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RAUB/1157: Klimavorsorgeportal - an die Spitze der Anpassung ... (SB)



Das Motto "Wald bewegt" könnte dieser Tage nicht besser gewählt sein, wenn damit die Tausenden Menschen gemeint sind, die von überallher zum Hambacher Forst strömen, um die Abholzung des Restes dieses uralten Waldes zugunsten des Klimakillers Braunkohle zu verhindern. Die sich dabei herausbildende soziale Bewegung hat zweifellos Zukunft. Es gibt noch viele Naturreservate, die Straßen und Flughäfen, Stromtrassen und Pipelines, also einer Wirtschaftsweise, deren Wachstumsprimat unvereinbar ist mit der katastrophalen Entwicklung des Weltklimas, weichen sollen und für deren Erhalt zu kämpfen ist. Um so mehr ist die Herrschaft gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse zu brechen, die den kapitalistischen Produktivismus anheizen, weil er gegen andere Menschen und Lebewesen gerichtete Klassenprivilegien und Überlebensgarantieen befeuert.

"Wald bewegt" war als Leitmotiv der vom 13. bis 16. September abgehaltenen Deutschen Waldtage jedoch nicht als Ermunterung dazu gemeint, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in die eigenen Hände zu nehmen. Ganz im Gegenteil, es handelte sich um eine Veranstaltungsreihe des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), die in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und dem Deutschen Forstwirtschaftsrat (DFWR) den "Dialog zwischen Forstwirtschaft und Sport" voranbringen wollte. Dementsprechend war das in der Einladung gesungene Loblied auf den Wald als Barriere gegen den Klimawandel und "unser größtes und wertvollstes Landökosystem" [1] nicht als Einladung an die Adresse der WaldbesetzerInnen gedacht, ihr vorbildliches Engagement für seinen Bestand fortzusetzen, geschweige denn ihre sportlichen Spitzenleistungen beim Bau von Baumhäusern in lichter Höhe zu würdigen.

Ganz im Gegenteil, ein Kooperationspartner wie die Lobby der WaldbesitzerInnen ist vor allem an einer Verwertbarkeit der Bäume interessiert, bei der Abholzung und Wiederaufforstung in möglichst schneller Folge einträgliche Gewinne herzuvorbringen. Auch Wälder mit besonders alten Buchenbeständen wie der Hambacher Forst lassen sich vor allem dadurch wirtschaftlich nutzen, daß sie abgeholzt werden und ein moderner Plantagenwald an ihre Stelle tritt. Auf jeden Fall ist deren besonderer Schutz nicht das primäre Anliegen der Forstwirtschaft und der Landwirtschaftsministerin, die der Gewinnerin eines Wettbewerbs um das schönste Waldbild zu allem Überfluß einen Preis überreichte, der darin bestand, eine Woche im Baumhaus leben zu können.

Zu vermuten, daß eine solche Dissoziation von Anspruch und Wirklichkeit als Eigentor oder PR-Desaster erscheinen müßten, führt in die Irre einer Vernunft, die den staatsadministrativen WaldschützerInnen längst abhandengekommen ist. Nach Lage der globalen Entwicklung wäre es höchst rational, den Klimaschutz an erste Stelle zu setzen und nicht nur weniger zu produzieren und zu konsumieren, sondern den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur sozial gerecht und damit auch ökologisch verträglich zu organisieren. Der herrschenden Vernuft geht es jedoch um die Sicherung einmal bezogener Kommandohöhen und der sie zementierenden Produktivitäts-, Wachstums- und Marktlogik.

Dies belegt auch die aktuelle Initiative der Bundesregierung, mit der Freischaltung des Deutsche Klimavorsorgeportals (KLiVO) einen Informationsdienst anzubieten, der der Bewältigung der Folgen des Klimawandels gewidmet ist, anstatt mit allen Kräften seiner Verlangsamung und Verhinderung zuzuarbeiten. Bundesumweltministerin Svenja Schulze präsentiert die Initiative mit den schicksalergebenen Worten, daß der Klimawandel "endgültig bei uns angekommen" sei. "Extremwetterereignisse, die früher noch große Ausnahmen waren, werden zum neuen Normalfall" [3], so die Ministerin, die meint, als Mitglied der Gewerkschaft der Kohlekumpel IG BCE [4] die Frage der "sozialen Gerechtigkeit" [5] gegen die Argumente der Antikohlebewegung ins Feld führen zu müssen. Zweifellos gäbe es in Anbetracht der überschaubaren Zahl von erwerbsabhängigen RWE-Angestellten im Rheinischen Braunkohlerevier und einer klimafreundlicheren Konversion der Braunkohleverstromung andere Möglichkeiten als die Fortsetzung des besonders klimaschädlichen Braunkohletagebaus bis 2030 oder, wie die IG BCE fordert [6], bis zum theoretisch spätesten Termin 2045.

Aber Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zu sein ist offensichtlich nicht damit gleichzusetzen, die Eindämmung des Klimawandels zur politischen Priorität zu erheben. Zweifellos ist nicht verkehrt, sich auch auf die Bewältigung der Folgen des Klimawandels einzurichten, indem mit einem Klimavorsorgeportal "passgenaue Informationen und Tipps, um Schäden durch den Klimawandel - sei es durch Hitze und Trockenheit oder Stürme, Starkregen und Überschwemmungen - zu vermeiden" [7], angeboten werden. Wenn eine Bundesregierung, der zu Recht vorgeworfen wird, nicht genügend zum Erreichen der Klimaziele zu tun, auf die sie sich 2015 im Klimaabkommen von Paris festgelegt hat, eine solche Vorkehrung trifft, dann riecht das schon nach dem faulen Kompromiß, die Politik der Nachhaltigkeit stillschweigend durch eine der Resilienz abzulösen.

Da die Bundesregierung das ungeminderte Wachstum in Produktion, Mobilität und Konsum, die Steigerung der deutschen Exportrate und Wettbewerbsfähigkeit am globalen Markt zur politischen Maxime erhebt, während sozialökologische Maßnahmen unter den Tisch fallen, wenn sie keinen geostrategischen noch ökonomischen noch politischen Ertrag bringen, scheinen die realpolitischen Weichen in diese Richtung längst gestellt zu sein. Abhärtung im Vorschein künftiger Katastrophen ist bei entwicklungspolitischen Akteuren, die zwar noch Nothilfe in den Ländern des Globalen Südens leisten, aber das Eintreten für die Beseitigung der Ursachen katastrophaler sozialökologischer Entwicklungen längst aufgegeben haben, schon seit langem handlungsleitend. Resilienz wird überall dort propagiert, wo der Kampf um eine bessere Zukunft aufgegeben wurde und die immer breiter klaffenden Lücken bei der Gewährleistung angemessener Formen der sozialen Reproduktion lediglich verwaltet werden [8].

So findet die Normalisierung sozialen Elends und ökologischer Zerstörung im Zeichen einer vermeintlichen Fürsorge statt, die die klimapolitischen Versäumnisse im Zweifelsfall beschönigt, indem der Eindruck erweckt wird, daß überhaupt etwas getan werde. Sich an den Klimawandel anzupassen, indem die Resilienz der Bevölkerung gesteigert wird, ist eben nicht nur eine sinnvolle Vorsorgemaßnahme, sondern fungiert auch als unausgesprochene Kapitulation gegenüber einer Entwicklung, die damit desto mehr als unvermeidbares Schicksal erscheint. Die Bevölkerung an die verheerenden Folgen der Zerstörung natürlicher Ökosysteme zu gewöhnen ist Ausdruck einer Vernunft, die im Zirkelschluß, sich einer inakzeptablen Entwicklung zu unterwerfen, indem diese zur neuen, sprich alternativlosen Normalität erklärt wird, das Optimum pragmatischer Politik erkennt. Wer, wie die BesetzerInnen im Hambacher Wald, den zum Regelfall erklärten Ausnahmezustand des brandgetriebenen Anthropozäns dennoch bekämpfen will, weil jede Schwächung sich auftürmender Gewalten immer noch rationaler ist als sich ihnen in der Hoffnung auszuliefern, irgendwie - das heißt meist auf Kosten anderer - zu überleben, der wird zweifellos mit repressiver Resilienz überzogen.


Fußnoten:

[1] https://www.deutsche-waldtage.de/einladung/

[2] https://www.vice.com/de/article/a38gye/bundesregierung-veranstaltet-waldtage-wahrend-der-hambacher-forst-geraumt-wird

[3] https://www.bmu.de/pressemitteilung/bundesregierung-startet-neues-portal-zur-vorsorge-gegen-klimaschaeden/

[4] https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/Webmaster/GB_I/I.1/Abgeordnete/abgeordnetendetail.jsp?k=01333

[5] https://www.deutschlandfunk.de/klimapolitik-rot-gegen-gruen-beim-thema-umweltschutz.1773.de.html?dram:article_id=427281

[6] https://www.deutschlandfunk.de/treffen-der-kohlekommission-der-hambacher-forst-ist-nicht.694.de.html?dram:article_id=428367

[7] a.a.O.

[8] BERICHT/031: Krieg um die Köpfe - Ducken, warten, Daten sammeln ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/sozial/report/sorb0031.html

25. September 2018


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