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PROPAGANDA/1498: Debattenkultur - Etikettenschwindel ... (SB)



Die emotionale Parteinahme für Staats- und Regierungschefs wie Putin oder Trump verdeckt die interessengetriebenen Gewaltverhältnisse zwischen Klassen und Staaten. Gefühle beherrschen das Feld und lassen vergessen, daß die Auseinandersetzung mit stichhaltigen Argumenten auch an die eigene Teilhaberschaft am Ruf nach starken Führern und neuer Ordnung rührt. Der sogenannte Populismus könnte keinen besseren Nährboden finden als in der Vergabe von Sympathiepunkten für den jeweiligen Helden und die Schmähung seiner Gegner, die ihm vermeintlich Unrecht tun. Der an und für sich schon entmündigende Partizipationsanspruch der Stellvertreterpolitik gerät zum Circus maximus, in dem das Publikum die Genugtuung imaginierter Souveränität darin findet, den Daumen nach oben zu strecken oder nach unten zu senken. Der Moment größter Begeisterung über diesen Akt vermeintlich eigener Entscheidungsgewalt fällt denn auch mit dem Punkt tiefsten Vergessens dessen in eins, daß soeben die eigene Existenz dem Diktat all derer unterworfen wurde, auf die das Aufbegehren gegen das "Establishment", die "Altparteien", die "Mainstreammedien" oder die "politische Korrektheit" an erster Stelle zielt.

Der Ausübung sozialer Herrschaft geht die Unterwerfung voraus, vollzogen etwa in der Anerkennung des Tauschwertcharakters aller Lebensmittel und sozialen Beziehungen, dem Treffen einer Wahl im politisch regulierten Angebot parlamentarischer Repräsentation oder dem Insistieren auf eine Rechtstaatlichkeit, die als tiefempfundener Wunsch nach Rechthaben autoritärer und repressiver Staatlichkeit die Sporen gibt. Wird der Parteienstaat des Erhalts sich aus dem Apparat quasi selbst reproduzierender Machtstrukturen angeklagt, so leistet die Zustimmung zu einer weiteren Partei dieser Form hegemonialer Interessensicherung beste Dienste. Wird bürgerlichen Medien parteiliche und irreführende Berichterstattung angelastet, dann läßt die Wut über die "Lügenpresse" nichts als Ärger darüber erkennen, die Deutungsmacht über die beanspruchte Wahrheit nicht in den eigenen Händen zu halten. Werden Sprachverbote unterstellt, dann wird damit demonstriert, daß die Urheber dieser Unterstellung nicht mutig genug sind, die Belastbarkeit eigener Überzeugungen auch auf dem harten Grund einer unhintergehbaren Machtprobe zu überprüfen. Um die Stärke des eigenen Wahrheitsanspruchs nicht konsequent unter Beweis stellen zu müssen und dabei womöglich herauszufinden, daß die unterstellten Herrschaftsverhältnisse ganz anders als vermutet beschaffen sind, rottet man sich zusammen und sucht sein Heil in der Überlegenheit dementsprechend kurzfristiger Zweckbündnisse.

Was insbesondere in der mehr oder minder offenen Unterstützung die Weltbühne bespielender Gladiatoren wie Trump oder Putin an legalistisch begründeter Emotionalität aufkocht, ist für die realen Kämpfe, bei denen das tägliche Überleben millionenfach auf dem Spiel steht, nur insofern relevant, als die Subjekte beleidigter Bürgerlichkeit mit solchen Problemen ganz sicher nichts zu tun haben wollen. Indem die Gewalt politischer Winkelzüge und Manöver auf die symbolpolitisch höchste Ebene des Dramas um Entscheidung und Souveränität gehoben wird, erscheint die Möglichkeit, zu den historischen Gewinnern zu gehören, zum Greifen nah. In der Bedeutungslosigkeit zu versinken und materielle Entbehrungen bis auf die Haut vom Fleisch gefallener Knochen zu erleiden soll die Sache derjenigen bleiben, die die Rechnung bourgeoiser Zugehörigkeitskämpfe auch noch dadurch zu begleichen haben, daß sie auf ihrem Rücken ausgetragen werden.

Der selbstgerechten Empörung, von "den Mächtigen" irgendwie betrogen worden zu sein, ist das unreflektierte Eigeninteresse am Hauen und Stechen um die besten Plätze am Fleischtopf so innig eingeschrieben, daß es zwingend der Herabwürdigung sogenannter "Gutmenschen" bedarf. Über Menschen feindselig abzulästern, die die Ideale menschlicher Solidarität und Hilfe hochhalten, auch wenn scheinbar alles dagegen spricht, bekräftigt den angeblichen Naturzwang und damit die Moralität eigener Vorteilsnahme. Die Strategien sozialdarwinistischer Selbstbehauptung zum alle denkbaren wie undenkbaren Alternativen weniger zerstörerischer Lebenspraxis aus dem Feld schlagenden Wirklichkeitsprinzip zu erklären heißt, der neofeudalen Bürgerlichkeit in Zeiten sich weltweit verschärfender Verteilungskämpfe ein weiches Ruhekissen zu bereiten. Auf diesem mit chauvinistischen Ressentiments und dem notorischen Mangel an jeglicher Form von Selbstzweifel reich gedüngten Boden schießen die unverhandelbar und unumkehrbar an die jeweils anderen adressierten Gewaltverhältnisse ins Kraut nicht des kritischen Streites um Befreiung, sondern künftiger Kriege um verbliebene Lebensressourcen.

24. August 2018


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