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RAUB/0878: Legitimationskrise bedroht Stabilität der US-Gesellschaft (SB)



Die Wut vieler US-Bürger über die millionenschweren Bonuszahlungen an Manager des maroden US-Versicherungskonzerns AIG konnte auch durch den emotionalen Auftritt des US-Präsidenten Barack Obama in einer populären Talkshow nicht beschwichtigt werden. So war es wenig glaubwürdig, daß er sich über die Raffsucht von Managern ereiferte, deren Unternehmen man 170 Milliarden Dollar an Steuergeldern in den Rachen geworfen hat, obwohl es von Anfang an hochwahrscheinlich war, daß es sich um ein Faß ohne Boden handelte. Erfährt man zudem, daß rund 50 Milliarden Dollar dieser Summe an andere Banken in den USA und in der EU geflossen sind, die sich von AIG gegen den Ausfall hochspekulativer Derivatgeschäfte haben versichern lassen, dann ist es für zusehends von Überlebensnöten gebeutelte US-Bürger kaum mehr zu ignorieren, daß die Begünstigung der Kapitaleigner Ergebnis eines Kartells ist, dem es vor allem darum geht, die eigene Machtposition zu sichern.

Die daraus resultierende Legitimationskrise für Staat und Kapital in den Bahnen gesellschaftlicher Normalität zu halten scheint zusehends problematisch zu sein. Die am meisten vom wirtschaftlichen Niedergang Betroffenen, die mit Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit, Krankheit und Hunger zu kämpfen haben, neigen Presseberichten zufolge zusehends dazu, gegen die im Mittelpunkt der Empörung stehenden Finanzmanager Gewalt anzuwenden. Morddrohungen gegen AIG-Mitarbeiter haben unter diesen akute Angst um ihre Sicherheit ausgelöst, so daß sich das Unternehmen genötigt sah, besondere Maßnahmen zu treffen. So wies es seine Angestellten an, keine Gegenstände und Kleidungsstücke in der Öffentlichkeit zu zeigen, die mit dem Firmenlogo versehen sind. Nach Möglichkeit sollen AIG-Mitarbeiter nicht allein auf die Straße gehen und ihre Autos stets auf gut ausgeleuchteten Parkplätzen abstellen. Keinesfalls sollten sie in der Öffentlichkeit Stellung zu den gegen das Unternehmen erhobenen Vorwürfen beziehen und sich für den Fall, daß sie sich verfolgt fühlen, sofort an die Polizei wenden. Besucher in AIG-Filialen sollten aufmerksam beobachtet werden, um bei jedem Anzeichen verdächtigen Verhaltens das Sicherheitspersonal einzuschalten.

Nun macht sich in den USA wie auch in Britannien, wo es bereits zu einem Angriff auf einen hochrangigen Manager kam, die schwache institutionelle Vermittlung zwischen Arbeit und Kapital negativ bemerkbar. Wurden die Proteste von Lohnabhängigen insbesondere in Britannien, aber auch in den USA in größerem Maße als heute in Kooperation mit der Regierung und den Firmen durch Gewerkschaften moderiert, als deren Kampfmittel im äußersten Fall der Generalstreik fungierte, so hat die flexibilisierte irreguläre Jobkultur Einzelkämpfer produziert, die sich nur noch bedingt in organisierte Formen des Protests einbinden lassen. Getreu dem Credo eines Donald Rumsfeld, der die Plünderung des irakischen Nationalmuseums lässig mit dem liberalistischen Credo kommentierte, daß so etwas in freien Gesellschaft nun einmal passiere, neigen insbesondere mit dieser Doktrin aufgewachsene US-Bürger dazu, die Dinge im Zweifelsfall selbst in die Hand zu nehmen.

Daß sie dafür allen Anlaß haben, dokumentiert das keineswegs zum Anlaß staatlicher Intervention genommene Mißverhältnis zwischen einer Bevölkerung, deren hoher Verschuldungsgrad Konsequenzen bitterster Armut oder gar strafrechtlicher Verfolgung hat, und einer Kapitalelite, die auch dann noch exorbitant verdient, wenn das gesamte System zu kollabieren droht. Während Millionen US-Bürger, die ihre Immobilienkredite nicht mehr begleichen konnten, in Elendsquartieren, im Auto, im Zeltlager oder auf der Straße leben müssen und vergeblich darauf warten, von einem Staat, der Milliarden aufbringen kann, um Finanzwirtschaft und Industrieunternehmen zu refinanzieren, aus existentieller Not gerettet zu werden, haben die 25 bestverdienenden Hedge-Fonds-Manager 2008, als die Krise bereits in voller Blüte stand, immer noch 11,6 Milliarden Dollar eingenommen. Das ist zwar nur noch etwas mehr die Hälfte ihres Vorjahressalärs von 22,5 Milliarden Dollar, aber angesichts der Tatsache, daß die Hedge-Fonds-Branche besonders schwer unter der Krise zu leiden hat, zumindest erstaunlich. Angeblich hätten es diese Manager verstanden, von der Krise direkt zu profitieren, wie Brancheninsider behaupten (Financial Times Deutschland, 26.03.2009).

Für die Betroffenen kann dies kein Trost sein, ganz im Gegenteil. Sie kommen immer weniger umhin zu begreifen, daß ihr persönliches Schicksal nicht nur völlig bedeutungslos ist, sondern daß, wenn sie in diesem System überhaupt eine Funktion haben, diese am ehesten mit dem Bild des Schlachtviehs zu beschreiben ist. Um die sozialen Folgen dieser Einsicht zu bekämpfen, steht den US-Behörden das ganze Arsenal ihrer bewaffneten, eigens für die Aufstandsbekämpfung ausgebildeten Nationalgarden, Polizeien und sonstigen Sicherheitsbehörden zur Verfügung.

Das Problem, inmitten der galoppierenden Delegitimierung der Kapitaleigner, die die Wut der Bürger bezeichnenderweise weit weniger auf sich ziehen als ihre Angestellten, zu massiver Gewaltanwendung zu greifen, besteht in der darin liegenden Tendenz zur Eskalation. Wenn die normalerweise leicht durch Patriotismus, Unterhaltung und zweckdienliche Feindbilder auf die erwünschte Bahn zu bringende US-Bevölkerung feststellt, daß die Regierung ganz und gar mit dem Kapital verbündet ist und dessen Interessen unter allen Umständen verteidigt, dann könnte die Legitimationskrise zu einem regelrechten Legitimationsbruch führen.

Eine intelligente Regierung wie die Präsident Barack Obamas, der seine Wahl nicht zuletzt der breit orchestrierten Suggestion zu verdanken hat, er würde die Interessen der einfachen Bürger vertreten, müßte zumindest einige hochrangige Profiteure opfern, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu retten, wenn er nicht ohnehin systemische Veränderungen anstrebte, die das Problem auf grundsätzlichere Weise angehen. Da eine solche Lösung mit der ideologischen wie klassenpolitischen Erstarrung der US-Gesellschaft nicht zu vereinbaren ist, liegt die Vermutung nahe, daß Obama sich wie die Vorgängerregierung mit äußeren Feinden behelfen wird, auf die alle Aggression gerichtet werden, so daß auch diejenigen, die dieses Manöver durchschauen, als deren Sympathisanten stigmatisiert werden können.

27. März 2009