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RAUB/1133: Textilindustrie Bangladesch - einflußlose Kunden ... (SB)



Das Konzept eines fairen Handels unter Einschluß profitgetriebener Unternehmen krankt an dem Wunschdenken, daß ein solcher Austausch zum Wohle aller möglich sei. Ohne in Abrede zu stellen, daß Handel in einem breiten Spektrum von moderaten bis krassen Formen der Übervorteilung getätigt wird, bleibt er seiner Natur nach doch stets der Versuch, den sogenannten Partner über den Tisch zu ziehen, da sich anders der angestrebte Gewinn nicht erzielen läßt. Daß dies in der Konkurrenz höchst ungleicher Staaten und Unternehmen Extreme an Unterdrückung und Ausbeutung hervorbringt, die ein vermeintliches Ende kolonialer Abhängigkeit obsolet machen, wundert nicht. In dieser Kette zwischen der Lohnsklavin in den Kleiderfabriken Bangladeschs und dem Konsumenten spottbilliger Textilien in einem deutschen Supermarkt oder Warenhaus findet man ebenso brutale Gangster, korrupte Politiker und gierige Geschäftsleute wie seriöse Manager, untadelige Buchhalter, rechtstreue Beamte, wohlmeinende Gewerkschafter und natürlich Kunden, die am allerwenigsten wissen wollen, wie das alles zusammenhängt. Ein wenig mehr für solche Erzeugnisse auszugeben wäre noch nicht einmal das Problem, sofern man nicht selber zu den Hungerleidern gehört. Doch wer möchte schon das Elend und Blut an der frischerstandenen Hose riechen oder plötzlich die Schreckensvision vor Augen haben, wie er mit seinem neuen Hemd die Würgeschlinge um den Hals der Näherin legt! Dann lieber guten Gewissens auf Händler vertrauen, die treuherzig versichern, daß ihre Klamotten ausnahmslos weiß- oder noch besser grüngewaschen sind.

Am 24. April 2013 wurden beim schwersten Fabrikunfall in der Geschichte Bangladeschs 1135 Menschen getötet und 2438 verletzt, als in Sabhar etwa 25 km nordwestlich der Hauptstadt Dhaka das achtstöckige Rana Plaza zusammenbrach. Obgleich am Vortag Risse in dem Gebäude festgestellt worden waren und die Polizei daraufhin den Zutritt verboten hatte, befanden sich beim Einsturz mehr als 3000 Menschen darin, bei denen es sich größtenteils um Textilarbeiterinnen handelte. Sie waren von den Fabrikbetreibern gezwungen worden, ihre Arbeit aufzunehmen. Seither sind fünf Jahre vergangen, in denen unendlich viel verhandelt, versprochen und vereinbart worden ist, ohne daß sich an den erbärmlichen Arbeitsbedingungen etwas Wesentliches geändert hätte.

Maik Pflaum von der Christlichen Initiative Romero, einer der Gründungsorganisationen der Kampagne für Saubere Kleidung, warnt im Gespräch mit dem Deutschlandfunk [1], daß alle normal produzierte Kleidung unter massiver Verletzung von Arbeitsrechten in Deutschland ankomme. Wenngleich die Sicherheitsstandards verbessert wurden und der Brandschutz dank eines Abkommens funktioniert, lassen die westlichen Firmen nach wie vor dort produzieren, wo es am billigsten ist. An dem extremen Arbeitsdruck, den Hungerlöhnen, der fehlenden Gewerkschaftsfreiheit hat sich folglich nichts geändert, zumal davon in dem Abkommen, das viele Unternehmen weltweit unterschrieben haben, auch gar nicht die Rede war. In einem neuen Abkommen, das derzeit wie geplant verhandelt wird, sind diese zentralen Probleme ebenfalls kein Thema. Die Verantwortung für die Sicherheit an die Fabrikanten in Bangladesch abzuschieben kostet die westlichen Abnehmer nichts und hält sie von weiteren Katastrophen frei, die sehr schlecht für ihr Image wären, so Pflaum.

Die Einkaufspraxis auch der führenden deutschen Textilanbieter ist dieselbe geblieben. Sie drücken die Preise, erzwingen knappere Lieferfristen, und die Auftraggeber der Bekleidungsindustrie ziehen wie eine Karawane durch sämtliche Produktionsländer. Noch ist Bangladesch ein wichtiger Standort, doch beträgt dort der Monatslohn einer Textilarbeiterin etwa 50 Euro. Derzeit wird Äthiopien neu entdeckt, wo er bei sagenhaften 33 Euro liegt, was den Troß der Abnehmer lockt wie ein Honigtopf die Fliegen.

Von den 50 Euro im Monat könne eine Näherin nicht Essen, Wohnen, Medikamente und Schule für die Kinder bezahlen, so die Aktivistin Kalpona Akter in Bangladesch. Oft müßten die Arbeiterinnen Elf-Stunden-Schichten leisten, und dies sechsmal pro Woche, wobei sie zu den Überstunden gezwungen würden. Daß sich die Beschäftigten gewerkschaftlich organisieren dürfen, sei bloße Theorie. Denn wenn sie es versuchen, werden sie bedroht, angegriffen oder gefeuert. [2]

Als nach dem Unglück die Augen der Welt auf Bangladesch gerichtet waren, wurde dort das Arbeitsgesetz überholt, ein Mindestlohn eingeführt und die rechtliche Situation der Gewerkschaften verbessert. Inspektoren deckten zahlreiche Mängel in Fabriken auf, viele wurden geschlossen, das Gebäude- und Brandschutzabkommen sorgte für größere Sicherheit, so Christie Miedema von der Clean Clothes Campaign. Doch diese Konsequenzen hinsichtlich der Gebäudesicherheit seien in anderen Ländern nicht gezogen worden, und in Bangladesch selbst hätten sich die Verbesserungen bei Lohn und Arbeiterorganisation als kurzlebig erwiesen.

Deutsche Textilimporteure wie der Modediscounter KiK, der in Rana Plaza fertigen ließ und unter starkem öffentlichen Druck stand, können die Fakten schlechterdings nicht leugnen, sehen sich aber auf einem gutem Weg. Das hört sich aus ihrem Munde so an: "Die Sicherheit der Fabriken, die für den Export arbeiten, hat sich dank des Engagements der westlichen Firmen deutlich verbessert. Im nächsten Schritt müssen jetzt die Anstrengungen erhöht werden, die Lohnsituation der Beschäftigten zu verbessern und die gewerkschaftlichen Aktivitäten zu verstärken", erklärt das Unternehmen, das selbst keinen Betriebsrat hat. H&M weist darauf hin, daß alle zuliefernden Fabriken in Bangladesch inzwischen demokratisch gewählte Arbeitnehmervertretungen hätten, Lidl hält sich zugute, seit Jahren Trainings für Textilhersteller zu finanzieren, die auch die Themen Entlohnung, Überstunden und Versammlungsfreiheit zum Inhalt haben. "Es gibt noch viel zu tun, wir sind noch nicht am Ziel", räumt der Handelsverband HDE ein. Doch nur in einem "engen Schulterschluss von Staat, Zivilgesellschaft und Unternehmen" könnten die sozialen und ökologischen Produktionsbedingungen nachhaltig verbessert werden.

Klingt das nicht wunderbar seriös und herrlich beruhigend? Der Pferdefuß dabei ist, daß es sich bei all diesen Übereinkünften um freiwillige Vereinbarungen handelt, die noch nie funktioniert haben. Im deutschen Textilbündnis, das vom damaligen Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) nach dem Einsturz des Rana Plaza ins Leben gerufen wurde, diskutieren die Teilnehmer seit Jahren ohne konkrete Ergebnisse über mögliche Verbesserungen, während sie eifrig Greenwashing betreiben. Auf Bundes- und Europaebene werden verbindliche Regeln geprüft, Gesetze zeichnen sich aber nicht ab. Warum sich die Bundesregierung hütet, der Fastfashion in die Parade zu fahren und die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, liegt auf der Hand. Sie sieht ihre vordringliche Aufgabe darin, der heimischen Ökonomie auf die Sprünge zu helfen, und da sich hiesiges Kapital noch immer dort am günstigsten verwerten läßt, wo die Arbeitskraft für einen Pappenstiel zu haben ist, soll sich in Bangladesch nichts ändern. Wenn aber doch, können deutsche Textilanbieter und Kunden ja statt dessen den äthiopischen Näherinnen etwas Gutes tun. Man muß sich ja nicht gleich von Eingeborenen in der Sänfte herumtragen zu lassen, um klarzustellen, daß Unterschiede auf dieser Welt etwas ganz Natürliches sind.


Fußnoten:

[1] www.deutschlandfunk.de/fuenf-jahre-nach-rana-plaza-an-der-einkaufspraxis-von-kik.769.de.html

[2] www.domradio.de/themen/weltkirche/2018-04-24/ein-durchbruch-fuer-die-textilarbeiterinnen-asien-steht-noch-aus

26. April 2018


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