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RAUB/0910: Virtuelle Freiheit schmerzt weniger als reale Fremdbestimmung (SB)



Eine Untersuchung unter 600 britischen Angestellten hat ergeben, daß die Nutzung mobiler Empfangsgeräte, auf denen man wie bei einem BlackBerry unterwegs den persönlichen E-Mail-Verkehr erledigen kann, diesen eine zusätzliche Arbeitszeit von 15 Wochenstunden aufbürdet. Darauf hat die auf Arbeitsrecht spezialisierte britische Anwaltskanzlei Peninsula (The Guardian, 24.08.2009) verwiesen. Dieses Beispiel für die Ausweitung des Berufsalltags auf die private Zeit von Angestellten durch die Nutzung mobiler Empfangs- und Sendegeräte ist nur eines von diversen, die den Trugschluß der dank Informationstechnologie zusätzlich erschlossenen Freiräume als solchen kenntlich machen.

Während die permanente Erreichbarkeit durch Mobiltelefonie, die mit 24/7 bildhaft auf die Kürze dieser Leine gebracht wurde, noch einen gewissen Raum der Passivität läßt, fordert die Sichtung und Beantwortung von E-Mails bei entsprechendem Aufkommen zum Abarbeiten ganzer Vorgänge während der Fahrt zur Arbeit oder der Mittagspause auf. Je mehr Kanäle zur Verfügung stehen, desto mehr werden dazu genutzt, um die Arbeitsanforderung in ort- und zeitlose Allgegenwart zu treiben.

Schon vor der breiten Durchsetzung mobiler Telekommunikation wurde mit dem Primat des lebenslangen Lernens das Gebot der Selbstoptimierung zur selbstverständlichen Pflicht erhoben. Wer nicht in seiner unbezahlten Zeit dafür sorgt, daß seine berufsspezifische Qualifikation stets auf dem neuesten Stand ist, verringert den Marktwert seiner Arbeitskraft und ist selbst daran schuld, wenn er in Erwerbslosigkeit rutscht. Die ständige telefonische Verfügbarkeit, die das Abschalten des Handys rechenschaftspflichtig macht, hat die Möglichkeit, Lohnabhängige nur für die Zeit zu ordern, in der es wirklich etwas zu tun gibt, zu einem weiteren betriebswirtschaftlichen Aktivposten gemacht.

Das anwachsende Aufkommen von E-Mails, die sich bei vielen Angestellten in Verwaltungstätigkeiten auf weit über hundert Eingänge am Tag summieren, hat für die Unternehmen nicht nur Vorteile, sind doch nicht alle darüber prozessierten Informationen für das jeweilige Arbeitsziel so zuträglich, daß sich die dafür erforderliche Bearbeitungszeit rechnet. Indem der dafür anfallende Aufwand außerhalb der Kernarbeitszeit angesiedelt wird, hat sich dieses Problem erledigt.

Mit Lobliedern auf die informationstechnische Vernetzung von allem und jedem, die in Politik, Wirtschaft und Kultur gesungen werden, wird der Erfolg einer Strategie der totalen Verfügbarkeit gefeiert, die auf viele Betroffenen immer noch den Eindruck macht, der Raum ihrer persönlichen Freiheit hätte sich vergrößert. Die informationstechnisch eingebettete Fremdbestimmung hat die Ich-AG mit Flügeln versehen, auf denen sie neuen Horizonten entgegenstrebt, weil sich dahinter doch noch die Erlösung vom Erwerbszwang verbergen könnte. Die große Bereitschaft, sich diesem Fantasma zu überantworten, ist ein direktes Resultat der Okkupation des Menschen mit Signalen, die bei aller Vielfalt uniformer denn je daherkommen. Im öffentlichen Raum angestrengt auf kleine Displays schauend, um das haptische Vermögen auf Miniaturtasten und Touchscreencodes zu eichen, die Gehörgänge mit tief in sie versenkten Audiostöpseln von einer feindseligen Umwelt abschirmend hängt die Monade am Band fremder Interessen, die sich die versprochene Freiheit durch die Adaption ihrer Verwertungs- und Verfügungsformen zu teuer bezahlen lassen, als daß der biologischen Komponente des Produktionsapparats Eigenleben zugestanden werden könnte.

26. August 2009