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RAUB/1119: Tiergefangenendiplomatie (SB)



Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstpersönlich hat im Herbst 2015 dafür gesorgt, daß zwei Pandabären aus China in die Bundesrepublik überführt werden, um dort für "tiergerechte" Unterhaltung zu sorgen. Sie wird auch dabei sein, wenn Chinas Präsident Xi Jinping ein Pandapaar, das sogenannte Weibchen Meng Meng und das sogenannte Männchen Jiao Qing, bei einem Staatsbesuch in Berlin am 5. Juli offiziell übergibt. Dann werden sie auch in der neuen, rund 10 Millionen Euro teuren, mit eigener Klinik ausgestatteten Panda-Anlage im Berliner Zoo für das Publikum zu sehen sein. Daß diese Attraktion mit einer Million Dollar Gebühr im Jahr zu Buche schlägt, kann angesichts des Medienrummels um das "Panda-Fieber" schon jetzt als Petitesse betrachtet werden.

Nachdem der im Berliner Zoo geboren Eisbär Knut im März 2011 im Alter von etwas über vier Jahren plötzlich starb und nurmehr als ausgestopftes Exponat beguckt werden kann, sollen nun zwei Pandas für Stimmung vor den Gitterstäben sorgen. Das ganze Manöver firmiert in den Medien unter dem Titel "Panda-Diplomatie", haben chinesische Regierungen doch immer wieder einzelne Mitglieder dieser vom Aussterben bedrohten Bärenart im Rahmen von bilateralen Kontakten an Zoos in aller Welt geliefert. Bis 1982 wurden 23 Pandas als Staatsgeschenke übergeben, so auch an die Bundesrepublik. Seitdem gibt es sie nur noch als kostenpflichtige und befristete Leihgaben, und das auch nur für den Fall, daß die Regierung in Beijing den Einsatz dieser Sympathieträger für sinnvoll hält wie jetzt im Fall der Bundesrepublik.

Zweifellos könnte die Bundesregierung die Panda-Miete auch direkt für den Zweck des Schutzes der natürlichen Lebensräume der verbliebenen rund 1800 Bärinnen und Bären nach China überweisen, doch darum geht es bei aller Tierliebe nicht. Die Bärin und der Bär sollen leisten, was ansonsten als deutsche Kritik am Stand der Menschenrechte und politischen Freiheiten in China regelmäßig die Ernte verhagelt. Um der allgemeinen Ausrichtung EU-europäischer Hegemonial- und Handelspolitik in Richtung Ostasien den Weg zu ebnen, werden Meng Meng und Jiao Qing als Sonderbotschafter eingesetzt, was insbesondere in Deutschland, wie die Verknutung der Gesellschaft bewiesen hat, gut ankommt.

Der World Wide Fund For Nature (WWF), der den Panda als Wappentier für seine Aktivitäten einsetzt, legt zumindest mittelbar nahe, daß die Zoogefangenenschaft Teil der Prävention gegen das Aussterben dieser Bärenart sei: "Alle Pandas, die nicht in Aufzuchtstationen oder Zoos leben, müssen immer noch um ihren Lebensraum fürchten." [1] Daß unter anderem Industrie und Wirtschaft der Bundesrepublik an der Expansion des chinesischen Wachstums und der daraus resultierenden Vernichtung letzter Rückzugsräume für Tiere aller Art beteiligt sind, wird nicht eigens erwähnt. Auch die völlig ungenügende Klimaschutzpolitik der Bundesrepublik, die wesentlich Anteil an der Vernichtung letzter Naturgebiete hat, geht in der "Panda-Mania" (WWF Deutschland) völlig unter.

Wer wollte sich schon damit unbeliebt machen, die affektive Dienstleistung dieser als besonders possierlich geltenden Bären in Zweck- und Nutzenzusammenhänge zu stellen, die nichts von den guten Gefühlen übriglassen, die das Vorführen zweier Lebewesen auslösen soll? Insbesondere Kindern wird im Zoo klargemacht, daß Tiere dem Menschen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind, ob als Objekte menschlicher Neugier und Unterhaltung oder zur Befriedigung von Gaumenfreuden [2]. Eingeübt wird mit dem Blick auf das gefangene Tier - schon rein sprachlich zur Sache degradiert - die Höherstellung des Menschen im allgemeinen und der Bürger neokolonialistischer Staaten, die sich Flora und Fauna der Länder des Südens aneignen, im besonderen.

Heute dürfte sich ein Großteil der Berliner einig darin sein, daß "anthropologische Völkerschauen", bei denen Zoos im 19. Jahrhundert indigene Menschen zur Hauptattraktion ihres Unterhaltungangebotes machten, einen Verstoß gegen die Menschenrechte darstellen. Doch der rassistische, diskriminierende und ausgrenzende Blick ist alles andere als verschwunden. Er versteckt sich in kollektiven Zuschreibungen angeblich ethnischer oder nationaler Charaktereigenschaften, in der Abwehr des Anblicks als behindert geltender Menschen oder der zur Belustigung produzierten Zurschaustellung menschlicher Schwächen und Unzulänglichkeiten. Nicht nur dort, wo der Blick auf das andere Wesen von Dominanz-, Selbstbehauptungs- oder Aneignungsimpulsen gelenkt, sondern auch dann, wenn sich an "süßen" und "lustigen" Bären erfreut wird, herrscht vollständige Ignoranz gegenüber den Interessen, Wünschen und Hoffnungen des Objekts der Betrachtung. Es geht um das eigene Empfinden, den Genuß einer Empathie, die im Kern aus der Ohnmacht der Tiergefangenen und dem Wissen, daß sie vor den eigenen Vereinnahmungsabsichten nicht davonlaufen können, ersteht.

Wer gefangen ist und dabei auch noch angeglotzt wird, über den wird auf doppelte Weise verfügt, ohne jemals danach gefragt zu werden, ob er oder sie dies überhaupt akzeptieren will. Auch wenn die Berliner Pandas Rückzugsräume zugestanden bekommen, in denen sie der Präsenz des Publikums ausweichen können, sind sie doch schon durch die Anlage des Zoos darauf zugerichtet, zur Schau gestellt zu werden, und sei es beim nächsten Verlassen ihrer Deckung. So drückt die sogenannte Panda-Diplomatie nichts als Herrschaftsinteressen aus.

Die in Sonderproduktionszonen kasernierten chinesischen Arbeiterinnen und Arbeiter mögen demgegenüber unsichtbar sein, doch auch ihr von materieller Notwendigkeit bestimmtes Los, unter zeitlich eng getakteten Fabrikbedingungen körperlich wie geistig verschleißende stumpfsinnige Lohnarbeit verrichten zu müssen, gleicht dem gefangener Tiere. Niemand wird gerne ausgebeutet und unterdrückt, vorgeführt und erniedrigt. Zoos sind Orte, an denen all dies stattfindet, und sei es noch so sehr bemäntelt von besten Absichten. Kein Menschenschinder verzichtet darauf, seine Absichten ins beste Licht zu rücken, daher sollte auch Tierausbeutung an der Praxis des Umgangs mit materiell, rechtlich und kulturell unterworfenen Lebewesen beurteilt werden.


Fußnoten:

[1] http://www.wwf.de/aktuell/panda-mania/?ppc=1&gclid=CjwKEAjw-LLKBRCdhqmwtYmX93kSJAAORDM6n7LY4V2tRsTlyH67sv_wYuPsXOJmBkh5PnffID2_vBoCg3Xw_wcB

[2] BERICHT/062: 21. Linke Literaturmesse - Triumph der Verkennung (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbrb0062.html

23. Juni 2017


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