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RAUB/0976: Flugbenzin aus Biomüll - Wohlstandssicherung zu Lasten der Hungernden (SB)



An vollmundigen Versprechungen, daß dringend Maßnahmen gegen den Hunger in der Welt ergriffen werden müßten, mangelt es nicht. Die Realität zeigt allerdings ein anderes Bild. In den führenden Wirtschaftsnationen der Welt wird immer mehr Nahrung verbrannt, um die Mobilität ihrer auf Flexibilität getrimmten Bevölkerungen aufrechtzuerhalten. So plant die australische Fluggesellschaft Qantas den Bau einer kommerziellen Fabrik zur Herstellung von Treibstoff aus organischen Rohstoffen. Es wird die weltweit zweite Fabrik dieser Art sein, nachdem British Airways vor knapp einem Jahr den Bau einer großen Produktionsanlage in London und ihre Fertigstellung für das Jahr 2014 angekündigt hat. Eine dritte kommerzielle Anlage will Qantas' Partner Solena in Dublin errichten, um Fluggesellschaften wie Ryanair und Aer Lingus mit nicht-fossilen Treibstoffen zu beliefern.

Die Fluggesellschaften reagieren auf den Druck nicht zuletzt der Europäischen Union, die vom Januar 2012 an strengere Vorschriften zur Verringerung des Treibhausgases Kohlendioxid verlangt. British Airways will aus 500.000 Tonnen Abfall der britischen Hauptstadt 73 Millionen Liter Flugbenzin herstellen. So konkurriert die Fluggesellschaft mit anderen Interessenten an den organischen Substanzen, die nicht nur von Restaurants und Haushalten eingesammelt werden, sondern zu denen auch Gras und Holzschnitzel gehören. Deren organischer Eintrag wird der Umwelt dauerhaft entzogen.

Nur mit einem stark verkürzten Blick scheint die einzelne Fluggesellschaft keine Produkte zu verbrauchen, aus denen Nahrung gefertigt wird. Die Herstellung von Flugbenzin findet im Rahmen eines weltweiten Trends statt, den endlichen fossilen Energieträger Erdöl durch Biomasse zu ersetzen. Wenn aber eine Fabrik, die Agrosprit für den Straßenverkehr herstellt, keine Holzschnitzel oder Lebensmittelreste erhält, weil bereits eine Fluggesellschaft die Hand darauf gelegt hat, wird sie zu landwirtschaftlichen organischem Material wechseln. In den USA ist das sowieso hauptsächlich Mais, in der EU wird neben Mais auch viel Raps verarbeitet. Beides sind Futter- oder Lebensmittel. In anderen Fällen, wie zum Beispiel beim Anbau von Jatropha, deren Samen ungenießbar sind, werden Agrarflächen belegt und Wasservorräte beansprucht, die ansonsten für die Herstellung von Nahrung gebraucht werden könnten.

Darüber hinaus setzt die vermeintlich klimaneutrale und umweltfreundliche Verwertung von organischen Materialien durch die Fluggesellschaften voraus, daß der Abfall überhaupt erzeugt wird, also daß die profitgetriebene und damit auf immerwährenden Verbrauch angewiesene Produktionsweise beibehalten wird. Ein Rückgang des biologischen Müllaufkommens hingegen brächte die "grüne" Flugbenzinfabrik ins Trudeln, so daß sie entweder ihre Produktion einstellen oder auf Ersatzstoffe umsatteln müßte. Das wiederum könnte sehr wohl Getreide sein.

Und noch ein Mythos zum vermeintlich klimafreundlichen Flugverkehr sollte in diesem Zusammenhang ausgeräumt werden: Die 72 Millionen Liter Flugbenzin, die British Airways jährlich aus organischem Abfall herstellen will, ersetzen gerade mal zwei Prozent des Kerosinverbrauchs dieser Fluggesellschaft. Wollte sie den nicht-fossilen Anteil am Flugbenzin weiter erhöhen, benötigte sie das Müllaufkommen von 50 Städten von der Größe Londons. Ersatzweise kämen nach heutigem technologischem Stand nur landwirtschaftliche Erzeugnisse in Frage.

Speisereste, geschnittenes Gras und Holzschnitzel zu Treibstoff zu verarbeiten, soll den Fluggesellschaften einen öko-grünen Tarnanstrich verleihen und dafür sorgen, daß die Produktionsverhältnisse, die zu Lasten von fast einer Milliarde Hungernden in der Welt etabliert wurden und zu einem menschheitsgeschichtlich unerreichten Ausmaß an Kapitalakkumulation in den Händen weniger Personen geführt haben, auch von der postfossilen Gesellschaft nicht in Frage gestellt werden. Nach wie vor wird die eklatante Nahrungsnot in der Welt entweder als naturgegebenes Schicksal oder als Problem beschrieben, das zu lösen man sich auf den Weg gemacht habe. Unterdessen werden weltweit immer mehr Raffinerien und Destillerien errichtet, in denen wertvolles organisches Material zu Treibstoff verarbeitet wird.

4. Januar 2010