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RAUB/1020: Entwicklungshilfe braucht zuallererst die FDP - Niebel versorgt Parteifreunde (SB)



Der böse Verdacht, daß deutsche Entwicklungshilfe nicht so sehr armen Weltregionen und deren Bewohnern, als vielmehr hiesigen Wirtschaftsinteressen, politischen Pfründen, berufsständischen Erwerbsinteressen und neoimperialistischem Expansionismus zu dienen habe, ist nicht neu und wurde stets heftig bestritten. Mit Dirk Niebel bekleidet seit dem 28. Oktober 2009 ein freidemokratischer Politiker das Amt des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Kabinett Merkel, dessen geringstes Problem es zu sein scheint, den alten Argwohn gegen seinesgleichen zu entkräften. Als Hauptmann der Reserve verkörpert er gewissermaßen die zivilmilitärische Zusammenarbeit in Personalunion, und während des Wahlkampfs hatte Niebel als damaliger FDP-Generalsekretär gemäß dem Wahlprogramm seiner Partei noch dafür plädiert, das Ministerium kurzerhand abzuschaffen und die Aufgaben in das Außenministerium einzugliedern.

Kaum genoß er die Vorzüge des Ministeramts als er auch schon auszumisten begann und die Behörde umkrempelte, daß einem angst und bange werden konnte, fühlte man sich auf die eine oder andere Weise dem Anspruch der Entwicklungshilfe verpflichtet. Schon nach wenigen Tagen kündigte er an, deutsche Hilfe für die Volksrepublik China und Indien auslaufen zu lassen, was dann auch geschah. Doch das war nur der Anfang. Wenngleich man ihm aus Kreisen betroffener Organisationen wiederholt vorwarf, er handle nicht im Sinne der Empfängerländer, sondern deutscher Wirtschaftsunternehmen, focht ihn das nicht an. Auf sein Betreiben fusionierten mit Wirkung ab 1. Januar 2011 die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) und die Weiterbildungsgesellschaft InWEnt zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (GIZ). Die neue 19.000 Mann starke Organisation sollte 700 Mitarbeiter weniger und zwei Geschäftsführer mehr haben als die Einzelorganisationen zuvor.

Damit konnte sich Niebel eine Reform ans Revers heften, deren Konsequenzen allerdings bis heute umstritten sind. Er sprach damals von einem "historischen Tag für die deutsche Entwicklungspolitik". "Woran drei Vorgängerregierungen gescheitert sind, das haben wir in einem ambitionierten Zeitplan und trotz enormer Widerstände gerade auf den letzten Metern erfolgreich geschafft. Mit der Fusion (...) erzielen wir erhebliche Effizienzgewinne, bauen Doppelstrukturen ab und gewinnen die politische Steuerung der Entwicklungsarbeit für die Bundesregierung zurück." [1]

Das Ergebnis war verfehlt. Zu den bestehenden Geschäftsführern kamen weitere hinzu, so daß die Entwicklungshilfeorganisation unter dem Vorwand der Armutsbekämpfung in aller Welt fortan eine Millionensumme allein für die neue Führung ausgab. Empörte MitarbeiterInnen verfaßten ein Schreiben an die zuständigen Bundestagsabgeordneten, in dem von einem "ein Affront in vielerlei Hinsicht" die Rede war. Ein einziger Geschäftsführer koste "zirka 500.000 Euro und mehr pro Jahr", was unter der Maßgabe der Kostenreduzierung "nicht tragbar" sei. Für böses Blut sorgte ferner der Umstand, daß die Geschäftsführer ausschließlich Männer sein sollten. Der Personalvorschlag sei "eine völlige Missachtung aller in Deutschland geltenden Vereinbarungen zur Gleichstellung von Männern und Frauen", hieß es in dem Brief, "und ein Schlag ins Gesicht aller Kolleginnen in der Entwicklungszusammenarbeit". Die Organisation werde "zum Gespött in der internationalen Diskussion". [2]

Während Hunderte Mitarbeiter der abgeschafften Organisationen von der Gehaltsliste gestrichen wurden, will Niebel in seinem Ministerium zahlreiche neue Stellen schaffen. Das war Wasser auf die Mühlen seiner Kritiker, die ihm seit Amtsbeginn vorwarfen, er vergebe Schlüsselpositionen nach Parteibuch statt nach fachlicher Eignung: Niebel schaffe Versorgungsposten, die er mit Parteifreunden besetze, darunter auch die Geschäftsführung der neugeschaffenen Servicestelle für Entwicklungsinitiativen "Engagement-global". Eben dieses Projekt wollte der Minister dieser Tage glanzvoll vorstellen, doch lief ihm die Präsentation aus dem Ruder und mündete in eine heftige Kontroverse um die ihm vorgehalte Günstlingswirtschaft. Ins Visier geriet insbesondere die neue Geschäftsführerin Gabriela Büssemaker, zuletzt Bürgermeisterin im badischen Ettlingen, und FDP-Parteimitglied, deren Qualifikation für die Entwicklungspolitik jeder Nachvollziehbarkeit entbehrt. [3]

Wie man es von ihm kennt, schlug der Minister sogleich mit harten Bandagen zurück: "Die Sache ist haltlos. Das transparente Verfahren ist nachprüfbar", erklärte er. Er habe die Bewerbungen nicht gesehen und mit der Vorentscheidung nichts zu tun gehabt. "Wir haben eine Personalberatung mit der Auswahl beauftragt und eine Endauswahl getroffen." Die endgültige Auswahl sei natürlich kein Zufall gewesen. Bestimmte herausragende Positionen seien auch politische Positionen.

Dumm nur, daß Büssemaker bereits im Oktober 2011 in einem Interview ausgeplaudert hatte, daß ihre neue Stelle "in trockenen Tüchern" sei, aber erst im Dezember "von ihrem Arbeitgeber selbst bekannt gegeben" werden könne. Bis dahin sei Stillschweigen vereinbart worden. Ende vergangenen Jahres lief aber noch das angeblich unabhängige Auswahlverfahren. Das brachte die politische Konkurrenz in Rage. Sascha Raabe, entwicklungspolitische Sprecher der SPD, fordert den Rücktritt Niebels. Sollten die Vorwürfe stimmen, "dann war das gesamte offizielle Bewerberauswahlverfahren nicht nur ein teurer Spaß auf Kosten der Steuerzahler, sondern eine betrügerische Farce. Diese Kungelei widerspricht allen rechtsstaatlichen Vorschriften für ein ordnungsgemäßes und faires Auswahlverfahren und wird gegebenenfalls auch strafrechtliche Konsequenzen haben. Sollten sich die Vorwürfe in der weiteren Prüfung als wahr erweisen, muss Minister Niebel zurücktreten."

Was eine weitere Personalie betraf, versuchte Niebel gar nicht erst, die Bevorzugung von Parteifreunden zu verbergen. Uta Böllhoff, ehemalige McKinsey-Beraterin, natürlich mit FDP-Parteibuch, soll die neugeschaffene Abteilung Planung und Kommunikation leiten, in der weitere 210 neue Stellen zu verteilen sind. "Diese Abteilungsleiterstelle ist eine politische Beamtenstelle, die Eignung und Leistung voraussetzt, aber eben auch die politische Loyalität", so der Minister. Das ging selbst dem Koalitionspartner über die Hutschnur. In einem Brief an die Kanzlerin kritisierte die entwicklungspolitische Sprecherin der Unions-Bundestagsfraktion, Sibylle Pfeiffer (CDU), Böllhoff habe "keinerlei nennenswerte entwicklungspolitische Erfahrung".

Der aktuelle Tätigkeitsbericht des Personalrats wirft gar die Frage auf, ob die Abteilung "Planung und Kommunikation" nicht allein dazu dienen solle, die FDP-Kampagne für den nächsten Bundestagswahlkampf 2013 zu unterstützen. Niebel konterte mit dem Hinweis, es gebe "eine Menge Artikel" aus Vorgängerzeiten, in denen mit exakt gleichen Formulierungen Kritik an der damaligen Hausleitung geübt worden sei, womit er natürlich Heidemarie Wiezorek-Zeul (SPD) meinte. "Es soll sogar zu Zeiten meiner Amtsvorgängerin Personallisten gegeben haben, die von Fraktionen eingereicht wurden mit Wünschen nach Beförderung, ich kann mir so was persönlich überhaupt nicht vorstellen, aber es scheint tatsächlich vorgekommen zu sein", erklärte Niebel scheinheilig. [4]

Er weiß, wovon er spricht, kann doch die vorgehalten Sorge der anderen Parteien um die Qualität der Entwicklungsarbeit kaum deren Futterneid verbergen. Es geht um politische Pfründe, denn man fürchtet in erster Linie, bei der Umorganisation des Hauses nicht mitreden zu dürfen und bei der Stellenbesetzung übergangen zu werden. So beschwert sich die CDU-Politikerin Sibylle Pfeiffer in einem Brief an die Kanzlerin, daß Niebel "FDP-nahe Personen" auf lukrative Stellen hebe, während "Unionsleute zu wenig berücksichtigt" würden. Die grüne Entwicklungspolitikerin Ute Koczy lobte den Minister sogar dafür, eine zentrale Anlaufstelle für bürgerliches Entwicklungsengagement zu schaffen. "Im ersten Jahr nach einer Regierungsübernahme sind personelle Wechsel an der Spitze eines Ministeriums normal." Ein Minister wolle und solle mit loyalen Abteilungsleitern arbeiten. "Das Tempo und die Menge an Umbesetzungen aber, die Niebel inzwischen vornimmt, sind ohne Beispiel." Daher sei zu befürchten, daß "wichtige Reformschritte in der Entwicklungszusammenarbeit in Niebels Personalsumpf und der Selbstversorgungsmentalität der FDP untergehen".

Der FDP-Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki, erwiderte auf die Frage, wie er Niebels Arbeit bewerte: "Ich finde keine sinnvolle Antwort." Das brachte ihm ungehend einen dreiseitigen Brief des Gescholtenen ein, die ihn über seine Politik belehrte, "damit die Antwort auf die Frage der Bewertung zukünftig leichter fällt". Letzten Endes kreist die Kontroverse zwischen den genannten Parteien lediglich darum, ob Niebel nicht allzu brachial und eigensüchtig bei der Postenvergabe vorgeht. Er solle gefälligst auch anderen ein Stück vom Kuchen abgeben, um den Koalitionsfrieden zu wahren und seiner Partei nicht im umgekehrten Verhältnis zu ihrer ins Bodenlose schrunpfenden Bedeutung bei der Wählerschaft unermüdlich Posten zuschanzen.

Den robusten Fallschirmjäger, Verwaltungsfachmann, politischen Karrieristen und Schirmherr des Deutschen Rugby-Verbandes können wehleidige Anwürfe ebensowenig schrecken wie die bevorstehende Gardinenpredigt der Kanzlerin. Von der denkwürdigen Pressekonferenz verabschiedete sich Dirk Niebel mit der Ermahnung an Medienvertreter, Kritiker in der Koalition und Opposition, man solle gefälligst "die Kirche im Dorf lassen". Die Rücktrittsforderung der SPD bereite ihm keine schlaflosen Nächte - sie werde nur dazu führen, daß sich "die Reihen schließen". Schließlich hackt eine Krähe der andern keine Auge aus, wenn es gilt, sich großzügig aus dem Topf der Steuergelder zu bedienen. Entwicklungshilfe braucht zuallererst die FDP, scheint Niebels Devise zu lauten, und daß die Konkurrenz ihm ernsthaft in die Parade fährt, wenn er lieber Millionen in Führungsposten investiert, als sie an Hungerleider zu verschwenden, mag er aus gutem Grund nicht glauben. Früher oder später kommen schließlich die andern wieder dran und können sich dann wunderbar in das von ihm gemachte Bett legen.

Fußnoten:

[1] http://www.rp-online.de/politik/deutschland/niebel-strukturiert-entwicklungshilfe-um-1.2127181

[2] http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=sw&dig=2010%2F11%2F25%2Fa0115&cHash=7f5c5de393

[3] http://www.stern.de/politik/deutschland/entwicklungshilfeministerium-dirk-niebels-liberale-jobmaschine-1775505.html

[4] http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article13822521/Niebels-heikles-Manoever.html

19. Januar 2012