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RAUB/0934: Das Besitzbürgertum als Retter des Rechtstaats? (SB)



Wenn es um den Schutz von Bürgern geht, die so viel Geld übrig haben, daß es sich für sie lohnt, der Steuer durch Kapitaltransfer ins Ausland zu entgehen, ist der Rechtsstaat hoch im Kurs. In der Debatte um den Kauf allem Anschein nach illegal erworbener Daten über deutsche Steuerflüchtlinge in der Schweiz werden starke Worte über die ethische Unmöglichkeit ins Feld geführt. Der Staat dürfe nicht mit auf verbrecherischer Weise erlangten Informationen auf die Jagd nach Steuersündern gehen respektive diese zu einer Selbstanzeige, mit der sie eine Strafe vermeiden können, veranlassen, predigen ansonsten als Verteidiger bürgerlicher Rechte kaum aufgefallene Politiker.

Sicherlich ist es lobenswert, Bürgerrechte zu stärken, mit denen verhindert wird, daß Einbrüche in die Privatsphäre zu Lasten der Betroffenen ausgenutzt werden. Ganz und gar ausgeblendet bleibt bei dieser Debatte jedoch, daß Millionen Bundesbürger jedes Anrecht auf ein privates Erwerbsleben verwirkt haben. Wer sich aufgrund der objektiven Krise des Kapitalismus als Arbeitsloser in der Zwangslage befindet, alle in seinem Eigentum befindlichen Vermögenswerte und Geldmittel offenzulegen, um Anspruch auf Arbeitslosengeld 2 erheben zu können, der bedarf keiner ethischen Maßstäbe, um festzustellen, daß in diesem Rechtsstaat mit zweierlei Maß gemessen wird. Wer über Kapital verfügt, kann Bürgerrechte vollständig in Anspruch nehmen, wer auf staatliche Transferleisungen angewiesen ist, muß sich auf eine Weise entblößen, gegenüber der die Durchleuchtung mit dem sogenannten Nacktscanner eine Petitesse ist.

Höchste rechtstaatliche Maßstäbe werden an Lohnabhängige gelegt, die wegen kleiner Verfehlungen ihren Job und damit ihre Überlebensgrundlage verlieren. Wenn das Schule machte, ist der Bestand des Staates in Gefahr, also wird von Anfang an hart durchgegriffen. Ausbeutung durch Arbeit erfüllt höchste ethische Maßstäbe, wenn sie nur den liberalen Grundsätzen der herrschenden Rechtsordnung genügt. Ein 16jähriges Mädchen wird nachts aus dem Zug geworfen, weil ihr zwei Euro für den Kauf einer Fahrkarte fehlen. Ob sie in eiseskalter Nacht Schaden nimmt, ist ohne jeden Belang. Weil sie nicht bezahlen kann, hat sie wie jeder Obdachlose das Recht verwirkt, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Privateigentum ist der höchste aller Werte und schlägt humanistische Prinzipien um Längen.

Auch wartet man vergeblich auf den Ruf nach dem Rechtsstaat, wenn man als demokratisch gesonnener Mensch Kritik an den herrschenden Verhältnissen übt und dabei unter den Radar der Geheimdienste gerät. Da Nachrichtendienste eigens dazu geschaffen wurden, um rechtsstaatliche Schranken diskret unterlaufen zu können, kräht kein Hahn danach, wie es in diesem Fall um die Ethik staatlichen Handelns bestellt ist. Ohnehin wurde über den Kunstgriff der Terrorismusabwehr längst eine Form von Finanzkontrolle etabliert, deren Opfer völlig vom Wirtschaftsleben ausgeschlossen werden, weil ihre Konten gesperrt und ihnen jede Geschäftstätigkeit untersagt wurde. Auf die EU-Liste der Terrorverdächtigen gerät man ohne jede rechtstaatliche und demokratische Kontrolle auf der Basis für die Betroffenen nicht einsehbarer Geheimdienstinformationen.

Es stünde den Damen und Herren der Regierungsparteien daher gut an, etwas weniger selbstgerecht von der Gefährdung des Rechtstaats zu schwadronieren. Dessen Niedergang ist in erster Linie das Werk der Unionsparteien und der SPD. Diese Entwicklung ausgerechnet am Beispiel des Besitzbürgers umzukehren ist bezeichnend für die Selbstherrlichkeit, mit der die Bundesrepublik nach den Wünschen der Kapitaleigner zugerichtet wird. Daraus als materiell gutsituierter Bürger den Schluß zu ziehen, vom repressiven Charakter des Krisenmanagements verschont zu bleiben, ist allerdings kurzsichtig. In einem Staat, in dem das Pochen auf liberale Rechtsgrundsätze durch die Zumutung einer Armutsverwaltung, die die Löhne zwecks Sicherung der Profitrate unter Existenzniveau zu drücken hat, gegenstandslos wird, arbeitet sich die Einspeisung aller verfügbaren Ressourcen zur Steigerung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts und seiner Nutzung gegen die globale Konkurrenz von unten nach oben vor. Weite Kreise des sich noch vor dem Hartz-Regime sicher fühlenden Bürgertums werden feststellen, daß nicht nur rechtstaatliche Grundsätze keinerlei Haltbarkeit mehr aufweisen. Auch ihre Klassenprivilegien stehen zur Disposition einer administrativen Überlebenslogik, der der einzelne bloßes Objekt übergeordneten Interesses ist.

31. Januar 2010