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PROPAGANDA/1510: Eigentumsvorbehalt - in staatliche Hände ... (SB)



Zum Glück haben wir den Sozialismus überwunden, bei dem zwar alle gleich, aber alle gleich arm waren. Die Forderung, Betriebe wie BMW zu kollektivieren, zeigt das rückwärtsgewandte und verschrobene Retro-Weltbild eines verirrten Fantasten. Das kann ich alles gar nicht ernst nehmen.
CSU-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer über Kevin Kühnert [1]

Was hat er nur getan, daß man so auf ihn einprügelt? Kevin Kühnert, medienaffiner Bundesvorsitzender der Jusos, ließ sich passend zum 1. Mai in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit über seine Vorstellungen zu einer alternativen Wirtschaftsordnung aus. Nun setzt es verbale Tief- und Nackenschläge nicht nur aus allen Rohren von Union und FDP, sondern auch seitens überwiegender Teile seiner eigenen Partei. Als habe Kühnert in ein Wespennest gestochen, wird der seit 30 Jahren für tot und begraben erklärte Sozialismus abermals zum Schreckgespenst hochstilisiert. Und das mit einem Ingrimm, der den Verdacht nahelegt, die Äußerungen des Bannerträgers der sozialdemokratischen Nachwuchsorganisation hätten angesichts einer lange verdrängten klammheimlichen Furcht vor der Wiederkehr sozialistischer Träume unter den Protagonisten der herrschenden Verhältnisse einen akuten Schub ideologischen Furors ausgelöst.

Kühnerts Einlassungen zum Thema, das sei vorweg gesagt, sind weder schlüssig noch radikal und in sich widersprüchlich. Eher in die Debatte geworfen, um eine Kontroverse loszutreten, als durchdacht und konsistent in Stellung gebracht, reichen einige Reizworte für sich genommen doch aus, um die politische Konkurrenz Gift und Galle spucken zu lassen. Denn eine inhaltliche Erwiderung, die dem Juso-Vorsitzenden argumentativ in die Parade zu fahren trachtete, ist unter den wutschnaubenden Repliken zumeist Mangelware. Wenngleich das parteipolitische Hauen und Stechen um Kühnerts Steilvorlage natürlich im Vordergrund steht, läßt der gehässige und vor persönlicher Beleidigung nicht zurückschreckende Konter tief blicken: Angesichts zunehmender gesellschaftlicher Verwerfungen und gärenden Unmuts an diversen sozialen Fronten wie auch aus dem Boden schießender Protestbewegungen soll mit aller Gewalt in die Tonne getreten werden, was die Frage nach einer anderen Gesellschaft erneut auf die Tagesordnung setzen könnte.

Wie Kühnert im Interview gesagt hatte, möchte er große Unternehmen wie BMW kollektivieren und dies "auf demokratischem Wege" erreichen. Ohne Kollektivierung sei "eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar". Am Beispiel des Autobauers führte er weiter aus: "Mir ist weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW 'staatlicher Automobilbetrieb' steht oder 'genossenschaftlicher Automobilbetrieb' oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht." Entscheidend sei, daß die Verteilung der Profite demokratisch kontrolliert werde. "Das schließt aus, dass es einen kapitalistischen Eigentümer dieses Betriebes gibt."

Zudem will er den Besitz von Immobilien in Deutschland beschränken. Er finde nicht, daß es ein legitimes Geschäftsmodell sei, mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. "Konsequent zu Ende gedacht sollte jeder maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt." Noch besser seien seiner Meinung nach genossenschaftliche Lösungen, im Optimalfall gebe es überhaupt keine privaten Vermietungen mehr. Klar distanzierte sich der Juso-Chef von bisherigen Formen des Staatssozialismus wie in der DDR. In solchen Modellen habe es meistens einen "eklatanten Mangel an demokratischer Mitbestimmung" gegeben. Aus seiner Sicht sei dagegen "demokratischer Sozialismus" ein untrennbares Begriffspaar, denn Sozialismus sei "kein autoritäres Konzept". [2]

Eisigen Gegenwind setzte es umgehend aus Richtung des rechten Flügels der SPD. Der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, twitterte: "Was für ein grober Unfug. Was hat der geraucht? Legal kann es nicht gewesen sein." Kühnerts Aussagen seien unabgesprochen, unsolidarisch im Wahlkampf und lägen nicht auf sozialdemokratischer Linie. [3] Generalsekretär Lars Klingbeil mahnte zwar "zu mehr Gelassenheit in der Diskussion", fügte dann aber hinzu, Kühnert spreche über "gesellschaftliche Utopien", die nicht seine seien und auch "keine Forderung der SPD". Kühnert habe sich als "Vorsitzender der Jusos, der linken Jugendorganisation der SPD" geäußert. Lediglich Parteivize Rolf Stegner räumte milde ein, ihm sei ein Juso-Chef, der links von der SPD stehe, allemal lieber als eine Junge Union, die ihre Mutterpartei noch rechts überhole. [4] Lob kam aus den Reihen der Linkspartei, deren Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler twitterte: "Wo Kühnert recht hat, hat er recht." [5]

Ganz anders natürlich die FDP: "Die SPD muss dringend ihr Verhältnis zum Eigentum klären und Herr Kühnert das Godesberger Programm statt Karl Marx lesen. Wir Freien Demokraten werden die Soziale Marktwirtschaft gegen solche sozialistischen Auswüchse verteidigen", verkündete die frischgewählte Generalsekretärin Linda Teuteberg. [6] Die höchsten Wogen der Empörung schlug das Interview wie nicht anders zu erwarten im Lager des Koalitionspartners. Neben dem eingangs zitierten Andreas Scheuer ist auch eine Tirade des CSU-Generalsekretärs Markus Blume zu nennen: "Kühnert soll in die Linkspartei eintreten. Mit solchen Leuten ist kein Staat zu machen und kann eine Regierung nicht funktionieren." Diese systemverändernden Sozialismusphantasien seien ein schwerer Rückfall der SPD in klassenkämpferische Zeiten. "Die SPD-Spitze muss sich deutlich von solchen Hirngespinsten distanzieren." Mit solchen Vorstößen mache sich die SPD lächerlich und verunsichere gleichzeitig diejenigen, die Wohnraum schaffen wollten. Und CDU-Vize Thomas Strobl legte mit den Worten nach: "30 Jahre nach dem Niedergang der DDR wollen die Linken wieder den demokratischen Sozialismus." Erst spreche Grünen-Chef Habeck von Enteignungen, "jetzt kommen diese Stimmen auch aus der SPD und von der kommunistischen Linken sowieso".

Wie ist es nur möglich, daß Kevin Kühnert "radikal linken Tagträumen" nachhängt?, hebt welt.de gar zu einer Art politischer Psychopathologie des Juso-Vorsitzenden an. Der sei nämlich beim Mauerfall erst vier Monate alt gewesen, was erklären könnte, warum er jetzt einem "demokratischen Sozialismus" das Wort rede. Daß die Erinnerung an die Planwirtschaft verblasse, sei für Demokratie und Marktwirtschaft eine Gefahr. Die "schiere Existenz der DDR" habe dem Westen Deutschlands über lange Zeit geholfen, "Maß und Mitte zu bewahren". Da Kühnert jedoch nie "in einem tyrannischen Unrechtsregime oder auch nur in dessen Nähe gelebt" habe, schwane ihm nicht, daß "demokratischer Sozialismus" ein Widerspruch in sich sei. Er habe nie "das inhärente Unvermögen von Planwirtschaften zu spüren bekommen, nachhaltig Innovation und Wohlstand hervorzubringen". Wer "real existierenden Sozialismus am eigenen Leib erfahren möchte", was Kühnert unbedingt zu wünschen sei, müsse schon nach Venezuela, Kuba oder Nordkorea reisen. Noch sei er in der Minderheit und bekomme die Kritik zu spüren, die er verdiene. Was aber, wenn jene, die die DDR nie bewußt erlebt haben, in Deutschland in der Mehrheit sind? "Es sind ja nur noch ein paar Jahre, bis es so weit ist", warnt die Welt. So bleibe nur die vage Hoffnung, "dass nicht Irrwege von neuen Generationen abermals beschritten werden müssen, ehe sie wieder als solche erkannt werden". Daran habe Kevin Kühnert das Publikum gerade erinnert, wofür ihm Dank gebühre, schließt die antisozialistische Selbstversicherung der für unübertrefflich erklärten Gesellschaftsordnung mit einem letzten hämischen Seitenhieb. [7]

In einer ersten Widerrede verteidigt der spätgeborene Kühnert seine Äußerungen, indem er per Twitter auf das Grundsatzprogramm der SPD verweist. Darin heißt es, der demokratische Sozialismus bleibe für sie die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft. Zu dumm, daß sich jemand - wie rudimentär auch immer - daran erinnert hat!


Fußnoten:

[1] www.zeit.de/politik/deutschland/2019-05/kritik-kevin-kuehnert-sozialismus-thesen

[2] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/id_85675322/kevin-kuehnert-will-bmw-kollektivierung-und-private-vermietung-abschaffen.html

[3] www.merkur.de/politik/kuehnert-traeumt-von-bmw-enteignung-absturz-eines-senkrechtstarters-12240188.html

[4] www.deutschlandfunk.de/wirtschaft-kritik-an-kuehnert-forderungen.1939.de.html

[5] www.tagesschau.de/inland/kuehnert-juso-103.html

[6] www.handelsblatt.com/politik/deutschland/spd-juso-chef-kuehnert-will-unternehmen-wie-bmw-vergemeinschaften/24277644.html

[7] www.welt.de/wirtschaft/article192761563/Juso-Chef-Die-radikal-linken-Tagtraeume-des-Kevin-Kuehnert.html

2. Mai 2019


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