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RAUB/1109: Steuerpädagogik und Mangelarithmetik retten niemanden (SB)



Die vom Umweltbundesamt erhobene Forderung, tierische Produkte von dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent auszunehmen und mit dem vollständigen Satz von 19 Prozent zu belasten, wird mit dem dadurch angeblich verbesserten Klimaschutz begründet. 12 Prozent mehr für Steak und Wurst zu bezahlen fällt gutverdienenden Menschen kaum auf, ist für einkommensarme Bürgerinnen und Bürger, die Fleisch und Milch mitunter schon deshalb konsumieren, weil pflanzliche Alternativen von gleichem Nährwert nicht für das gleiche Geld zu haben sind, allerdings eine erhebliche Belastung. Wenn es tatsächlich um eine dem Klima und damit unterschiedslos allen Menschen zugute kommende Maßnahme ginge, wäre ebensogut denkbar, Grundnahrungsmittel auf pflanzlicher Basis vollständig von dieser Verbrauchssteuer zu befreien und sie bei Produkten tierischer Herkunft so zu belassen wie bisher. Das Argument, mit den Mehreinnahmen in der Landwirtschaft Maßnahmen für den Klimaschutz zu finanzieren, kann angesichts dessen, daß dies trotz der Dringlichkeit dieser Forderung aus ganz anderen politischen Gründen unterlassen wird, kaum verfangen. Hier scheint vielmehr ein Fall steuerpolitisch induzierter Pädagogik vorzuliegen, die allerdings nicht im mindesten leistet, was sie verspricht.

Die Irreführung beginnt schon damit, daß der angeblich sozialfreundliche Charakter der ermäßigten Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel nichts anderes als eine Quersubvention des Lohnarbeit kaufenden Kapitals darstellt. Je geringer die Kosten der sozialen Reproduktion, desto höher der Spielraum der Unternehmen bei der Abschöpfung des Mehrwerts, also der Aneigung unbezahlter Arbeitszeit. Anstatt sich beim Staat dafür zu bedanken, daß er auch an die Geringverdiener denkt, könnte ebensogut gefordert werden, die Kampfkraft der Lohnabhängigenklasse durch die Erweiterung des Streikrechts inklusive des politischen Streiks zu vergrößern. Schließlich ist Ernährung eine Klassenfrage, wie jeder weiß, der die Preise für vollwertige Nahrungsmittel nicht aufbringen kann und sich statt dessen mit minderwertiger Industrienahrung begnügen muß. Wäre ein Mindestlohn sichergestellt, der jedem Menschen die ganze Palette des Lebensmittelangebots verfügbar machte, dann ließe sich eher darüber sprechen, wie legitim eine ökologisch besonders zerstörerische und Tiere ausbeutende Nahrungsmittelproduktion überhaupt sein kann.

Die von den etablierten Parteien favorisierte Lösung, auch allen lebensnotwendigen Verbrauch über den Preis zu regulieren, kann für Menschen, die strukturelle Ungleichbehandlung und ökonomische Diskriminierung ablehnen, nur inakzeptabel sein. Wenn Güter und Leistungen aus umwelt- oder sozialpädagogischen Gründen verteuert werden, erfolgt eine soziale Selektion, die einkommensstarken Menschen die exklusive Möglichkeit zugesteht, anderen Menschen die sozialökologischen Folgen ihres Verbrauchs aufzulasten oder sogenannten Nutztieren Gewalt anzutun. Warum sollte unter gesellschaftlichen Bedingungen, die die materiellen Möglichkeiten bieten, anderen Lebewesen so wenig Schaden wie möglich zuzufügen, nicht über vermeintlich utopische Lebensentwürfe dieser Art gesprochen werden?

Der Vorschlag des Umweltbundesamtes hingegen ist auf eine Arbeitsgesellschaft orientiert, in der selbstverständlich zu sein scheint, unter ausbeuterischen und krankmachenden Bedingungen leben zu müssen. So gilt die angebliche Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung vornehmlich ihrer Eigenschaft, als produktive Basis des Steuerstaates Lohnarbeiter und Verbraucher in einer Person zu sein. Ein Mensch, der konsumiert, um arbeiten zu können, und arbeitet, um konsumieren zu können, verbraucht sich in diesem Prozeß nicht nur im Rahmen seiner biologisch bemessenen Lebensspanne, sondern auch durch die physischen und psychischen Bedingungen von Produktion und Reproduktion. Daß ihm dabei zugemutet wird, mit Feinstäuben und Giften belastete Luft zu atmen, mit Nitraten kontaminiertes Wasser zu trinken und ernährungsphysiologisch bedenkliche Nahrungsmittel aller Art zu verspeisen, ist dem gleichen Staat geschuldet, der ihm das Rauchen austreiben will, weil es ungesund sei.

Den destruktiven Bedingungen einer Industriegesellschaft, die in wenigen Jahrzehnten atomare Gefahren erzeugt, die noch in ferner Zukunft ein Problem sein werden, die innerhalb von zwei Jahrhunderten einen fossilen Brennstoff verfeuert, der Jahrmillionen brauchte, um sich in der Erde anzulagern, die in nicht minder großen Zeiträumen entstandene Lebenswelten tierlicher und pflanzlicher Art verödet und vernichtet, als ob sie nicht einmal eigenes Überlebensinteresse hätte, ist mit steuerlichen und marktwirtschaftlichen Regulationen nicht beizukommen. Solange der Verbrauchscharakter der herrschenden Produktionsweise und ihre soziale Grundlage in der kapitalistischen Eigentumsordnung nicht selbst zum Gegenstand schonungsloser Aufklärung und dementsprechend radikaler Überwindung werden, können Vorschläge wie der des Umweltbundesamtes bestenfalls für Mißmut und Ablehnung sorgen.

Im unterstellten ökologischen Sinne sehr viel zweckmäßiger könnte etwa eine öffentliche Debatte darüber sein, wie groß der Aufwand, der bei der Herstellung tierverbrauchender Produkte anfällt, tatsächlich ist und warum er sich preislich nicht auf eine Weise darstellt, die die unterstellte Neutralität marktwirtschaftlicher Regulation auch einlöste. Wenn bei den verschiedenen Fleisch- und Milcherzeugnissen auch unterschiedlich bemessen, so fällt - zusätzlich zu der klimabelastenden Wirkung - der Verbrauch an landwirtschaftlich nutzbarer Fläche, an Wasser, Energie, Düngemitteln und Pestiziden bei der Aufzucht und Verwertung sogenannter Nutztiere pro produzierter Einheit an menschlicher Nahrung sehr viel mehr ins Gewicht als bei der entsprechenden Erzeugung pflanzlicher Lebensmittel.

Wenn fast die Hälfte der Menschheit im Sinne des gesundheitlichen Standards, der in den Industriegesellschaften zumindest auf dem Papier geltend gemacht wird, mangelernährt ist, weil sie mit den sogenannten Nutztieren um Futtermittel aus Getreide und Hülsenfrüchten, um Wasser und um Tierprodukte konkurriert, mit denen diese zu menschlicher Nahrung zugerichtet werden, weil ihre Not mit so wenig Zahlungsfähigkeit ausgestattet ist, dann handelt es sich bei der Verbrauchskaskade der Tierproduktion nicht um eine zu vernachlässigende Petitesse. Wenn selbst die Tanks der an ihnen vorüberrasenden Autos eher mit Brennstoff aus Getreide gefüllt werden als ihre Mägen, dann sind an den guten Absichten der Verwalter ihres Elends begründete Zweifel anzumelden. Wieso sind Obst und Gemüse von vergleichbarem Nährwert, aber mit ganz unterschiedlichem Aufwand an Arbeit und Ressourcenverbrauch hergestellt, nicht ungleich erschwinglicher als Fleisch- und Milchprodukte? Wieso sind Produkte der Nahrungsmittelindustrie, die aus ernährungsphysiologisch minderwertigen Inhaltsstoffen wie gesättigten Fetten, aus raffiniertem Zucker und Fructosesirup, aus gebleichtem Mehl oder anderen denaturierten Stärkerzeugnissen, aus Abfallprodukten der Schlachtindustrie und künstlichen Aromastoffen bestehen, so billig, daß ihr dauerhafter Verzehr einer der Gründe für die Zehn-Jahres-Differenz in der Lebenserwartung zwischen dem reichsten und dem ärmsten Fünftel der Bundesbürger sein dürfte?

Fragen wie diese gehören auf den Tisch, wenn sich eine Bundesbehörde dazu versteigt, dem Interesse daran, sich auf weniger destruktive Weise zu ernähren, einen Dämpfer in Gestalt einer staatlichen Auflage zu verpassen, die nicht zuletzt an Mangelregulation in Sicht auf schlechtere Zeiten denken läßt. Den Kapitalismus grün einzukleiden, ihm eine mit falschen, weil fleischlosen Würsten behangene Narrenkappe aufzusetzen und sein lodengrünes Gewand mit Öko- und Tierwohlsiegeln zu bepflastern mag im Karneval unterhaltsam sein. Zum angeblich beabsichtigten Ausstieg aus dem Verheizen der Welt bis zu ihrem letzten Inventar kann die Suggestion, irgend jemand kümmere sich schon um das Problem, und sei es das Umweltbundesamt, nur in Form einer Beruhigungspille beitragen, die sich bei Dauergabe als todbringend erweisen wird.

13. Januar 2017


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