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PROPAGANDA/1494: Die gouvernementale Maschine im Wahlkampfmodus (SB)



Repräsentative Demokratie zum Abgewöhnen. Das sogenannte Kanzlerduell macht auch der bürgerlichen Mitte hinlänglich klar, daß ihr Anspruch auf Volkssouveränität nicht mehr ist als ein Ornament an der Fassade des herrschenden Legitimationsbetriebs. Das nicht nur, weil sich im TV-Studio Berlin-Adlershorst die Chefin der Regierungskoalition und ihr Adlatus ein exklusives Stelldichein im wahlkampfadäquaten Kabinettsformat gaben. Die vier fragestellenden Journalisten, im Proporz zwischen öffentlich-rechtlich und privatwirtschaftlich dem einen Interesse des Weiter so verpflichtet, boten das erbärmliche Bild um schalwitzige Eigenprofilierung ringender Lakaien des Standes, dem sie Einkommen und Anerkennung zu verdanken haben. Das Gros der Fragen betraf nicht die Sorge um die Lebensnot der Flüchtlinge, sondern deren zweckdienliche Abwehr respektive Einspeisung in nationalen Nutzen, nicht die Behebung der weltweit immer zerstörerischer ausgetragenen Sozialkämpfe, sondern deren imperialistische Bewirtschaftung, nicht die Beschränkung des Klimawandels, sondern die Sicherung der Profitabilität fossilistischer Industrien, bestenfalls getarnt durch grünkapitalistische Mimikry.

Da mutet es fast nebensächlich an, daß, wie in der anschließenden Journalistenrunde zu erfahren, die Beschränkung auf die Spitzenkandidaten der beiden größten im Bundestag vertretenen Parteien auf ausdrückliches Insistieren des Kanzleramtes erfolgte. Merkel nähme nicht teil, wenn die Oppositionsparteien an gleicher Stelle zu Worte kämen, dekretierte man dort, und die Chefs der zuständigen Sender warfen sich pflichtschuldigst in den Staub des sie alimentierenden Rundfunkkartells, anstatt Mut zu beweisen und es schlicht darauf ankommen zu lassen, ob die Kanzlerin tatsächlich einer solchen Runde ferngeblieben wäre und damit auf reichweitenstarke Wahlwerbung verzichtet hätte.

Die Verunmöglichung jedes direkten und unabsehbaren Streitgespräches durch eine journalistische Moderation, die jede Spontanität mit einem in bürokratischem Formalismus erstarrten Fragenkatalog verhinderte und zwischenzeitlich unter das Niveau einer Wissensdressur mit Multiple-Choice-Fragen herabsank, zeigte denn auch, daß die Kommandogewalt im Kapitalismus fest in den Händen massenmedialen Akzeptanzmanagements liegt. Selbst ein handverlesenes Publikum scheint als zu großes Risiko für den absehbaren Verlauf des sogenannten Duells bewertet worden zu sein. Was immer sich in der journalistisch abgeschirmten Filterblase an unkalkulierbarer Debatte hätte Bahn brechen können, wurde strukturell wie inhaltlich mit einer Nachdrücklichkeit verhindert, die die vielbeklagte Zensur durch die Parteidoktrin in der DDR als heimlichen Wunschtraum der Freiheitsprediger heutiger BRD-Provenienz erkennen läßt.

Da muß nicht von "Lügenpresse" schwadroniert werden, um der AfD in die Hände zu spielen, ist die Lesart der auf dieser Ebene demokratischer Repräsentation verhandelten Weltsichten doch felsenfest bestimmt von den Interessen der Kapital- und Funktionseliten, denen die staatsautoritären und kulturalistischen Parolen dieser Partei in Sicht auf künftige Konflikte und Kriege hochwillkommen sind. Dabei verkennt das der neuen Rechten in die Arme getriebene Bürgertum keineswegs, daß Volksdemagogen wie Meuthen und Gauland nichts anderes im Sinn haben, als den Klassenstaat wetterfest gegen jedes Aufbegehren ausgegrenzter und verelendeter Massen zu machen. Der verschärften Gangart sozialdarwinistischer Renationalisierung in Hegemonialpolitik und Arbeitsgesellschaft stehen noch zu viele Menschenrechts- und Sozialstaatsansprüche im Weg, eben deshalb liefern die Journalistinnen und Journalisten Merkel und Schulz vorwiegend Stichworte, mit der die Regierungskoalition weiter nach rechts getrieben oder eben die AfD ins koalitionsfähige Establishment integriert wird.

Das in Person dieser beiden Sachwalter staatlicher Exekutivgewalt erfolgte Austarieren bescheidener Abweichungen in Sach- und Positionsfragen bleibt den angeblichen Handlungszwängen neoliberaler Regulationskonzepte so sehr verhaftet, daß der sogenannte Herausforderer aus gutem Grund mehr mit kleinbürgerlichem Lokalkolorit als sozialdemokratischer Tradition für seine Kandidatur wirbt. Einem Polizistensohn aus Würselen braucht nicht peinlich zu sein, wenn er sich um die Anerkennung der strengen Kanzlerin bemüht, anstatt ihr mit dem traurigen Rest an emanzipatorischem Inventar einer SPD in die Parade zu fahren, die die wichtigste sozialpolitische Maßnahme zur Zementierung klassengesellschaftlicher Gewaltverhältnisse seit dem Anschluß der DDR an die BRD zu verantworten hat.

Die nun erfolgende Kaffeesatzleserei um die mutmaßliche Auswirkung des "Kanzlerduells" auf die Bundestagswahl am 24. September folgt dem Drehbuch des von Umfragen selbstverstärkend gebahnten, durch Fünf-Prozent-Sperrklausel und staatschützerische Gesinnungskontrolle disziplinierten und von Verlagskartellen und Staatsfunk einem herrschaftsförmigen Konsensmanagement ausgesetzten Demokratiebetriebes. Die gouvernementale Maschine hat auf Repräsentationsmodus geschaltet und funktioniert, frei nach Niklas Luhmann, unter Ausschaltung jeder von anderen gesellschaftlichen und politischen Subsystemen ausgehenden Kritik, die den Frieden normativer Regulation und die Effizienz immanenter Ertragsleistungen stören könnte, bestens. Produziert die Exekutive Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit, Steueraufkommen und Sicherheit nach Maßgabe leitkultureller Zurichtung, dann kann eine vollständig in diesen Apparat integrierte Sozialdemokratie schwerlich zu sozialen Forderungen zurückkehren, die sie eigens auf dem Altar marktwirtschaftlicher Funktionslogik geopfert hat. Von daher ist die Nörgelei an der massenmedialen Inszenierung großkoalitionärer Erbfolge lediglich dem ästhetischen Widerwillen an der allzugroßen Deutlichkeit geschuldet, mit der die Pflege herrschender Interessen im Sinne mehrheitlicher Partizipation an ihnen vollzogen wird.

4. September 2017


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