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RAUB/0924: Israel plant Arbeitslager für Migranten in der Negev-Wüste (SB)



Weil die führenden Nationalstaaten und deren übergreifenden Bündnisse ihren Reichtum auf dem Rücken fortgesetzter Verelendung der restlichen Menschheit erwirtschaften und mit überlegener Waffengewalt durchsetzen und verteidigen, tragen sie nicht zuletzt Sorge dafür, sich die Hungerleider vom Leib zu halten. Im Bestreben, den anschwellenden Flüchtlingsstrom unter Kontrolle zu bringen, kennt ihre Brutalität keine Grenzen, wenngleich dabei gewisse Restbestände moralischer Skrupel und altruistischer Gefühlsverirrungen entsorgt werden müssen.

Wie die israelische Tageszeitung "Ha'aretz" dieser Tage berichtet hat, habe Israel vor, "illegale Migranten" künftig in Arbeitslagern im Süden des Landes unterzubringen. Die Flüchtlinge erhielten Unterkunft, Lebensmittel und medizinische Betreuung, wofür sie im Gegenzug für ihre manuelle Arbeit außerhalb des Camps ihren kompletten Lohn an den Staat abgeben müßten. Mit diesem Verfahren wolle man afrikanische Asylsuchende abschrecken, die über die ägyptische Grenze nach Israel fliehen, und dennoch vorgedrungene Migranten abfangen und in Grenznähe festsetzen. Sie sollen dort im Lager bleiben, bis über ihren Asylantrag entschieden ist, was Monate oder Jahre dauern kann.

Die Kontroverse um Arbeitslager für Flüchtlinge schlägt in Israel derzeit hohe Wellen, wo Menschenrechtsorganisationen gerade die Deportation von 1.200 Kindern ausländischer Arbeitskräfte zu verhindern suchen. Zu den entschiedensten Befürwortern der zwangsweisen Abschiebung gehört Innenminister Eli Yishai (Shas), der Überfremdungsängste mit der Behauptung wachruft, diese Kinder im Land zu lassen, würde Hunderttausende weitere "illegale Migranten" anlocken, die alle erdenklichen Krankheiten wie Hepatitis, Masern, Tuberkulose und Aids wie auch Drogen einschleppten.

Die Strategie der israelischen Regierung, Asylsuchende an der äußersten nördlichen und südlichen Peripherie des Landes zu konzentrieren, war bereits im April 2008 Gegenstand einer gerichtlichen Anhörung. Wie dabei zur Sprache kam, zeigen die Kibbutzim im Süden so gut wie kein Interesse, Migranten zu beschäftigen. Obgleich die Koordinatoren dieser Gemeinschaften dringend landwirtschaftliche Arbeitskräfte suchten, wollten sie keine Sudanesen beschäftigen, weil sie Asylsuchenden den gesetzlichen Mindestlohn zahlen müssen und die festgelegten Abzüge nicht überschreiten dürfen. Nur in wenigen Ausnahmefällen erklärten sich Kibbutzim oder Kooperativen bereit, Flüchtlinge auf dieser Basis einzustellen.

Der Direktor der israelischen Sektion von Amnesty International, Itay Epstein, sprach von einer "verrückten Idee, Flüchtlinge gewaltsam in Arbeitslagern" unterzubringen, die in Widerspruch zu internationalem Recht und jedem internationalen Abkommen stehe, das Israel je unterzeichnet hat. Israel sei verpflichtet, Flüchtlingen und Asylsuchenden, die an seine Tür klopfen, einen sicheren Hafen zu gewähren, was das Recht auf ein Leben in Würde und Arbeit für den Lebensunterhalt einschließt, die keinesfalls erzwungen werden dürfe.

Wer bei diesen Arbeitslagern an die sklavenähnlichen Ausbeutungsverhältnisse jener Schuldknechtschaft denkt, deren Opfer durch maßlos überhöhte Abzüge für ihren kargen Lebensunterhalt in unentrinnbare Abhängigkeit getrieben werden, macht sich ein angemessenes Bild von der Zwangslage, die das israelische Konzept für die Opfer staatlicher Willkür vorsieht. Dies mutet um so extremer in einem Land an, das seinem Selbstverständnis zufolge als Hort für Verfolgte aus aller Welt ins Leben gerufen wurde. "Wie tief sind wir gesunken", klagte der Knessetabgeordnete Dov Khenin (Hadash) in Reaktion auf den Vorschlag, Arbeitslager einzurichten. "Das zeigt, daß wir nichts dazugelernt haben, obwohl wir in einem Land leben, das von Flüchtlingen für Flüchtlinge gegründet worden ist."

Allerdings stolpert man bei diesem verklärten Blick auf die Anfänge des Staates Israel auf seine Gründungsmythen, welche die Vertreibung der Palästinenser systematisch ausblenden. Möglicherweise hat Israel gemessen an seiner Bevölkerung mehr Menschen ihrer Heimat und Existenz beraubt, als irgendein anderer Staat im Zuge seiner Gründung und Durchsetzung, so daß es als ausgesprochener Produzent von Flüchtlingen in die Geschichte eingeht, von denen nicht wenige 60 Jahre nach der israelischen Staatsgründung noch immer in Lagern leben. Auch zeigen das Freiluftgefängnis des Gazastreifens und die Fragmentierung des Westjordanlands, in welchem Maße das israelische Besatzungsregime die Verfügungsgewalt über beträchtliche Bevölkerungsmengen perfektioniert hat. Vor diesem Hintergrund verliert der Vorschlag, Arbeitslager im Negev einzurichten, weder seinen Schrecken noch seinen innovativen Charakter, wohl aber sein Überraschungsmoment in einem Land wie Israel.

13. November 2009