Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

RAUB/0869: Senioren am informationstechnischen Gängelband (SB)



Die schöne neue Welt der informationstechnisch aufgerüsteten Medizin soll alte Menschen künftig mit einem Rundum-Wohlfühl-System beglücken, das bei erstem Anzeichen des Auftretens einer Demenzerkrankung Alarm schlägt, um entsprechende therapeutische Maßnahmen einleiten zu können. Angeblich um den Zeitverlust zu bekämpfen, der bei der konventionellen ärztlichen Diagnostik auftreten kann, soll ein an der University of South Florida entwickeltes System anhand der Bewegungsmuster von Senioren bewerkstelligen, wozu humaner Sachverstand allein nicht in der Lage sein soll.

Wie Kristina Grifantini im Wissenschaftsmagazin Technology Review (17.02.2009) berichtet, werden die Bewohner von Altenheimen mit RFID-Armbändern versehen, mit Hilfe derer sich ihre Körperbewegungen dreidimensional auf bis zu 25 Zentimeter genau lokalisieren und analysieren lassen sollen. Werden dabei abnorme Bewegungsmuster wie unentschiedenes Hin- und Herlaufen, häufige Unterbrechungen des Bewegungsflusses oder schnelle Richtungswechsel festgestellt, dann wird dies als Frühwarnzeichen für eine Demenzerkrankung gewertet. Allerdings wird die RFID-Technik ohnehin bereits zur Überwachung von Senioren eingesetzt, wobei der initiale Zweck vor allem in der Einsparung von Pflegepersonal liegen dürfte. Elektronische Maßnahmen zur Kontrolle der täglichen Medikation, zur Beschränkung des Bewegungsradius von Senioren oder anderer angeblich zu ihrem Besten eingesetzter Überwachungsformen lassen ein erhebliches Nutzungspotential für aktive RFID-Chips, deren Sender bis zu 185 Meter weit reichen, im Rahmen hochorganisierter Sozialsysteme erkennen.

Bei dem vorgestellten System handelt es sich um nichts anderes als eine Variante der elektronischen Fußfessel, wie sie in den USA im Strafvollzug oder bei Sexualstraftätern eingesetzt wird, die bestimmte räumliche Bereiche nicht mehr betreten dürfen. Das RFID-System ist jedoch darüber hinaus in der Lage, spezifische Informationen über den aktuellen körperlichen Zustand des Trägers zu übermitteln. Die Vermessung des menschlichen Bewegungsverhaltens ermöglicht zahlreiche Nutzanwendungen weniger euphemistischer Art wie die Identifikation verdächtigen Verhaltens oder des Konsums von Drogen, sie kann den Organisationsgrad von Gruppenbildungen im öffentlichen Raum evaluieren oder indviduelle Zutrittsrechte regulieren. Das Feststellen von Abweichungen setzt eine Bewegungsnorm voraus, die als Ausdruck einer vermeintlich gesunden Motorik die Möglichkeit des Menschen, sich frei und irregulär zu bewegen, tendenziell pathologisiert und kriminalisiert.

Daß man keine automatisierte Alzheimerdiagnostik benötigte, wenn man alten Menschen nur genügend Beachtung schenkte, ist eine Binsenweisheit, mit der vor allem verkannt wird, daß die immer enger greifende informationstechnische Überwachung alles andere als altruistisch ist. Das Kontrollmonstrum hat sich schon immer gerne einen weißen Kittel übergeworfen, um eventuellen Widerstand gegen seine Zumutungen mit einer Fürsorglichkeit zu ersticken, die man besser nicht auf ihre Motive hin abklopft.

17. Februar 2009