die trügerische Hoffnung, womöglich doch auf der richtigen Seite zu stehen, auch wenn der Alltag eine andere Sprache spricht. Mit dem Heimvorteil im Rücken setzt Buschkowsky, der in Neukölln geboren, in einfachen Verhältnissen aufgewachsen und sein gesamtes politisches Leben dem Bezirk verbunden geblieben ist, auf den Bonus des Platzhirsches, der weiß, wovon er röhrt. Seine provozierenden Thesen vertritt er schon seit Jahren und wie er dreist im Klappentext behauptet, wolle sein Buch einen Beitrag dazu leisten, daß Kinder und Jugendliche in sozialen Brennpunkten die gleichen Chancen erhalten, wie er sie gehabt habe.

Da nicht alle Bezirksbürgermeister werden, seine Bezüge kassieren und seine Rente in Anspruch nehmen können, meint er mit Chancen natürlich am allerwenigsten einen wie auch immer beschaffenen Ausgleich der Besitzstände und Ansprüche an ein menschenwürdiges Leben. Die Klassengesellschaft ideologisch zu einer Chancengesellschaft zu erklären, bezichtigt den Einzelnen, in seiner Eigenschaft als Glückes Schmied versagt zu haben. Wie eine Erbsünde lastet die Schuld auf allen Bürgern, denen die allein legitime Frage aufgezwungen wird, was sie für ihren Staat tun können.

Daß Thilo Sarrazin das Machwerk seines Bruders im Geiste als "authentisch" und eine "Bereicherung des Buchmarkts und der Debatte", in den höchsten Tönen lobt, kann nicht verwundern. Buschkowsky habe seinen Beitrag zur Integrationsdebatte als "handelnder Lokalpolitiker mit Herzblut" verfaßt. Dieser habe sich ja mit ihm über sein Buchprojekt unterhalten und diesem Gespräch ein Kapitel gewidmet. Umgekehrt habe er selbst sich im Integrationskapitel von "Deutschland schafft sich ab" vielfältig auf ihn bezogen. Natürlich sei Neukölln in Deutschland überall, das sehe er jetzt auf seinen Reisen. Manches sehe er schärfer und negativer als Buschkowsky, der die demografische Entwicklung unterschätze. Daher falle seine eigene Prognose weniger optimistisch als die des Bürgermeisters aus, so der Bestsellerautor.

Buschkowsky legt seinerseits großen Wert darauf, nicht mit Sarrazin in einen Topf geworfen zu werden. Er hat sich schon früh von dessen Thesen distanziert und fabuliert nun, daß wir "den Knick im Tunnel, hinter dem das Licht zu sehen ist, erreichen" werden. "Das Humankapital unseres Landes liegt nicht auf der Elbchaussee. Es liegt vielmehr dort, wo viele Kinder sind." Menschenkinder als Humankapital einzustufen dürfte der SPD-Führung durchaus gefallen, die seit langem versucht, ihn zu integrieren. Erst vor wenigen Tagen traf ihn SPD-Chef Gabriel in Neukölln, und so kann sich Buschkowsky als ein bodenständiger Politiker inszenieren, der unangenehme Wahrheiten ausspricht, und dabei mit klammheimlichem bis offenem Rückhalt in seiner Partei rechnen darf.

Buschkowskys vehement verfochtenes Paradigma, daß jeder die hier herrschenden Regeln anerkennen müsse, wenn er eine Chance in Anspruch nehmen wolle, wird weithin geteilt. Allen voran Niedersachsens CDU-Innenminister Uwe Schünemann, der gegen Parallelgesellschaften wettert, die polarisierten und spalteten. Wie Buschkowsky beschreibe, verdrängten in bestimmten Vierteln ethnisch-religiöse Regeln staatliche Normen, woraus ein gefährlicher Nährboden für Kriminalität und Radikalisierung entstehen könne. Man müsse ein positives Staatsverständnis fördern, die Einwanderung im sozio-ökonomischen Interesse steuern, stärker fordern und nicht nur fördern sowie bei hartnäckigen Integrationsverweigerern ein lückenloses Sanktionierungssystem etablieren. In städtischen Problemvierteln sei die sichtbare Präsenz der staatlichen Ordnungsmacht unerläßlich.

Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, ist in einem "sehr bei Herrn Buschkowsky - wenn es darum geht, dass eine Gesellschaft Spielregeln braucht. Wer diese verletzt, muss mit Konsequenzen rechnen. Das gilt auch für diejenigen, die über das Sozialsystem ihr Leben gestalten." Das gesellschaftliche Laissez-faire sei ursächlich für die heutigen Problemlagen, weshalb der Gesetzgeber eine Antwort finden müsse, wie man mit den Menschen umzugehen hat, die nicht in die Gesellschaft integriert werden wollen. "Haben sie Anspruch auf Sozialtransfers?", legt Alt das Gegenteil nahe.

Die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer widerspricht Buschkowsky "leidenschaftlich in seiner Behauptung, Neukölln sei überall". Im Freistaat habe man alles viel besser gelöst, und Multi-Kulti sei von Rot-Grün an die Wand gefahren worden. Nirgends in Deutschland hätten Migranten bessere Chancen als in Bayern, wo sie Leistungsträger seien. Man habe eben Rechte mit Pflichten verbunden, und verlange nicht nur die Einhaltung der geltenden Rechtsordnung, sondern setze sie notfalls auch durch. Mit ihrer Botschaft: "Wer bei uns leben will, muss auch mit uns leben wollen!", sitzt Haderthauer allen vorgehaltenen parteipolitischen Unterschieden zum Trotz durchaus im selben Boot mit dem Neuköllner Bezirksbürgermeister.

Wenn Familienministerin Kristina Schröder den Standpunkt vertritt, daß man nicht einseitig die Schuld bei Staat und Gesellschaft suchen dürfe, und verlangt, daß man die eigenen Werte klar und deutlich vertreten und die Grenzen dessen aufzeigen müsse, was man respektiere, ist Buschkowsky nicht weit. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagt dasselbe: "Dir stehen bei uns alle Türen offen, die Gesellschaft wird dich unterstützen, wenn du unsere Grundwerte achtest." Von Sarrazin zu Buschkowsky ist nur ein winziger Sprung, und nicht viel weiter ist es in die vielzitierte Mitte der Gesellschaft.

Fußnoten:

[1] http://www.ksta.de/politik/-neukoelln-ist-ueberall--heftige-reaktionen-auf-buschkowsky-buch,15187246,17893582.html

[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/buch-neukoelln-ist-ueberall-buschkowsky-rechnet-ab-1.1475166

[3] http://www.welt.de/politik/deutschland/article109403990/Buschkowsky-polarisiert-Ist-Neukoelln-ueberall.html

23. September 2012